»So«, sagte Stan bitter, »deshalb also ist das Firmenschild über der Tür geändert worden. Jetzt ist es also Ridley und Company.«
»Ja.« Mr. Corkery verbeugte sich zustimmend. »Ich bin die Company, wie du dir denken kannst.«
Ted spürte steigendes Verlangen, aufzuspringen und den undurchdringlich-verbindlichen Menschen da vor sich einmal gründlich durchzuschütteln. Seine Geschichte war eine Spur zu plausibel, sein ganzes Gebaren zu selbstsicher. Zum Donner — glaubte er etwa, er habe es mit Kindern zu tun?
»Was ist nun mit dem Windreiter geschehen?« fragte Stan weiter.
»Ach ja.« Eine lange Zigarre aus einem Etui auf dem Tisch wählend, lehnte Corkery sich im Sessel zurück. »Das ist ein Punkt, in dem du mir vielleicht einige Informationen geben könntest.
Hat euer Schiff Wrackteile gesichtet? Das nämlich«, sagte er, »hat uns das Postamt mitgeteilt.«
Teds Hände schlossen sich fester um die Lehnen seines Sessels.
Wußte Corkery etwa nicht, daß Kapitän Jarvis längst von der geheimen Botschaft erfahren hatte, die ihm ein Besatzungsmitglied der Araby hatte zukommen lassen und in der ihm mitgeteilt wurde, daß der Schoner heil und intakt gefunden worden war? Da steckte eine Menge mehr dahinter, als auf den ersten Blick schien. Teds Mund bildete eine entschlossene Linie im wachen Gesicht.
»Und Dad?« fragte Stan bebend. »Er hat die letzte Fahrt des Windreiters mitgemacht?«
»Ja. Er war der Kapitän. Wenn er nicht bald auftaucht – und
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daran zweifle ich mittlerweile —, dann ist er mit seinem Schiff untergegangen.«
»Aber es ist ja gar nicht untergegangen!« rief Stan. »Wußten Sie das nicht?«
Corkerys Lider zuckten kurz. »Es ist gar nicht untergegangen«, wiederholte er langsam, »das verstehe ich nicht. Mir wurde mitgeteilt — «
»Das muß ein Irrtum gewesen sein. Wir haben es treibend gefunden und aufgeholt. Es war niemand an Bord.«
»Treibend? Niemand an Bord?« Der Mann wiederholte die Worte wie ein Narr, fand Ted. Doch ein Blick auf die unbeweglichen Züge überzeugte den jungen Offizier, daß sich dahinter ein höchst aktiver, wacher und herrschsüchtiger Verstand verbarg.
»Wo ist dann der Windreiter jetzt?« wollte Corkery wissen.
»Hat sich gestern im Sturm losgerissen.«
»Ja«, beeilte Ted sich einzuwerfen, »der Schoner hat sich losgerissen mit nur zwei Matrosen an Bord. Der Himmel allein weiß, ob sie den Hurrikan überstanden haben.«
Der Mann rückte unbehaglich in seinem Sessel hin und her die Füße scharrten mit kratzendem Geräusch über den Boden. »Wir können wohl nichts anderes tun als abwarten.« Er räusperte sich.
»Was nun deinen Vater betrifft, Stan — es tut mir leid, tut mir verdammt leid, darüber sprechen zu müssen — , aber glaubst du nicht, daß höchstwahrscheinlich das Landemanöver schiefgegangen ist? Daß er mit seiner Mannschaft dabei zu Tode kam? Wenn sie noch lebten, würden wir längst von ihnen gehört haben.«
»Wer war bei ihm?« fragte Ted, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben.
»Nur drei Mann — ein Halbblut namens Pierre, der als Maat mitfuhr, und zwei Eingeborene von Taiarea.«
»Und alle sind nicht heimgekehrt?« fragte Stan bebend.
»Nein. Wir haben von keinem ein Wort gehört.«
»Sind Sie inzwischen denn auf der Plantage gewesen, Mr. Corkery?«
»Nein, Stan. Aber ich habe mich mit Madame Sonntag in Verbindung gesetzt, und sie hat nichts gehört.«
Stan wandte seinem Freund ein gequältes Gesicht zu. »Madame Sonntag ist meine alte Kinderfrau. Jetzt ist sie unsere Haushäl-
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terin. Ihr Mann ist der Vorarbeiter der Plantage. Beide sind Tahitier.«
Nach einem Augenblick unbehaglichen Schweigens, währenddessen Ted eine Fliege beobachtete, die den Schreibtisch umsummte, kündete Stan an: »Ich glaube, ich werde morgen zur Plantage hinüberfahren, Mr. Corkery.«
»Ganz wie du magst, mein Junge.« Mr. Corkery nahm die Zigarre aus dem Mund. »Freilich werde ich dir nun wohl auch den Rest noch mitteilen müssen, denke ich. Wenn dein Vater wirklich ertrunken ist, dann bleibt für dich nicht mehr ganz viel übrig.«
»Was soll das nun schon wieder heißen?« Stans Augen blitzten zornig.
»Ich meine«, fuhr der andere ungestört fort, »daß er seine Angelegenheiten in einem solchen Durcheinander zurückgelassen hat, daß es Monate dauern wird, bis wieder Ordnung herrscht. Als ich Teilhaber seiner Firma wurde, habe ich natürlich gewisse Vorbehalte gemacht und sie mir schriftlich bestätigen lassen — als eine Art Selbstschutz natürlich. Ich mußte darauf achten, daß mein Anteil den Zusammenbrach, der damals dicht bevorzustehen schien, sicher überstehen würde.«
»Mon Dieu«, unterbrach ihn Stan ungeduldig. »Solche Riesengelder besaßen Sie doch wohl kaum. Die Verbindlichkeiten meines Vaters können also so groß nicht sein.«
»Oh, ich habe in den letzten zehn Jahren gut gespart und gelegentlich mein Geld investiert«, meinte Corkery verbindlich und obenhin. »Du wärest sicher erstaunt, wenn ich dir sagen würde, wieviel Geld ich in diese Firma gesteckt habe. Im Augenblick besitze ich den weitaus größeren Anteil. Ich konnte es mir einfach nicht leisten, das alles ohne Sicherung zu riskieren.«
In Stans Gesicht zuckten die Muskeln. »Dann — dann bleibt mir also nichts? Wenn mein Vater nicht zurückkehrt, gehört die Firma Ihnen?«
Corkery nickte. »Ja. Nachdem die Schulden deines Vaters beglichen sind, gehört der Rest mir.«
»Aber die Plantage auf Taiarea«, brachte Stan mühsam hervor.
»Die gehört doch sicherlich — «
»Nein. Gerade sie wurde mir schon überschrieben, noch ehe ich mein Geld in der Firma investierte.«
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Stan nahm diesen Schlag erhobenen Hauptes entgegen. Sein gequälter Blick traf zuerst Ted, dann wieder den Agenten. »Ich besitze also gar nichts mehr?«
»Nichts. Es tut mir außerordentlich leid.« Corkery wandte sich Ted zu, und aus seinem breiten, dünnen Mund strömte eine Flut leiser, drängender Worte hervor. »Sie werden mir nachfühlen, wie schwer es mir fällt, dem Jungen diese Dinge mitteilen zu müssen! Eine überaus peinliche Situation! Wenn Sie sein Freund sind, so überreden Sie ihn, mit Ihnen in die Staaten zurückzukehren. Dort wird er sicherlich eine Arbeit finden, die Zukunft hat. Hier gibt es nichts dergleichen.«
»Nach Amerika zurückkehren?« protestierte Stan. »Monsieur, Sie wissen nicht, was Sie sagen. Glauben Sie wirklich, ich werde Tahiti verlassen? Es ist meine Heimat, vergessen Sie das nicht.
Die Inseln sind ein Teil meines Selbst. Nein. Ich bleibe hier; und wenn ich für alle Zeiten nicht mehr sein werde als ein Strandläufer — ich bleibe dennoch.«
Corkery ließ die Zigarre in den anderen Mundwinkel hinüberwandern. »Aber, mein lieber Junge«, widersprach er, »so sei doch vernünftig. Bleib wenigstens auf dem Schiff wohnen, solange es im Hafen liegt. Vielleicht hast du es dir bis zur Rückfahrt anders überlegt.«
»Ja, Stan«, mischte sich nun Ted eifrig ein, da ihm klar wurde, daß sie auf gar keinen Fall den Verdacht des Mannes erregen durften, »Mr. Corkery hat im Grunde recht. Wenn dir hier keine Zukunft bleibt, dann komm mit uns nach Kalifornien zurück. In San Francisco findest du immer Arbeit.«
Wenn Ted seinem Freund plötzlich einen Dolch vor die Brust gehalten hätte, wäre der Blick, mit dem ihn der Junge nun ansah, kaum verwirrter gewesen. Der Dritte Offizier erwiderte ihn mit einem Blinzeln, das so deutlich wie gesprochene Worte sagte: Spiel deine Rolle, Stan Ridley. Spiel sie gut!