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»Was meinen Sie damit?« Stan schaute sie fragend an.

»Haben Sie denn gar nichts von dieser Geschichte gehört? Vom Deck des Schoners Windreiter aus ist auf ihn geschossen worden — geschossen, monsieur, als er ihn eben durchs Riff geleitete. Und nun sehen Sie, was diesem Schoner widerfahren ist! Monsieur Ridley verliert sein ganzes Geld; er verschwindet. Und der Schoner — er geht unter.« Das Mädchen schwieg dramatisch, um die volle Wirkung seiner Worte zu unterstützen. »Ja, gestern ist die Neuigkeit an der Post angeschlagen gewesen. Jacques vom Riff ist gerächt!«

Stan blieb nachdenklich sitzen und strich sich geistesabwesend mit der Hand übers Kinn. Unruhe an einem der anderen Tische lenkte Teds Aufmerksamkeit ab. Er sah, wie Chapman offensichtlich verärgert aufstand und fortging. Einen Augenblick später humpelte der Bootsmann um den Tisch herum zu Gorilla Smiths Stuhl und zerrte den Matrosen auf die Füße. Singend und leise schwankend manövrierten die beiden einander die gefahrvolle Route zwischen den Tischen hindurch auf die Straße, wo sie Arm

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in Arm die gleiche Richtung einschlugen wie Chapman vor ihnen und langsam zur Araby torkelten.

Teds Interesse kehrte zur eben gehörten Geschichte zurück. »Was für ein Fisch war dieser Tahiti Jacques überhaupt?« fragte er.

»Wir sind nie ganz sicher gewesen«, entgegnete Stan. »Jedenfalls war er eine Art Delphin von grauer, beinahe weißer Farbe und beinahe vier Meter lang. Vor vielen Jahren gab es zwei davon im Hafen, doch das war noch vor meiner Geburt.«

Als das Mädchen abermals am Tisch vorüberging, warf Ted ihm eine andere Frage zu. »Glauben Sie wirklich, mademoiselle, daß der Schuß auf den Lotsenfisch etwas mit dem Untergang des Windreiters zu tun gehabt hat?«

»Certainement. Hat nicht jeder Mann auf Tahiti vorausgesagt, daß das Unglück dem Schoner folgen werde? Und ist es nicht genauso gekommen? Nach jenem Schuß wollte niemand mehr seine Waren dem Windreiter anvertrauen; niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben, wenn er zu den Inseln fuhr. Ein tupapau war auf jenem Schiff.«

»Ein tupapau?« wiederholte Ted verständnislos.

»Ein tahitischer Unhold«, erklärte Stan. »Ein Geist, der Unglück bringt.«

Das Mädchen nickte feierlich. Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Ja, Jacques vom Riff ist gerächt. Sein tupapau hat dafür gesorgt.«

»Es war also der Besitzer, Mr. Ridley, der Jacques erschossen hat?«

Sie schüttelte verneinend den Kopf. »O nein, monsieur. Es war nicht Monsieur Ridley. Er ist Amerikaner, nicht wahr? Aber er war ein sehr netter Mensch — très gentil. Um ihn tut es mir leid.

Doch es war von seinem Boot aus, daß dieser andere Mensch, Monsieur Thatcher, auf Jacques geschossen hat.«

»Thatcher?« wiederholte Ted. »Wer ist denn das?«

»Nicht viel ist darüber bekannt, monsieur. Er kam von San Francisco hierher auf der Monowai. Bald schon kaufte er eine große Plantage auf Taunoa Point, drei Kilometer vor der Stadt.«

Teds Gedanken rasten. Das war ein erster Hinweis. Die Blakemore-Dampfschiffahrtsgesellschaft hatte erfahren, daß Mr. X eine Plantage gekauft hatte und auf Tahiti geblieben war. Konnte Thatcher also Mr. X sein — der Versicherungs-Detektiv, der es

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profitabler gefunden hatte, seinen Auftraggebern zu melden, mit der Firma Ridley & Co. sei alles in bester Ordnung? Teds Stimme bebte vor innerer Erregung, als er die nächste Frage stellte. »Und dieser Monsieur Thatcher? Lebt er noch auf seiner Plantage?«

»Nein.« Das Mädchen zuckte die Achseln. »Er war nach dem Schuß hier nicht mehr sehr beliebt, wie Sie sich denken können, monsieur. Bald darauf ist er nach San Francisco gefahren. Oh, es sind vielleicht drei — vielleicht vier Monate seither vergangen.«

Ein Seufzer der Enttäuschung entfuhr dem Dritten Offizier. Er hatte sich schon so nahe der Lösung des Geheimnisses gefühlt, daß ihm nun, als er erfuhr, Thatcher sei nicht mehr in Reichweite, aller Wind aus den Segeln genommen war. »Schönen Dank, mademoiselle«, sagte er mit einem blassen Lächeln. »Es hat uns sehr interessiert.«

»Qui, monsieur.« Sie stellte einen kleinen Teller auf den Tisch, und Ted ließ ein paar Münzen darauf fallen. Mit blitzenden Zähnen und fröhlichem Lachen ging sie davon.

»Auch sie hat mich nicht wiedererkannt«, meinte Stan.

Ted sah ihn an. »Du kennst sie?«

»Ich kenne sie flüchtig. Sie ist eine Enkelin von Madame Sonntag, meiner Kinderfrau. Als ich hier in Papeete zur Schule ging, bin ich ihr hin und wieder im Haus ihres Vaters begegnet. Wahrscheinlich habe ich mich in den letzten zwei Jahren sehr verändert.«

Nachdenklich betrachtete Ted den Becher mit grobkörnigem Eis vor sich. Stan war also hier in Papeete in eine Schule gegangen, die von katholischen Brüdern geleitet wurde! Jeden Tag erfuhr er ein bißchen mehr über die Vergangenheit seines neuen Freundes, dessen Leben so sehr verschieden von seinem eigenen gewesen war. Der junge Offizier verstand immer besser, weshalb Stan manchmal so fremd und abwesend war. Aufblickend sah er, wie sein Freund nun über die Straße hinweg starrte. Hinter den Handelsschiffen lag silbern das stille Wasser der Lagune im Abendlicht. Im Nordwesten tauchte die Sonnenscheibe eben ins Meer; bald würde, mit tropischer Plötzlichkeit, die Nacht hereinbrechen.

Auf der Straße vor dem Cafe schlenderten barfüßige Eingeborene fröhlich auf und ab; das Murmeln ihrer sanften Sprache drang

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an sein Ohr. Ein kleines französisches Auto fuhr mit lautem Hupen vorüber. Ein untadelig weißgekleideter Regierungsbeamter ging vorbei; zwei dunkelhäutige Männer auf Rädern folgten ihm. Plötzlich jedoch blieben seine Blicke an einer bekannten Gestalt haften, die von weitem auf sie zukam. Er legte den Löffel nieder und sagte eilig: »Corkery kommt, Stan. Gehen wir hinein, damit er uns nicht sieht. Ich möchte ihn im Auge behalten.«

Hastig stand auch Stan auf und folgte seinem Freund ins schattige Innere des Cafes. Durchs Fenster konnten sie genau beobachten, was draußen vor sich ging. Mr. Corkerys hagere Gestalt tauchte auf. Ohne dem Cafe mehr als einen flüchtigen Blick zu gönnen, ging er vorüber, den Panamahut weit aus der schwitzenden Stirn geschoben. An der Ecke blieb er stehen und winkte einem Taxi.

»Das ist einer von Tarepos Wagen«, bemerkte Stan.

»Möchte bloß wissen, wo er hin will.«

»Wo wohnt er?« fragte Ted schnell.

»Seit Jahren schon lebt er im Hotel Diademe, einen Häuserblock vom Hafen entfernt. Nein, auf so kurze Entfernung würde er kein Taxi nehmen.«

Ted faßte unverzüglich einen Entschluß. »Wir werden ihm folgen.«

»Glaubst du etwa — « begann Stan.

»Ja, es könnte sich lohnen. Kapitän Tom hat mir aufgetragen, den Burschen gut im Auge zu behalten. Wo bekommen wir auch ein Taxi?«

»Draußen.« Stan bog auf den Bürgersteig ein, mit den Augen dem großen offenen Wagen folgend, der auf der Hauptstraße den Kai entlang fuhr, an der vor Anker liegenden Araby vorüber.

»Er fährt aufs Land hinaus, mon ami.«. Der Junge winkte ungeduldig einen Eingeborenen herbei, der auf dem Bordstein hockte.

»Taxi«, rief er, »vite!«

Der Mann stand auf und reckte sich gemächlich, ehe er auf einem klapprigen alten Ford zuging, der in der Nähe parkte. »Einen Augenblick, monsieur«, rief er.