Der Augenblick zog sich beträchtlich in die Länge, und es dauerte eine ganze Weile, ehe das kleine Gefährt neben ihnen hielt. Die beiden jungen Männer sprangen in den Fond. Stan wies die Richtung. »Dorthin«, sagte er.
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Der Wagen ratterte über die Hauptstraße, ohne sich die geringste Mühe zu geben, den Fußgängern auszuweichen. Sie sprangen hastig aus dem Weg, sowie der grelle Ton der Hupe zu ihnen drang.
Weit vorn verbargen die Kurven des Weges das Auto, dem sie zu folgen hofften.
»Wohin, monsieur?« fragte der Fahrer, lässig über die Schulter schauend und die Straße vor sich überhaupt nicht beachtend.
»Einfach immer weiter«, wies ihn Stan an. »Immer den Strand entlang.«
Als sie die Banque Chin Foo erreichten, konnten sie weit vor sich im Dämmerlicht das braune Taxi erkennen. »Schnell«, rief Ted, bereute jedoch schon einen Augenblick später bitter, einen tahitischen Chauffeur zur Eile aufgefordert zu haben.
Sie rasten an den Lagerschuppen aus Wellblech vorüber, und Ted erhaschte einen knappen Blick auf die Araby, aus deren Bullaugen schon Licht schimmerte. Hinter ihr ankerte mitten auf der Lagune ein Regierungsboot. Dann blieb der Kai hinter ihnen zurück; sie fuhren durchs offene Land. Im tiefen Schatten der Kokoshaine tauchten die Umrisse kleiner Eingeborenenhütten auf und verschwanden gleich wieder. Die Zäune längs der Straße waren überwuchert von tropischen Gewächsen mit leuchtend roten und weißen Blüten. Auf der einen Seite erhob sich eine Hügelflanke mit Bananenplantagen; durch die Palmen auf der anderen Seite blitzte hin und wieder silbrig das Wasser der Lagune auf.
»Wohin fahren wir?« erkundigte sich Ted.
Stan beugte sich zu ihm, und während er den Blick fest auf die roten Schlußlichter des Wagens vor ihnen heftete, murmelte er:
»Geradewegs auf den Taunoa Point zu.«
Ted saß mit einem Ruck kerzengerade da. Taunoa Point — dort lag Thatchers Plantage!
»Stan«, erkundigte sich Ted eifrig, »kennst du diese Plantage?«
Der Junge nickte. Es war eben noch in der Dämmerung zu erkennen. Sein Blick ließ das rote Schlußlicht nicht los, das von Zeit zu Zeit um eine Kurve verschwand. »Ich glaube wohl«, sagte er.
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»Am Taunoa Point gibt es nur eine einzige große Plantage. Sie gehörte früher einem Engländer; ich nehme an, daß Thatcher sie ihm abgekauft hat.«
»Möchte bloß wissen, mit wessen Geld sie bezahlt wurde«, erwiderte Ted gedankenvoll. »Falls Corkery heute abend wirklich dorthin fährt, dürfte immerhin bewiesen sein, daß er auf irgendeine Art mit der Sache zu tun hat, oder? Sieht es nicht beinahe so aus, als interessiere ihn nun, nachdem Thatcher fort ist, die Plantage selber?«
»Vielleicht hast du recht«, antwortete Stan. Er hob die Stimme und sprach französisch. »Halten Sie an. Wir steigen hier aus.«
Der Wagen blieb stehen, und die beiden jungen Männer sprangen hinaus. Stan sprach geschwind auf den Fahrer ein; mit weichen, fremden Worten, die ihm leicht von den Lippen kamen. Ted nahm an, daß es sich um die Sprache der Eingeborenen handele. Der Fahrer war offensichtlich höchst erstaunt, von einem Unbekannten in seiner tahitischen Muttersprache angeredet zu werden, denn im schwachen Licht, das die Autolampen zurückwarfen, sah Ted ihn mit weit aufgerissenen Augen auf den Jungen starren. Gleich darauf lenkte der Mann den kleinen Wagen von der Straße fort und stoppte den Motor. Unverzüglich hüllte die leuchtende Dunkelheit der Tropennacht ihn ein.
Stan schob seinen Freund am Ellenbogen weiter, bis die ein paar Meter vom Auto entfernt waren. »Ich habe dem Fahrer aufgetragen, hier auf uns zu warten«, sagte er. »An dieser Stelle macht die Straße einen Bogen landeinwärts, doch die Plantage liegt gerade vor uns am Rande einer kleinen Bucht. Wir können besser von hier aus zu Fuß weitergehen.«
»Ein guter Gedanke«, stimmte Ted zu, als er an Stans Seite weiterging. »Corkery ist bestimmt zu dieser Plantage hin unterwegs.«
Schweigend liefen sie den schmalen Weg entlang. Zu beiden Seiten ragten gewaltige Kokospalmen auf, deren scharfe, gezackte Blattwedel hoch über ihnen in der leichten Meeresbrise rauschten.
Zwischen den schlanken Stämmen zu ihrer Linken schimmerte das milde Wasser der Lagune wie ein flacher Silberspiegel im Licht des aufgehenden Mondes; und von fernher drang das dumpfe Dröhnen der Brandung gegen das Riff an ihre Ohren.
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Plötzlich zog Ted die Luft mit neu erwachtem Interesse durch die Nüstern. »Was ist das für ein Duft, der einen an frisch gebackenen Kuchen erinnert?«
»Vanille, mon ami. Irgendwo hinter diesen Bäumen befindet sich eine Plattform zum Trocknen der Vanillebohnen. Vielleicht trocknet außerdem Kopra in der Nähe.«
Im Weitergehen warf Ted den Kopf in den Nacken und blickte zur Pracht des nächtlichen Tropenhimmels empor. Ihm war, als sei er in ein verzaubertes Märchenreich geraten, so herrlich und so unwirklich kam ihm diese Insel vor. Stan jedoch zerrte ihn bald in die Wirklichkeit zurück, indem er warnend flüsterte: »Hier beginnt die Plantage. Kein Wort mehr von jetzt an.«
Sie bogen vom Weg ab und tauchten in einen schmalen Pfad ein, der sich zwischen dick wuchernder Vegetation dahinwand.
Um sie herum waren die durchdringenden Gerüche tropischen Wachstums, und der Weg wurde manchmal so schwarz, daß sie nach oben blicken und sich am schmalen Streifen helleren Himmels orientieren mußten. Schließlich aber wich zu beiden Seiten der Dschungel zurück, und sie sahen durch einen Palmenhain die erleuchteten Fenster und die Veranda eines weitläufigen Hauses.
Auf einer Seite war überdies der unverkennbare dunkle Umriß eines parkenden Autos zu sehen.
Mit allergrößter Vorsicht und Behutsamkeit schlichen sie nun weiter, den Pfad verlassend und sich von Baum zu Baum fortbewegend. Das Mondlicht, das in langen Bahnen auf die Erde fiel, gemahnte Ted daran, daß sie überaus leicht zu entdecken waren, falls jemand im Hause wachte. Doch dieses Risiko mußten sie eingehen. Langsam brachten sie den Rand der Palmbaum-Plantage hinter sich, bis nur noch ein Stück Garten zwischen ihnen und dem Haus lag. Das geparkte Auto war von hier aus nicht mehr zu sehen. Sie mußten sich darauf verlassen, daß der eingeborene Fahrer auf seinem Sitz dahindöste und nicht durch die Anlagen um den Bungalow schlenderte.
Stan schlich als erster über den Weg zwischen den Blumenbeeten.
Sie stahlen sich leise an den Mangobäumen vorüber, umrundeten ein Gestrüpp aus Farnen, die höher wuchsen als ihre Köpfe, und überquerten einen winzigen Bach, an dessen Ufern Wasserlilien bizarre Schatten warfen. Als sie sich dem Hause näherten, nahm
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Ted mit einigem Widerwillen den übersüßen, an Begräbnisse erinnernden Duft der Frangipani-Blüten wahr, den ein niedriger Busch verströmte.
»Psst!« Stan hob warnend die Hand. Ted blieb reglos stehen.
Der tiefe Schatten eines Brotfruchtbaumes hüllte sie ganz ein.
Wenige Meter entfernt nur stand das Haus, ein langgestreckter Bungalow auf Pfählen. Licht strahlte aus offenen Fenstern ohne Jalousien. Durch die stille Luft drang Stimmenklang zu ihnen heraus. Ted fragte, sich dicht an seinen Freund drängend, schnelclass="underline"
»Wenn wir unter das Haus kriechen, können wir dann alles verstehen?«
»Ich glaube schon«, wisperte Stan. »Diese Art Häuser auf Tahiti besteht aus nichts als Flechtwerk. Man baut sie so hoch, damit sie bei Überschwemmungen und Wolkenbrüchen Sicherheit bieten.«
Ted unterdrückte einen erschrockenen Ausruf. Überschwemmungen — Wolkenbrüche! Welch ein Ort zum Leben! Er fühlte seine Pulse im Rhythmus des fernen Dröhnens der Brandung schlagen.
Mit plötzlicher Besorgnis blickte er über die Schulter zurück, halbwegs darauf gefaßt, eine Riesenwoge von der Lagune aus heranrollen zu sehen. Was er statt dessen wirklich sah, war etwas völlig anderes. Durch den Kokospalmenhain schlich ein Schatten näher herbei, der Schatten eines Mannes.