Er umklammerte Stans Arm. »Schau! Es folgt uns jemand!« Er wies in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Doch schon war die dunkle Gestalt zwischen den Palmenbäumen verschwunden. »Könnte es vielleicht Corkerys Fahrer sein?« flüsterte Stan.
Ted erwog es einen Augenblick lang. »Nein, der würde sich kaum so weit von seinem Auto entfernen, oder? Glaubst du, es könnte jemand sein, der uns von Papeete aus gefolgt ist?«
»Das möchte ich bezweifeln. Aber ich sehe auch niemanden. Bist du ganz sicher, mon ami? «
»Absolut«, nickte Ted.
»Nun zurückgehen können wir also sowieso nicht, selbst wenn wir wollten. Gehen wir also weiter. Einmal unter dem Haus, hören wir vielleicht etwas — «
Er bewegte sich wieder, und Ted folgte behutsam und vorsichtig.
Von Baum zu Baum springend, jedes Gebüsch zur Deckung nutzend, waren sie bald im Schutz der breiten Veranda angelangt,
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die um drei Seiten des Hauses lief. In der völligen Dunkelheit hielten sie inne; Ted kam das eigene Atmen wie das Dröhnen eines Sturmwindes vor. Stans Hand griff nach seinem Arm und führte ihn. Damit sie nur ja nicht versehentlich einen der Pfähle anstießen, krochen sie im Schneckentempo voran. Auf der Vorderseite des Hauses angelangt, konnten sie von oben das undeutliche Murmeln von Stimmen vernehmen.
Aus ihrem Versteck sahen sie die Auffahrt vor sich liegen, und mitten darauf stand Corkerys großes Taxi wuchtig im Mondlicht.
Auf dem Führersitz erkannten sie deutlich das Glimmen einer Zigarette. Es war also keinesfalls der Fahrer gewesen, der ihnen durch den Garten gefolgt war! Teds Blick wanderte den Weg zurück, den sie gekommen waren, doch die Büsche, die Bäume und die Farne standen still vor dem mondblassen Himmel, und keine Schatten regten sich zwischen ihnen. Bis auf das ferne Schlagen der Brandung lag alles rundum im Schweigen der Tropennacht. Wieder klang Stimmengemurmel auf. Geräuschlos glitten sie in der Richtung weiter, aus der der Ton kam, bis ein lautes Lachen zu ihren Häupten sie jählings erstarren ließ. Corkerys Stimme!
Für die Dauer von zwei Dutzend Herzschlägen wurde die Stille nur durch das Klingeln von Eis in den Gläsern oben unterbrochen; dann sprach der Agent wieder, und die Worte kamen deutlich zu ihnen. »Der Papagei?« knurrte er. »Was für einen Unterschied soll das schon machen?«
Die Antwort bestand in einem tiefen Brummen, das sie nicht verstehen konnten.
Als Corkery wieder sprach, war seine Stimme scharf und beißend geworden. »Wie kann man wegen solcher Kleinigkeit nur so viel Theater machen? Sie erstaunen mich wirklich, Thatcher.«
Thatcher! Ted bohrte die Fingernägel in die Handballen. Ein jähes Triumphgefühl überwältigte ihn. Thatcher, der Besitzer der Plantage, befand sich also doch hier! Das Mädchen im Cafe hatte sich geirrt.
Die Antwort kam wieder in tiefen, drohenden Tönen, die durchs Haus vibrierten. Ted fing das Wort »Frisco« auf und dann
»Geld«. Was hatte es zu bedeuten?
»Sie haben einen Fehler begangen, als Sie zurückkehrten«, er-
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widerte der Agent, offenkundig völlig ungerührt. »Ich erkenne alles an, was Sie getan haben, und bin durchaus bereit, gut für Sie zu sorgen. Aber schauen Sie her, Thatcher — «
»Sie haben mich betrogen!« Diesmal war der Satz klar und verständlich, und auch die lange Reihe von Flüchen, die ihm folgte, war deutlich zu verstehen.
Teds Muskeln spannten sich. Diese Stimme! Wo hatte er sie schon gehört? Die tiefen rauhen Töne kannte er gut, doch sosehr er sich auch bemühte, fiel ihm nicht ein, zu wem sie gehörten. —
Plötzlich packte ihn Stan beim Arm. »Schau! Draußen!« wisperte er gespannt. »Dort, woher wir gekommen sind.«
Eisige Furcht überfiel Ted augenblickslang. Er warf sich herum.
Kein Zweifel — durch den mondbeschienenen Garten kroch ein Schatten herbei. Sich gewaltsam zusammenreißend, brachte der junge Mann den Mund dicht an das Ohr seines Freundes. »Ich werde gehen und nachsehen, wer es ist. Bleib du hier und merk dir jedes Wort. Wir treffen uns draußen auf dem Pfad wieder.«
Im nächsten Moment schon stahl er sich geräuschlos aus dem tiefen Dunkel des Hauses und rannte geschwind durch den Garten. Keine Spur von Furcht war mehr in ihm, nur noch die überwältigende Neugier, zu erfahren, wer wohl so sehr an ihnen interessiert war, daß er ihnen bis zu diesem völlig entlegenen Orte folgte. Jemand von der Araby? Chapman? Er fegte in langen Sätzen über die mondbeschienenen Stellen weg auf die hohen Palmen zu, die sich zwischen ihm und der Lagune erhoben.
Schon hatte der unbekannte Verfolger Fersengeld gegeben. Er war bis an den Rand des Palmenhains zurückgewichen und schoß nun zwischen den schlanken Stämmen dahin, um im Bogen wieder auf den Pfad zurückzugelangen. Doch Ted hatte nicht vor, den Burschen entkommen zu lassen, ohne sein Gesicht zu sehen.
Hatte nicht jemand auf dem Schiff eine geheime Botschaft an Corkery gesandt? Hatte nicht vielleicht diese gleiche Person den Windreiter im Sturm losgeschnitten? Dieser Mann mußte gefunden werden. Ein einziger Blick löste vielleicht noch in dieser Nacht das ganze Rätsel auf. Mit heftig klopfendem Herzen jagte der dem Flüchtling durch die Schwüle der Nacht nach.
Vor Anstrengung brach ihm der Schweiß auf dem Gesicht aus seine Kleider fühlten sich plötzlich feucht und stickig an. Der
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Mann vor ihm schlüpfte von Baum zu Baum, und Ted war gezwungen, den geraden Weg durch die Palmpflanzung einzuschlagen. Als er den Pfad erreichte, sah er den Menschen nur wenige Meter vor sich. Mit einer letzten Kraftanstrengung schleuderte er sich vorwärts, überholte ihn, packte ihn beim Arm und brachte ihn zum Stehen. »So entwischst du mir nicht!« rief er schweratmend. »Was hast du hier zu suchen?«
Ein Mondstrahl fiel voll auf die Gestalt des Mannes. Teds Augen erblickten einen Fremden — und zwar einen Fremden, dessen gespenstisches Aussehen den Dritten Offizier vor Verblüffung Mund und Nase aufsperren ließ. Zwischen dem Schlapphut und den immensen Schuhen trug der Mensch nichts als ein selbstgemachtes Gewand aus Sackleinen. Sein Gesicht war dunkel und bärtig; nur die Augen, die nun verängstigt zu Ted aufblickten, verrieten, daß das seltsame Geschöpf lebendig war und nicht nur ein Produkt der reinen Phantasie.
»Was hast du vor?« brüllte Ted ihn in seiner besten Dritte-Offiziers-Manier an. »Was fällt dir ein, uns zu folgen?«
Eine Sekunde später schon verging Teds Ärger vor der Erkenntnis, daß er einen jener pittoresken Burschen vor sich hatte, von dem die Romane und Berichte aus diesen Breitengraden so oft erzählten, von denen er viel gehört, die er jedoch nie selbst gesehen hatte — einen Strandläufer, einen jener heruntergekommenen Weißen also, die auf den Inseln des Pazifik den Strand abkämmen, einen Mann, der so tief gesunken ist, daß er von den Resten eingeborener Zivilisation lebt, aufnimmt, was er an Weggeworfenem findet, bettelt, wenn sich die Gelegenheit bietet, und öfter noch einfach stiehlt. So einer stand nun vor ihm! Ted mußte beinahe lachen — ein solcher Kerl interessierte sich bestimmt nicht für die Affären der Araby.
»Ich bin Ihnen nicht nachgefolgt«, versicherte der Mann in einem leisen Ton, der in winselndem Gejammer endete.
»Was hattest du denn dann vor?« wollte der Dritte Offizier wissen.
Das stoppelige Gesicht des Strandläufers wandte sich hierhin und dorthin, als suche er nach einer Möglichkeit zu entkommen.
»Sie leben ja auch nicht hier«, muckte er endlich auf. »Was haben denn Sie vorgehabt, he?«
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Dieser unerwartete Angriff machte Ted sprachlos. Er nahm die Mütze vom feuchten Haar und wischte sich Kopf und Gesicht mit dem Taschentuch ab. »Vermutlich«, meinte er, vom Ergebnis seiner nächtlichen Jagd bitter enttäuscht, »hattest du eine verschwiegene kleine Expedition vor — zu den Hühnerställen, wie?«