Etwa zwölf Herzschläge lang gab der Mann keine Antwort; endlich warf er sich herum und sprach mit großem Nachdruck.
»Sie würden besser nicht nach Tahiti heimfahren, junger Mann.
Besorgen Sie sich hier Arbeit. Bleiben Sie hier!«
Ted starrte ihn verwirrt an. Dieser jähe Wechsel — was hatte er zu bedeuten? Was wußte Kapitän Jarvis vom Vater dieses Jungen? Und selbst wenn er den Namen erkannte, weshalb nahm seine Stimme dann diesen kühlen, abstandhaltenden Ton an, den man so deutlich heraushörte? Im Charakter des tätowierten Mannes gab es harte Stellen, wie Ted genau wußte, und doch konnte in Zeiten der Not niemand — wie Ted ebenfalls wußte — mitfühlender und verständnisvoller sein.
»Weshalb sollte ich denn nicht heimfahren?« protestierte Stan Ridley. »Weshalb stellt sich mir an jeder Ecke ein neues Hindernis entgegen?« Er warf die Arme in einer Geste der Verzweiflung hoch. »Sie wissen etwas von meinem Vater, Kapitän Jarvis! Sie verheimlichen mir etwas.«
Der große Mann regte sich nicht. Im grauen Licht, das durch die Bullaugen sickerte, schienen seine blauen Augen dunkel und undurchdringlich zu werden. »Wenn ich es täte«, sagte er nach längerer Zeit, »so geschähe es nur zu Ihrem eigenen Besten.«
»Ich bin aber längst kein Kind mehr«, entgegnete der Junge mit unsicherer Stimme. »Ich bin fast achtzehn. Erzählen Sie mir die Wahrheit, Sir. Ich halte alles eher aus als diese unselige Spannung.«
Im gleichen Augenblick spürte Ted, wie die Miene des Kapitäns milder wurde. »Wenn ich mit etwas hinter dem Berge halte, mein Junge, so nur deshalb, weil ich die Informationen, die ich erhalten habe, nicht weitergeben darf.«
»Selbst mir nicht?«
Kapitän Jarvis nickte. »Selbst Ihnen nicht.«
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Einen Augenblick lang war in der Enge der Kabine kein Ton zu vernehmen; dann drehte sich Stan Ridley langsam zur Tür um.
Seine Hand tastete über das Holz, blieb auf dem Knopf liegen.
Irgend etwas in der Haltung jener herabhängenden Schultern regte Ted zum Handeln an. Erstaunt, ja betrübt, schaute er zum Kapitän hin, zu jenem Manne, der ihm so oft ein Freund gewesen war. Was nun? Was stimmte hier nicht? Welches Mißtrauen hatte die Nennung des Namens Stanhope Ridley wachgerufen?
Doch noch während er Jarvis' regloses Gesicht betrachtete, schlossen sich Teds Lippen, ehe das beabsichtigte Wort des Protestes ihnen entfahren war.
Unter der Hand des jungen Ridley öffnete die Tür sich Zentimeter um Zentimeter. Jählings hielt er jedoch in der Bewegung inne und riß sich mit sichtlicher Anstrengung zusammen. Seine Schultern fuhren zurück, der Kopf ging in die Höhe. Sich umdrehend, schaute er Jarvis mit flammender Miene an. »Ich werde trotzdem heimfahren«, sagte er herausfordernd. »Jawohl, auch wenn Sie mir nicht helfen wollen oder können. Irgendwie werde ich mit dem nächsten Schiff hinkommen. Ich werde herausfinden, was da nicht stimmt! Ich werde es herausfinden!«
Tom Jarvis betrachtete ihn mit anerkennendem Blick. Vielleicht hatten die Kleidungsstücke des Jungen, zweifellos Modelle der Fifth Avenue, ihm einfach einen falschen Eindruck vermittelt.
Beim Klang der entschiedenen Stimme, beim Anblick des nicht zu unterdrückenden Feuers, das aus den dunklen Augen blitzte, bei dem gespannten Ausdruck auf dem schmalen Gesicht erwies sich Tom Jarvis als ein ganzer Mann. Er war ein Mensch, der, wie Ted wußte, als Kämpfernatur gern anderen Kämpfern begegnete; und da vor ihm stand einer, der ganz sicher von gleicher Art war.
»Junger Mann«, erwiderte er langsam, »und wenn ich Ihnen nun tatsächlich eine Koje geben würde?«
»Auf der Araby?« Stan Ridleys Stimme bebte vor Bewegung.
»Wenn Sie das täten, Kapitän Jarvis, würde ich alles für Sie tun und nie aufhören, Ihnen zu danken.«
Der Kapitän ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. »Nun gut, Moran, sehen Sie zu, daß er eine Koje und passende Klamotten bekommt. Wir können ihn ja nicht in den Sachen, die er jetzt anhat, auf Deck herumlaufen lassen.«
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Er warf dem Jungen abermals einen durchdringenden Blick zu.
»Es wird Ihnen wahrscheinlich leid tun, Ridley, wenn Sie mitfahren. Ich warne Sie! Bleiben Sie hier!«
Stan Ridleys Gesicht verlor langsam jede Farbe. Seine Hände bewegten sich nervös. »Ich danke Ihnen, Sir«, sagte er, »doch was auch immer los ist — ich fahre heim. Alles ertrage ich besser als dieses Ungewisse Warten. Ich fahre.«
Am nächsten Nachmittag stach die Araby in See. Unter einem wolkenverhangenen Himmel passierte der alte Trampdampfer das Golden Gate, ließ den Lotsen jenseits des Hafens von Bord und dampfte südwärts.
Der Dritte Offizier Moran kam nach dem Sechsuhressen in der Klesse an Deck. Die Nacht war bereits schwarz, und von steuerbord her wehte ein beißender Wind. Er überquerte das Vordeck nach backbord, lehnte sich über die Schiffswand und blickte in die undurchdringliche Tiefe hinunter. Sein Herz sang vor Freude.
Zum Donner, es war kein Irrtum gewesen, das College aufzugeben und die Seefahrtsschule zu besuchen! Er bestätigte es sich zu wiederholten Malen. Nach seiner reichlichen Erfahrung als Vollmatrose war es ihm leichtgefallen, alle Examen zu bestehen; das Angebot dieses Postens auf der Araby war dann wie eine Antwort auf seine tiefsten Sehnsüchte gewesen; und nun machte er also seine erste Reise als Offizier. Wieder einmal war er auf See, mit Kurs auf jene tropischen Inseln südlich des Äquators, von denen er immer schon geträumt hatte — den palmenbestandenen Inseln der Südsee. In geradezu ekstatischer Vorfreude hob er den Kopf und schaute uferwärts dorthin, wo eine Kette winziger Lichtperlen das letzte war, was er von seinem Heimatland erblicken konnte.
Als sich plötzlich die Tür des Mannschaftslogis auftat, fiel ein breiter Lichtstrahl übers Deck bis fast vor seine Füße. Sich umdrehend, sah er auf einen Haufen Bettzeug durch die Luft segeln und in jenem Streifen gelber Helligkeit niederfallen. Zuerst kamen zwei Bettlaken, dann eine Strohmatratze, als nächstes ein
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teurer Lederkoffer, der hier auf dem Vordeck völlig fehl am Platze aussah. Aus dem Logis dröhnte ungestümes Gelächter nach draußen. Schrille Stimmen schlugen mit einem Male um und vereinten sich plötzlich zu einem alten Shanty; und zum rhythmischen Takt dieses Seemannsliedes wurde ein blauer Gegenstand hinausbefördert, der bewegungslos auf dem Haufen Bettzeug liegenblieb.
Als Ted Moran noch verwundert hinschaute, sah er, wie sich der Gegenstand zu regen begann. Zuerst stieß ein weißer Fuß vor, ein Arm kam ins Blickfeld, ein dunkler Kopf hob sich in die Höhe.
Der Dritte Offizier sah sich seinem Schützling vom vergangenen Nachmittag gegenüber.
Im hellen Viereck der Tür tauchte die Gestalt eines Seemannes auf, und eine Stimme schrie: »Hältst dich woll fürn Hahn im Korb hier, wat? Mensch — Mann, hau dich heut nacht man an Deck hin, bei uns biste überflüssig. Zieraffen gibt's in dem Logis hier nich.
Schlaf gut, Süßer!«
Die eiserne Tür knallte zu. Dunkelheit umfing das Deck wieder.
Stumm vor Staunen blieb Ted Moran stehen. Und in dem Schweigen, das nur vom Pfeifen des Winds in der Takelage und dem Rauschen des Wassers an der Schiffsseite unterbrochen wurde, hörte er einen unterdrückten Schluchzer.
Ted machte einen Schritt nach vorn. »Was ist los, Ridley?«
Ohne etwas zu erwidern, machte der Junge sich von dem Bettzeug frei und stand auf. Auf bloßen Füßen wollte er davonlaufen.
»Halt — wo wollen Sie hin?« rief Ted ihm nach.
Im Dunkeln zögerte Stan Ridley, blieb stehen, wandte sich schließlich um. »Wer ist da?« rief er.
»Oh, nur ich — der Dritte Offizier. Was ist passiert?«
»Sie haben mich aus dem Logis rausgeschmissen — diese Bullies!
Denen werd' ich es schon zeigen!«