Das würde auch den ärgerlichen Disput wegen fehlender Gelder zwischen Thatcher und Corkery erklären. Und wenn der Bootsmann Thatcher war, dann bildeten die Fäden in Kapitän Jarvis'
kleiner Weberei allmählich ein erkennbares Muster, verwoben zu einem immer dichteren Gebilde. Der Bootsmann! Ted ballte die Fäuste, bis die Knöchel sich weiß vor dem Grün der Tischbespannung abhoben. »Haben Sie den Bootsmann heute abend an Land gesehen, Joe Macaroni?«
Ted zuckte aus tiefem Nachdenken hoch. »Ja, Sir. Stan und ich saßen im Mariposa-Cafe, als der Bootsmann mit Gorilla Smith und Chapman zusammen aufstand und die Straße entlang fortging.«
»Wie lange dauerte es dann noch, bis Corkery sein Taxi bestieg?«
»Vielleicht zehn Minuten.«
Jarvis hob die Hand, um die kurzen Stoppeln auf seinen mächtigen Kinnladen zu kratzen. »Das hätte dem Bootsmann reichlich Zeit gelassen, selbst ein Taxi zu nehmen und auf der Plantage anzukommen, ehe einer von euch dort eintraf.«
Ted protestierte. »Es war aber nur ein einziger Wagen vor dem Bungalow geparkt, und wir sind keinem zurückkehrenden Taxi begegnet, als wir hinausfuhren. Die Straße war verlassen. Und beide Männer sind in Corkerys Wagen von Taunoa zurückgefahren.«
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Jarvis erhob sich und schritt schweigend in der Kabine auf und ab.
Ted spürte, wie er all die neuen Fäden, die sie ihm gebracht hatten, in seine Weberei einfügte. Sah der große Mann einen Lichtschimmer vor sich? Das Problem selbst war nicht viel kleiner geworden.
Denn auch wenn Corkery der Schuldige war — woran Ted nicht im geringsten zweifelte —, mußte der Kapitän endgültige und überzeugende Beweise haben, Beweise, die die Schuld des Agenten auch vor einem Gerichtshof eindeutig belegten. Hinter der Serie merkwürdiger und unheilvoller Vorkommnisse hier in der Südsee steckte zweifellos ein scharfer und skrupelloser Planer.
Gab es irgendwo eine schwache Stelle im Gewebe, einen winzigen Fehler, den Jarvis' gleichermaßen brillanter Verstand entdecken würde? Nachdem der Windreiter fort war, nachdem Stanhope Ridleys Schicksal weiterhin ein Geheimnis blieb, gab es ja kaum eine Möglichkeit, die Mauer zu durchbrechen, hinter der sich Corkery so fest verschanzte.
Während Teds Gedanken schweiften und die Stille der Kabine bis auf das Surren des elektrischen Ventilators und die regelmäßigen Schritte des Kapitäns, der immer noch auf und ab ging, durch nichts unterbrochen wurde, schien Stan Ridley von zunehmender Unrast gepackt zu sein. Endlich streckte er die Hand aus und zupfte Ted am Ärmel. »Mon ami«, sagte er mit bebenden Lippen,
»ich habe Angst.«
»Angst?« Ted betrachtete seinen Freund mitfühlend. »Wovor denn nur?«
»Ach, nicht meinetwegen — ich habe Angst um meinen Vater«, erläuterte Stan. Seine dunklen Augen waren von Vorahnung überschattet; sein Atem ging schnell. »Heute abend hast du mir erzählt, was mit diesen Leuten geschehen ist, die von der Versicherungsgesellschaft hergeschickt wurden — Y und Z, wie du sie nanntest. Der eine verschwand auf Nimmerwiedersehen; der andere wurde mit einem Messer im Rücken auf dem Quai Gallieni aufgefunden. Mon Dieu, wie soll ich noch hoffen, daß mein Vater diesem Schicksal entronnen ist?« Er stand jählings auf und stellte sich mit dem Rücken zum Tisch hin.
»Oh, komm, Stan — verlier nicht den Mut!« rief Ted.
Der Junge fuhr herum. Im Lampenlicht waren seine Wangen blutleer; aus den Augen strahlte ein erregtes Feuer. »Glaubt ihr
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denn wirklich, ich sähe nicht, wohin das alles führt? Kapitän Jarvis und du habt es zwar seit der Landung noch kein einziges Mal erwähnt, aber ich sehe es trotzdem. Wenn mein Vater tatsächlich noch lebt, wie soll es ihm dann gelingen, der Mordanklage zu entgehen? Wer glaubt ihm, daß nicht er diese beiden Menschen umgebracht hat? Und selbst wenn er unschuldig wie ein neugeborenes Kind ist — wie soll er es beweisen? Mit Corkerys Hilfe? Niemals! Der Mann würde zusehen, wie mein Vater auf die Teufelsinsel verbannt oder in die Strafkolonie nach Noumea gebracht würde, ohne auch nur den kleinen Finger zu seinen Gunsten zu erheben.« Die Jungenstimme wurde schrill. »Und Thatcher? Ein Mann, der seine eigenen Auftraggeber verraten hat? Nein, der steckt allzusehr mit Corkery unter einer Decke, um eines ihrer Geheimnisse preiszugeben. Wir stehen vor einer unübersteigbaren Mauer.« Stan hörte einen Augenblick auf zu sprechen, und seine furchterfüllten Blicke gingen zur wuchtigen Gestalt seines Kapitäns hin. »Selbst Sie, Sir, wissen ja nicht, was zu tun ist. Selbst Sie!«
»Tatsächlich«? Jarvis fuhr ärgerlich auf; seine Kinnladen schoben sich herausfordernd vor. »Weiß ich das nicht? Zum Teufel noch mal — die Sache ist für mich so gut wie erledigt. Das heißt, zumindest in meinen Augen ist das Rätsel gelöst.«
»Wollen Sie sagen, Sir — «, stammelte Stan.
»Ich will sagen, daß mir nur noch ein paar Kleinigkeiten fehlen, ehe ich fertig bin. Oh, ich gebe zu, daß ich nicht weiß, wo Ihr Vater ist und was aus ihm geworden ist; doch Corkery werde ich bald da haben, wo ich ihn haben will.«
Der Kapitän hob eine der tätowierten Hände und ballte sie mit einer drehenden, abwürgenden Bewegung zur Faust. »So habe ich ihn; und da wagen Sie es, mir vorzuwerfen — also, da soll doch der Leibhaftige selber — !« Er schnaubte. »Mein Lebtag ist mir das noch nicht vorgekommen! Sie glauben also, Tom Jarvis schaffte es nicht, einer solchen Affäre auf den Grund zu kommen?
Geben Sie mir nur noch vierundzwanzig Stunden!«
»Es — es tut mir leid, Sir«, stotterte Stan. »Ich fühlte mich so triste, so entmutigt.«
»Ja, das habe ich gemerkt.« Jarvis ging zum Tisch hinüber. »Habt ihr beiden heute abend schon was zu futtern gehabt? Nein? Zu
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sehr beschäftigt, wie?« Der große Mann lachte in sich hinein. »Na, das erklärt vieles. Als ich mal in Shanghai auf dem trockenen saß und drei Tage lang gründlich Kohldampf schob, dachte ich auch, die ganze Welt habe sich gegen mich verschworen. Und dann legte ein amerikanischer Frachter an, und der Smutje stiftete mir 'ne ordentliche Mahlzeit, und die gleiche Welt war plötzlich eine Märchenwelt geworden. Was Sie brauchen, ist eine gute Portion Futter. Sehen Sie zu, daß Sie noch was bekommen. Dann habe ich für euch beide weitere Aufträge. Wir fangen unseren Kampf ja eben erst richtig an. Und wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«
Ted sprang auf. »Sagen Sie uns nur, was wir tun sollen, Kapitän Tom!«
»Ja«, fiel Stan atemlos ein, »geben Sie mir auch eine Chance!«
»Gut.« In den hellblauen Augen blitzte jenes kampflustige Feuer auf, das Ted als ein untrügliches Zeichen dafür kannte, daß der große Mann sich dem Sieg sehr nahe fühlte. »Ridley, suchen Sie den Fahrer des Taxis, mit dem Corkery heute abend nach Taunoa gefahren ist. Und lassen Sie sich eine möglichst genaue Beschreibung von Thatcher geben! Während Sie damit beschäftigt sind, haben Moran und ich hier alle Hände voll zu tun.«
»Jawohl, Sir.« Stan wandte sich unverzüglich zur Tür.
»Einen Augenblick noch.« Der Herr der Araby hob die Hand und hielt ihn mit einer energischen Geste zurück. »Welche Eigenschaft des Bootsmanns ist am augenfälligsten? Welcher einzelne Beweis ist dafür vorhanden, daß Thatcher und er die gleiche Person sind?«
Stans Gesicht verdüsterte sich. »Hm — der Bootsmann ist untersetzt, breitschultrig und nicht sehr groß.« Er hielt eine Sekunde inne, schaute dann auf. »Ich hab's! Der Bootsmann hinkt.«