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»Weil — weil«, stotterte der Mann gequält, »weil es ja gerade das ist, dem ich zu entfliehen suche.«

Einen Moment lang füllte Totenstille die Kabine. Dann regte der Herr der Araby sich leicht. »Was wollen Sie damit sagen, Mann?«

»Schwedische Gardinen, meine ich. Gefängnismauern.« Chapmans Augen glitzerten nun fremd wie die eines Irren oder Fanatikers.

»Ich komme nicht los davon. Sie sind um mich herum, schließen mich ein, versperren mir den Weg, wo immer ich auch bin.« Seine Stimme wurde hoch und schrill. »Selbst hier fühle ich sie um mich — hier, wo ich glaubte, daß mich niemand je fragen, niemand es je erfahren würde.«

Von draußen drang das Kreischen eines Krans herein, der seine Ladung Fracht an Land schwenkte. Die Pfeife des Bootsmannes durchdrang schneidend den Lärm.

Chapman schien sich mit Anstrengung zusammenzureißen. Er sah dem Kapitän voll in die Augen. »Haben Sie daheim in Frisco je vom Fall Grant gehört, Sir?«

»Ein Fall Grant?« Jarvis schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht entsinnen.«

»Aber ich habe davon gehört«, mischte sich der Dritte Offizier spontan ein. »Sie waren im Orient, als es passierte. Alle Zeitungen waren voll davon — und voll mit Bildern.« Ted wandte sich abrupt dem Mann vor dem Tisch zu. »Sie sind aber nicht Grant,

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Chapman. Seine Bilder sahen ganz anders aus. Zudem ist dieser Grant im San-Quentin-Gefängnis. Seit acht Monaten, würde ich sagen.« Chapman ließ die Lider über die blassen Augen fallen.

»Jener Mann war mein Bruder.«

Jarvis runzelte die Brauen. »Aber was hat das alles mit Ihnen zu tun, Mensch?«

»Was das mit mir zu tun hat?« wiederholte der andere bitter.

»Oh, begreifen Sie denn nicht, Kapitän Jarvis, wie es ist, wenn man täglich den gleichen Leuten begegnet? Wissen Sie nicht mehr, wie man an Land lebt — in immer der gleichen Umgebung? ...

Mein Bruder veruntreute Gelder einer der führenden Banken von San Francisco — der Bank, bei der auch ich arbeitete. Er kam vor Gericht. Er hatte selbst keine Familie, ich jedoch hatte eine.«

Seine Stimme bebte, doch er fuhr tapfer fort: »Reporter umstellten meine Wohnung, drangen bis in das kleine Büro vor, in dem ich seit Jahren arbeitete. Ich war der Bruder eines Betrügers, eines Verbrechers. Er war nicht verheiratet, aber ich hatte eine Frau. Unsere Bilder erschienen in allen schmutzigen Revolverblättchen, allen Skandalzeitungen — auch Bilder meines Sohnes, und der ist erst sieben Jahre alt. Können Sie sich vorstellen, was das alles bedeutete? ... Oh, wir haben immer zu meinem Bruder gestanden, auch während der Verhandlung. Ich habe den besten Anwalt verpflichtet, den ich nur bekommen konnte. Und meine Frau war meiner Meinung. Nachdem alles vorüber war und er auf die andere Seite der Bay ins Gefängnis geschickt wurde, stellten wir fest, daß unser Leben sich von Grund auf geändert hatte.

Daß es nie mehr wie früher würde.«

Chapman starrte blicklos auf seine Hände nieder. »Auf der Straße drehten die Leute sich um, Gesichter starrten uns an, die Nachbarn wisperten hinter unserem Rücken. Mein Junge wurde heimgeschickt, wenn er mit seinen Freunden spielen wollte. Auch ihn hatte man schon mit dem Zeichen des Verbrechers abgestempelt! Meine Vorgesetzten bei der Bank, Männer, für die ich wie ein Sklave gearbeitet hatte, sahen mich nun mißtrauisch an. Oh, sie versuchten, es vor mir zu verbergen — wahrscheinlich geschah es nicht einmal absichtlich, doch ich spürte es trotzdem. Mein Bruder befand sich in San Quentin; er hatte unsere Bank geschädigt und betrogen.«

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Ein Schluchzer, den er nicht zurückhalten konnte, schüttelte den dünnen Körper des Mannes. Ted verspürte tief innerlich heftiges Mitleid sich regen und dazu die bittere Erkenntnis, wie grausam und ungerecht das Leben manchen Menschen m itspielte. Gefängnismauern warfen ihre Schatten über diesen Mann und ruinierten ihn.

Jarvis straffte seinen mächtigen Körper. »Tut mir aufrichtig leid, das hören zu müssen, Grant«, sagte er.

»Danke.« Der Mann warf einen Blick auf den Kapitän, fuhr dann lustlos fort: »Ich schickte meine Frau weg. Sie ertrug es nicht länger, und so nahm sie eines Tages den Jungen und kehrte zu ihrer Familie im Osten zurück. Wir dachten, die Sache würde allmählich im Sand verlaufen. Aber — aber das geschah nicht. Bei der Bank wurde es immer schlimmer. Ich konnte deutlich sehen, daß sie mich dort nicht mehr haben wollten — daß sie mich nicht wollten und doch zu feige waren, es mir zu sagen. Da gab ich schließlich auf. Ich war am Ende meiner Kräfte angelangt. Mein Leben war erledigt — nicht durch eigene Schuld. Deswegen kaufte ich die fremden Papiere und fuhr mit Ihnen, Kapitän Jarvis. Ich dachte, ich könnte die Vergangenheit hinter mir lassen. Nun merke ich, daß auch das nicht geht.«

Einen Augenblick lang schwieg der Kapitän. Ein seltsamer Ausdruck huschte über sein rauhes Gesicht. Dann stand er auf, stützte sich entschlossen auf beide Hände und lehnte sich über die grüne Tischbespannung. »Setzen Sie sich, Grant«, befahl er freundlich.

»Ich bin froh, daß ich die Wahrheit kenne.«

»Ich bin am Ende, Kapitän Jarvis. Ich kann nicht mehr weiter.«

Grant sackte plötzlich auf den nächsten Stuhl.

Bei diesen Worten blickte Ted den Herrn der Araby mit neuem Verständnis an. Der Kapitän trug auf seinen Schultern nicht nur die Verantwortung für das Schiff, für dessen Wohlergehen auf See und im Hafen, sondern er mußte sich auch alle die Nöte der Männer an Bord zu eigen machen. Er war der Herr, und dies war sein Schiff; er war der Kapitän, und dies waren seine Leute. Gab es keine Begrenzung des Gewichts, das seine Schultern tragen mußten? Das ist die einsame Last der Befehlsgewalt, dachte Ted bei sich.

Ich bin am Ende, Kapitän Jarvis. Ich kann nicht mehr weiter. Wel-

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che Antwort würde Tom Jarvis diesem Mann geben? Ted wußte, als er zu seinem Kapitän hinschaute, daß unter den auf die breite Brust tätowierten ringelnden Drachen ein Herz voller Mitgefühl schlug, das allen in Not geratenen Mitmenschen zu helfen bestrebt war.

Mit einer jähen Bewegung hob der Kapitän den Kopf. »Sie behaupten, nicht mehr weiter zu können?« sagte er scharf. »Ich sage Ihnen, Sie können es! Sie werden mit mir nach Frisco zurückfahren. Sie werden weitermachen!«

Irgend etwas in der metallenen Stimme schien den Mann aus der tiefen Niedergeschlagenheit herauszureißen. Er starrte Jarvis an wie ein Ertrinkender auf offenem Meer einem plötzlich auftauchenden Rettungsring.

»Jawohl, Sie gehen in die Staaten zurück«, wiederholte Tom Jarvis. »Sie können nicht so einfach aufgeben. Haben Sie noch Geld?«

»Nein, Sir. Alles, was ich hatte, habe ich meiner Frau und dem Jungen in den Osten nachgeschickt.«

»Sie werden gleichfalls an die Ostküste gehen.«

Ein Paar tiefgesunkener Augen sah zu dem strengen Gesicht des Kapitäns auf. »Wie könnte ich denn?«

»Ich werde Ihnen das Geld vorschießen. Ich glaube an Sie, Grant — so sehr, daß ich Ihnen genügend Geld für einen neuen Anfang mitgeben werde. Versuchen Sie es in irgendeiner großen Stadt im Osten, wo die Geschichte sich nicht rundgesprochen hat.«

»Wenn ich nur könnte!« Die Worte waren so voll inbrünstiger Hoffnung wie ein geflüstertes Gebet.

»Sie können. Sie wollen auch.«

Langsam erhob sich der Mann. Er griff über den Tisch weg und umschloß die ausgestreckte Hand des Kapitäns. »Sie haben mir neuen Mut gegeben, Sir.«

»Gut«, sagte Jarvis plötzlich. »Das genügt für heute abend, Grant.

Den Rest erledigen wir später. Im Moment muß ich mich einer anderen Sache widmen.«

»Jawohl, Sir«, erwiderte Chapman. Sein Schritt war leichter, als er zur Tür ging, dort kurz zögerte, dann ohne ein weiteres Wort verschwand.

Ted ging zum Tisch hinüber und ließ sich in einen Sessel fallen.