Hochagtungsvol London Toppy.«
Ted sah mit einem breiten Grinsen auf. »Sieht aus, als ob Toppy ziemlich verdrossen war!«
Ein jungenhaftes Lachen schallte über das weite Deck. Dann sagte Jarvis munter: »Oh, das übersteht er schon. Ist ja schließlich nicht das erste Mal! Wenn der Schwede zurückkommt — und das tut er ohne Zweifel —, dann kommt Toppy mit. Wir gehen jetzt zuerst in mein Büro, Joe Macaroni.«
Als sie die Treppe hinabstiegen, redete Jarvis in leiserem Ton weiter. »Wir müssen den Schoner so bald wie nur möglich hier haben, Dritter. Er ist ein wichtiges Beweisstück. Er wird den Fall weithin erledigen.«
Ted warf einen Blick auf das scharfgeschnittene Profil neben sich.
»Soll das heißen, daß Sie Ihr Muster klar vor sich sehen?«
»Nein, noch nicht ganz. Ich muß unbedingt den Schoner hier haben. Ich möchte ihn vom Bug bis zum Heck mit äußerster Sorgfalt untersuchen.« Sie waren nun auf dem Kabinendeck angekommen und gingen nach hinten. »Haben Sie je von der Mary Céleste gehört?«
Ted forschte in seinen Erinnerungen. »Der Name kommt mir bekannt vor, Kapitän Jarvis, aber ich weiß nicht mehr genau, um was es sich handelt. Sie war doch nicht der französische Trampdampfer, der in Schanghai neben uns lag?«
»Nein. Sie war eine amerikanische Brigg, die vor mindestens fünfzig Jahren von New York nach Genua segeln wollte. Nicht weit von den Kanarischen Inseln entfernt wurde sie treibend aufgeholt. Keine Menschenseele befand sich an Bord.«
Ted folgte dem Kapitän die Leiter zum Achterdeck hinab. »Was war geschehen?«
»Das weiß niemand. Kein Mitglied der Besatzung wurde je wie-
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dergefunden. Theorien hat es natürlich reichlich gegeben, sowohl auf seiten der Seeleute wie auch bei den Detektiven, die mit der Klärung des seltsamen Falles beauftragt wurden. Die Wahrheit ist nie herausgefunden worden. Es bleibt eines der großen ungelösten Rätsel des Meeres.«
Teds Fragen, die ihm auf der Zunge brannten, mußten vorläufig ungefragt bleiben. Ein Quartiermeister trat zu ihnen. »Da ist so ein Kerl auf dem Kai, Sir«, verkündete er, »sagt, er muß unbedingt den Kapitän sprechen.«
»Was will er denn?«
»Weiß ich auch nicht, Sir. Einer von diesen dreckigen tropischen Landstreichern. Sagt, er hat Ihnen was Wichtiges über den Windreiter mitzuteilen. Wollte ihn nicht an Bord lassen, ehe ich Sie gefragt hatte.«
Kapitän Jarvis nickte. Seine Augen glänzten erwartungsvoll auf. »Sehr gut. Bringen Sie ihn in meinen Salon.«
Als sich der Mann davonmachte, erkundigte sich Ted: »Haben Sie heute was für mich zu tun?«
»Ja. Warten Sie, bis ich mit dem Burschen gesprochen habe.
Diese Strandläufer picken manchmal Neuigkeiten auf, von denen sie sich auch wieder trennen — für entsprechendes Geld.«
Ted schlenderte an die Reling und sah den Kapitän in seinen Räumen verschwinden. Einen Augenblick später tauchte der Quartiermeister auf dem Backbordgang auf, die vertraute Gestalt des Strandläufers dicht hinter sich. Teds Augen zogen sich zusammen.
Ja, da war die gleiche Jammerfigur mit dem gleichen Anzug aus alten Säcken, dem gleichen Schlapphut und dem gleichen bärtigen Gesicht. Stand dieser Mann in Corkerys Diensten? War er nun bereit, sich für einen höheren Preis auf die andere Seite zu schlagen? Und was war es überhaupt, was der Kerl in Erfahrung gebracht hatte?
Als der Strandläufer durch die Tür zu den Offizierskabinen verschwunden war, blieb Ted unruhig und nervös an der Reling stehen. Seine Gedanken waren völlig bei dem, was sich dort hinter der schmalen weißen Tür abspielen mochte. Die Minuten vergingen schleppend; auf der Brücke wurden acht Glasen geschlagen, und immer noch blieb die Tür hinter dem Kapitän und seinem kuriosen Besucher geschlossen. Unvermittelt erinnerte sich
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Ted, daß er noch kein Frühstück gehabt hatte, und er ging schnell zur Offiziersmesse und aß den Toast und die Eier, die ihm der Steward brachte. Dann begab er sich wieder aufs Deck hinaus und trat zu dem Quartiermeister, der am Fallreep Wache stand.
»Ist der Besucher des Kapitäns schon wieder an Land gegangen? fragte er.
»Nein, Sir. Er ist noch an Bord.«
Der Dritte Offizier schlenderte den Gang entlang zum Achterdeck. Die Tür zum Salon war immer noch zu. Nervös schritt er an Deck auf und ab und zerbrach sich den Kopf darüber, was der Strandläufer wohl zu verraten haben mochte. Als die Tür endlich aufgestoßen wurde und der Kapitän auf der Schwelle erschien, seufzte Ted erleichtert auf. Der Besucher ließ sich jedoch nicht sehen. Jarvis winkte, die Türe hinter sich schließend, seinen Dritten näher zu sich heran.
Ted beeilte sich. In den Augen des großen Mannes lag ein Schimmer, der dem forschenden Blick des Dritten Offiziers nicht entging. »Ja, er hat wichtige Neuigkeiten gebracht, Joe Macaroni.
Aber ich will ihn noch gründlicher ausfragen, ehe ich ihn laufenlasse. Er behauptet, Informationen über die Ladung des Windreiters zu besitzen. Ob es stimmt oder nicht, müssen wir abwarten.
Auf alle Fälle brauchen wir den Schoner als wichtiges Beweisstück.
Nehmen Sie ein paar Leute mit und bringen Sie ihn her. Und sorgen Sie dafür, daß die Ladung so hier eintrifft, wie Sie sie vorfinden.«
»Jawohl, Sir. Ich werde mich bemühen.«
»Nehmen Sie am besten Ridley mit und noch einen anderen Matrosen. Ich vertraue Ihnen das allerwichtigste Beweisstück dieses komplizierten Falles an. Hüten Sie den Schoner wie Ihren Augapfel. Schaffen Sie ihn mir her. Haben Sie verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Der Strandläufer hat mir eben erzählt, daß noch heute morgen am Quai Gallieni eine Schaluppe ablegt. Bringt Ersatzmotoren zu den Inseln und legt auch in Bora Bora an. Da können Sie also gleich mitfahren ... Unser Netz zieht sich zusammen, Joe Macaroni. Bald wird es sich eng um die Leute gelegt haben, die wir erwischen wollen.«
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Jarvis unterbrach sich, als Stan Ridley die Treppe vom Kabinendeck herunterkam. Ted bemerkte gleich, daß das Gesicht des Jungen von innen heraus glühte — so, als habe er etwas Wichtiges in Erfahrung gebracht.
»Nun, mein Junge«, erkundigte sich Jarvis, »haben Sie im Logbuch noch was Interessantes entdeckt?«
»Das habe ich, Kapitän Jarvis. Ich habe herausgefunden, daß die letzte Eintragung vom zwölften April gefälscht ist. Mein Vater hat sie niemals geschrieben.«
»Wie kommen Sie zu diesem Schluß?« Die Stimme des Kapitäns klang gespannt.
»Die Handschrift gleicht der seinen — aber sie ist es nicht. Dessen bin ich ganz sicher, Kapitän Jarvis, ganz sicher. Es ist eine Fälschung. Was mich jedoch zuerst stutzig machte, war ein falscher Ton in der Mitteilung selbst. Erinnern Sie sich, daß es heißt, die Eingeborenen seien in Todesnöten? Das hat mein Vater nie geschrieben. Zunächst einmal fürchten die Tahitier sich nicht vor den Stürmen dieser Gegend — sie sind zu sehr daran gewöhnt.
Selbst wenn ein Hurrikan sie überfällt und ihre Bäume entwurzelt, ihre Häuser vernichtet, nehmen sie es als einen Richterspruch der Götter ergeben hin. Nie aber ›wie üblich in Todesnöten‹. Nie!«
Stan schwieg einen Augenblick, da gerade ein Matrose vorüberkam; dann fuhr er leiser fort: »Der Mann, der die Eintragung im Logbuch gemacht hat, blickt auf diese Eingeborenen herab. Er mag sie nicht, hält sich für besser — etwas, das meinem Vater nie in den Sinn käme. Für ihn sind die Weißen die Eindringlinge auf diesen Inseln. Mein Vater hat immer zu mir gesagt, daß in dieser Gegend das Leben der Eingeborenen dem unseren überlegen sei. Nein, mein Vater hat diese Zeilen nie geschrieben.«
Kapitän Jarvis nickte gedankenvoll. »Könnten Sie das auch vor Gericht beweisen, mein Junge?« Stans Gesicht wurde länger.
»Ich weiß es nicht«, gab er zu.
»Aber wir brauchen Beweise — hieb- und stichfeste Beweise, mein Junge. Das ist unser Hauptproblem. Immerhin werde ich aber das Logbuch zum amerikanischen Konsul bringen. Macht ihr beiden euch nur gleich bereit; es eilt. Ja, Ridley, ich schicke Sie mit Moran nach Bora Bora, um den Windreiter zurückzuholen.