Auf dem vorkragenden, durch feines Lattenwerk abgetrennten Eingang der Veranda ließ sich Madame Sonntag in einen stabilen, breiten Sessel fallen und wedelte sich mit einem Palmblatt Kühlung zu. Ein besorgter Ausdruck lag auf ihrer Miene. Ging es ihm auch gut? erkundigte sie sich bei Stan. Hatte er irgend etwas Nützliches auf jener fremden Schule gelernt? Und war er wirklich mit einer Eisenbahn gefahren? Hatte er einen richtigen Aufzug gesehen? Wie? Mon Dieu! Er war fünfzig Stockwerke hoch mit einem Lift gefahren? Ah, welch eine Torheit!
»Beruhige dich doch nur«, bat Stan, breit grinsend. »Es war viel sicherer als der Trip, den ich bald darauf in einem Flugzeug gemacht habe.«
»In einem Flugzeug?« Madame Sonntag hob die Augen zum Himmel. Sie schien geradezu nach Luft zu ringen; ihr Fächer wedelte schneller, der gewaltige Körper zitterte.
»Oh, ich habe dich aufgeregt!« rief Stan reuevoll.
»Es macht nichts, man enfant.« Sie strich sich mit einer fetten Hand über die glänzenden schwarzen Haare. »Es ist nur die Aufregung. Ich erhole mich.« Sie warf einen flinken Blick zu Ted hinüber. »Tausend Entschuldigungen, Monsieur Moran. Ich vergesse, wir haben eine Gast. Wohlan! Ich werde präparieren eine Fest — eine eingeborene Festmahl, wie Stan es liebt so sehr — gekocht in die Boden monsieur, Tahiti-Art — Brotfrucht, gebratene Schwein, Bonita, Oktopus, Krabben, Taro, Bananen poi — «
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»Beruhige dich doch nur, ich flehe dich an«, mischte Stan sich ein. »Außerdem machst du mir den Mund so wäßrig, daß ich allmählich glaube, seit zwei Jahren nichts mehr gegessen zu haben. Aber bitte, sei jetzt einmal ganz ernst. Ich möchte mit dir über meinen Vater sprechen.«
»Dein Vater? Wie! Du hast ihn nicht gesehen?«
»Wo — wo ist er denn? Weißt du es?«
Madame Sonntags tiefbraune Augen funkelten spitzbübisch.
»Certainement. Jetzt ist er in Papeete.«
»Aber Corkery hat gesagt, er sei mit dem Windreiter fortgesegelt.«
»Ah, das Schwein! Der Schuft!« Madame Sonntag ließ einen endlosen Strom ähnlicher Bezeichnungen mit einer Heftigkeit, die Ted beinah zu Stein erstarren ließ, von der Zunge fließen.
»Er lügt wie immer«, schrie sie schließlich, dachte dann einen Augenblick nach. »Vielleicht deine Vater ihn hält zum besten, eh?«
Stan lehnte sich im Sessel vor. Seine Miene war aufs äußerste gespannt. »Was willst du damit sagen?«
»Dies, mein Stan.« Ihre Stimme sank zu geheimnisvollem Flüstern herab. »Es ist so, daß Corkery deinen Vater betrügt — wie ich es ihm schon vor Monaten habe gesagt, ohne daß er wollte hören. Krank war deine Vater in eine Hospital in Papeete für lange Zeit. Nein, mon enfant, er hat nicht geschrieben dies — er wollte dich haben glücklich, nicht bekümmert.« Madame Sonntag hielt inne, als wolle sie ihren Hörern Zeit lassen, diese Neuigkeiten aufzunehmen. Jählings schaute sie auf. »Aber du nicht verstehst all dies?«
Stan schüttelte den Kopf. »Nein. Ich verstehe nicht, wie Corkery Vater jemals betrügen konnte, ohne daß der es merkte.«
»Hör zu dann. Ich will erklären.« Madame Sonntag legte den Fächer nieder. »Es war einige Zeit, nachdem du weggegangen bist nach Amerika, daß deine Vater wurde krank. Sehr krank, mein Stan. Er ist gezwungen zu gehen in die Hospital in Papeete für drei Monate. Als er ist — wie sagte man? — genesend, er kehrt zurück nach Taiarea für weitere Ruhe. Für elf, zwölf Monate er bleibt hier, überläßt diesem Corkery alle seine Angelegenheit und Geschäfte in Tahiti. Ich spreche oft zu deinem Vater. Ich sage:
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›Wie, Herr, du läßt diese Mann deine Geschäft machen? Nicht eine winzige Millimeter ich vertraue ihm.‹ Aber immer deine Vater er antwortet: ›Ah, madame, ist er nicht Amerikaner? Bin ich nicht Amerikaner? Ich vertraue ihm.‹ Aber es ist, weil deine Vater nicht gesund ist, ich weiß. Dann, als endlich seine Kraft sie kehrt zurück, er geht nach Papeete, um zu finden, daß es ist zu spät. Corkery hat seine Werk getan — der Betrüger!«
»Und was hat Vater dann getan?«
Madame Sonntags dicke Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Aber ja, ich werde erzählen alles zu seine Zeit, mon enfant.«
Sie warf einen koketten Blick zu Ted hin. »Die Tahitier haben eine Wort, monsieur, die sagt, daß eine Geschichte ohne End ist wie eine Fisch ohne Schwanz. Niemals — niemals ich würde kochen eine solche Fisch!« Sie klopfte energisch ein paarmal mit den bloßen Füßen auf den Boden, fuhr dann fort. »Corkery rät deine Vater, für seine Gesundheit wegzugehen. Und deine Vater, er tut, als höre er gut zu. Er erzählt diese Corkery, daß er will nach Europa fahren, um zu sehen eine gute Doktor; er läßt die Mann nicht merken, daß er wieder gesund ist wie früher. So tut Monsieur Ridley also, als ob er fährt weg mit eine Schiff nach Noumea und Madagaskar und Marseilles — aber noch ehe die Schiff aus der Lagune ist, er schlüpft ans Ufer und kehrt heimlich zurück nach Taiarea auf der Avarua. ›Madame‹, er sagt, ich werde bald gehen nach Papeete und beobachten diese Mann, die ich vertraute.
Immer werde ich ihn beobachten, aber nicht einmal wird diese Corkery merken, daß ich bin da.« Die Eingeborene schwieg und wedelte, den Fächer aufnehmend, dramatisch damit durch die Luft. »Ja, diese waren seine wahren Wort!«
»Dann ist Mr. Ridley also in Papeete?« rief Ted überrascht.
Madame Sonntag nickte. »Ganz bestimmt. Doch wo er sich verbirgt, das ich auch nicht weiß. Viele Male ich gehen nach Tahiti zu besuchen meine Tochter und ihre zehn kleine Kinder, aber — nix ich sehe von Monsieur Ridley.«
»Wie kommt es dann aber«, erkundigte sich Ted, »daß sowohl Corkery wie auch die Eintragung im Logbuch des Schoners behaupten, Mr. Ridley sei am zwölften April an Bord des Windreiters gewesen? War er zwischen dem sechsten und zwölften April etwa hier?«
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»Sie meinen diese Monat?« Madame Sonntag sah erstaunt auf.
»Nein, monsieur, er war nicht hier. Eine Morgen vor viele Tage — vielleicht zehn, fünfzehn — die Windreiter legte an unsere Steg an, aber es war Pierre und einige Eingeborene, die sie brachten.
Mir sagten sie, sie gehen nach Bora Bora und andere Inseln zu handeln.«
Ted blickte seinen Freund vielsagend an. »Dann hattest du also recht damit, daß die letzte Eintragung im Logbuch eine Fälschung sei. Corkery muß sie geschrieben haben, ehe der Schoner überhaupt aus Papeete auslief. Pierre hat dann vermutlich gewisse Befehle erhalten, die er entweder ausführte — oder vermasselte.«
Stans Ton war nachdenklich und zugleich zielbewußt, als er seine alte Kinderfrau etwas anderes fragte. »Hast du über Monsieur Corkery reden hören? Schwätzen die Leute?«
»Ah, es geht viele Geschwätz um auf die Marktplatz und in die Caf£s in Papeete, mein Stan. Ich höre, er wird reich — sehr reich.
Ich höre, er erzählt manche Leute, Monsieur Ridley hat ihm halbe Anteil an seine Geschäft verkauft. Ah, es ist eine Lüge! Er macht selbst die Papiere und schreibt hinein auch selbst, dann er behauptet, es ist die Schrift von deine Vater.«
Stans Augen glitzerten. »Du meinst also, Corkery habe Papiere gefälscht?«
Madame Sonntag wackelte nachdrücklichst mit dem Kopf. »Genau diese Wort! Ich höre deine Vater es sagen. Ich auch höre ihn sagen, er sich sehen gezwungen, nach Amerika zu schreiben um eine — wie nennst du ihn, meine Stan? — eine Mann, zu studieren jene Papiere, zu beweisen — «