Ich habe einen Brief für Sie.«
»Einen Brief?« Der Mischling griff zum Gürtel seiner abgetragenen weißen Hose. Ted sah nun den Revolver, der in dem Halfter daran baumelte. »Wenn Sie etwas Schriftliches von Monsieur Corkery mitgebracht haben, dann bringen Sie es hierher.« Deutliches Mißtrauen lag nun auf seinen dunklen Zügen. Die auseinanderliegenden braunen Augen zogen sich zusammen; die vollen Lippen schlössen sich; seine Rechte näherte sich heimlich dem Pistolenhalfter. »Versuchen Sie nicht, mit einem Trick zu spielen«, drohte er. »Zeigen Sie mir Ihre Anweisungen.«
»Natürlich.« Stan sprach mit milder Sicherheit. »Erzürnen Sie sich nicht unnütz, monsieur. Und glauben Sie nicht, es sei freundlicher, Ihre Waffe steckenzulassen?«
Ein hinterhältiges Grinsen schlich sich um die Lippen des Mannes.
»Die Waffe bleibt, wo sie ist, monsieur«., verkündete er, die Pistole jetzt offen in die Hand nehmend.
Ted faßte zur gleichen Zeit seine Pistole fester. Sehr entschieden zielte er. Wenn hier schon geschossen werden mußte, dann mußten seine Finger zuerst am Hahn sein.
Als Stan wieder sprach, war seine Stimme voller Verachtung.
»Soll ich mir von Ihnen Befehle erteilen lassen?« wollte er wissen. »Ich habe den Brief in meiner Tasche. Kommen Sie her und holen Sie sich ihn.«
»Diable!« Das Wort kam durch zusammengebissene Zähne.
»Wagen Sie es, mich zu betrügen, und Ihre letzte Stunde hat geschlagen. Nehmen Sie die Hände hoch.«
Stan tat langsam, wie ihm geheißen war, doch kam er keinen Schritt näher auf den Eingang zu.
- 169 -
Der Mann schlich sich an den Jungen heran, die Pistole schußbereit in der Hand. »Geben Sie mir den Brief!«
»Mit den Händen in der Luft? Monsieur erlaubt sich wohl einen kleinen Scherz, wie?«
»Das werden wir noch sehen. In welcher Tasche?«
»In der hinteren linken.«
Als der Mischling sich nun vorbeugte, wußte Ted, daß keine Sekunde zu verlieren war. Unverzüglich glitt er um einen Stoffballen herum und versetzte mit der hochgerissenen Pistole dem Mann einen wuchtigen Hieb auf den rechten Arm. Gleichzeitig fast krachte ein Pistolenschuß in der Hütte auf. Eine Kugel zerriß das Blätterdach oben, als der Revolver auch schon aus dem Griff des Mannes zu Boden fiel.
Als der Mischling mit einem Aufschrei des Schmerzes und der Wut herumfuhr, hatte sich Ted bereits auf ihn geworfen. Er schlang beide Arme um seinen rasenden Gegner, verzweifelt bemüht, ihm die Hände an den Seiten festzudrücken. Ted mußte jedoch zugeben, daß in dem sich windenden Körper eine Muskelkraft steckte, mit der ein einzelner Widersacher nicht fertig werden konnte. Doch kam ihm auch schon Stan Ridley zu Hilfe.
Als Stan zusprang, brachte sein Gewicht alle drei mit erheblichem Krachen zu Boden. Eine Sekunde später fühlte Ted, daß die Muskeln seines Gegners erschlafften. Der Mann lag flach auf dem Rücken, die Augen geschlossen, die vollen Lippen bläulich angelaufen. Zwölf Herzschläge lang glaubte der junge Dritte Offizier, die Steine des alten Opferaltares hätten dem Wächter des Lagerhauses ein für allemal den Garaus gemacht. Mit Erleichterung sah er dann eins der braunen Augenlider zucken; und schließlich öffnete sich das Auge ganz, um einen Blick voll kreatürlicher und überwältigender Angst freizugeben.
Gleich drückte Ted mit seinem vollen Gewicht den Körper des Mannes nieder und hielt ihm mit den Knien die Arme am Boden fest. »Schnell, Stan«, keuchte er. »Wickle ein Stück Draht von den Ballen. Wir müssen ihm die Hände binden.«
Bei Teds Worten schien die Furcht aus der Miene des Mischlings zu schwinden. Ein Wasserfall von Flüchen, die allesamt für Ted neu waren, entströmte den vollen Lippen. »Wer seid Ihr?« fauchte der Mann schließlich.
- 170 -
»Nur Freunde«, erwiderte Ted grimmig. »Freunde des Besitzers dieser Waren hier.«
»Sie meinen Monsieur Corkery?«
»Nein, ich meine Monsieur Ridley. Hast du den Draht, Stan?«
»Ich habe ein Stück Tau entdeckt.«
»Um so besser.«
Einen Augenblick später kniete Stan neben ihm. Da erst nahm Ted sein Gewicht fort und richtete statt dessen die Pistole auf ihn. »Sehen Sie, ich kann ebenso leicht schießen wie Sie, monsieur. Drehen Sie sich gefälligst um. Wir werden Ihnen die Hände im Rücken festbinden.«
Als der Mischling den Lauf der Pistole auf sich gerichtet sah, erschlafften seine gespannten Muskeln; ohne Widerstand ließ er sich von Stan die Hände fest verschnüren. Endlich richtete er sich in sitzende Stellung auf.
»Frag ihn, wer er ist«, ordnete Ted an.
Gleich begann der junge Mann in schnellem Französisch zu reden.
»Hat Monsieur Corkery Sie dafür bezahlt, daß Sie diesen Ort für ihn bewachen?«
» Oui.« Die Antwort kam verdrossen.
»Ist jemand bei Ihnen? Belügen Sie mich nicht.«
»Ich bin allein, monsieur. Es ist meine Aufgabe, die Eingeborenen zu verscheuchen, wenn sie zu nahe herankommen.«
Ted knurrte. »Sie nur zu verscheuchen? Na, das werden wir schon noch genauer erfahren. Mach weiter, Stan.«
»Wie heißen Sie?«
»Pierre Chambon.«
Stan warf seinem Freund einen bedeutungsvollen Blick zu.
»Pierre!« sagte er leise. Dann fuhr er, wieder an den Mann auf dem Boden gewandt, fort: »Wie lange steht dieses Warenlager schon hier?«
»Ein und ein halbes Jahr. Lassen Sie mich gehen, wenn ich Ihnen alles erzähle?«
»Vielleicht«, erwiderte Stan.
»Nein«, unterbrach ihn Ted. »Wir werden diesen Burschen auf unserem Schoner mit nach Tahiti zurücknehmen.«
»Auf dem Windreiter?« Blankes Entsetzen sprach aus der Stimme.
»Ja, auf dem Windreiter. «
- 171 -
»Nein — nein, monsieur. Ich flehe Sie an — ich bitte Sie, nicht auf dem Schoner.« Ein Ausdruck zitternder Furcht überschwemmte wie eine Woge das dunkle Gesicht. »Auf dem Windreiter ist ein tupapau — tupapau von Tahiti Jacques.«
»Unsinn.« Stan tat die Idee verächtlich beiseite. »Sie werden auf dem Schoner mit nach Tahiti fahren, um den Behörden alles zu berichten, was Sie wissen.«
Des Mannes unglückliche Miene verzog sich wie in heftigem Schmerz. Ein leiser, jammernder Schrei entrang sich seinen Lippen.
»Lassen Sie das bleiben!« kommandierte Ted auf englisch, und obwohl der Mischling die Worte zweifellos nicht verstand, erkannte er ebenso zweifellos den Ton. Er fiel in Schweigen.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Ted. »Es wird ohnehin lange genug dauern, bis wir den Burschen da zur Pflanzung zurückgebracht haben. Mit der Flut morgen früh segeln wir.«
»Pierre«, fragte Stan, »Sie haben eine pirogue, n'est-ce pas?« —
Der Mischling nickte.
»Gut.« Stan wandte sich eifrig an Ted. »Er hat ein Ausleger-Boot auf dem alten Kanal. Dahinein verstauen wir ihn und paddeln über die Lagune heim. Das ist sicherer und schneller.«
Eiligst verschlossen die beiden Amerikaner das Lagerhaus wieder und führten ihren angsterfüllten und seltsam stillen Gefangenen zur Schiffslände hinab. Dort fanden sie in der einfallenden Dunkelheit das Kanu. Bald darauf hatten sie den alten Kriegskanal hinter sich und glitten sicher über die tiefliegenden Korallenriffe zur Ridleyschen Plantage hinüber.
Seltsame Sterne erschienen am Himmel; die Brandung dröhnte gegen das tückische Riff. Ted paddelte vorn im Boot an der Auslegerseite, Stan hinten. Zwischen ihnen warf sich der Mischling ruhelos herum.
»Sie verhalten sich besser still«, warnte Stan ihn. »Wenn Sie die pirogue zum Umkippen bringen, ertrinken Sie todsicher.« Er schwieg einen Augenblick, ehe er bedeutungsvoll hinzusetzte: