»Du legst dich am besten hin und schläfst mal gründlich«, riet ihm Ted. »Wenn du heute nacht deine Wache übernehmen willst, mußt du munter sein.«
Die beiden jungen Männer schlenderten das leicht geneigte Deck hinab nach achtern. Stan verschwand in der Kabine, und Ted ließ sich neben Gorilla Smith niederfallen. Vielleicht ergab sich die Chance, den Mann ein bißchen auszuhorchen — ein paar Hinweise aus seinem früheren Leben zu erhaschen, die ihm helfen konnten, diesen rätselhaften Seemann besser zu verstehen.
»Haben Sie früher schon mal einen Papagei gehabt, Smith? fragte er.
»Nein. Aber so'n Tier ist 'ne verdammt gute Gesellschaft«, bemerkte Smith. Auf dem dunklen, unrasierten Gesicht lag ein verdrossener Zug. »Ich rede mit dem Vieh hier lieber als mit manchen Menschen, verstanden?« Mit einem unverschämt wirkenden Hochziehen der muskulösen Schultern wandte der Mann den Rücken und streichelte dem Papagei die grünen Federn.
Ted stand auf und starrte verständnislos ins Leere. Er erwog, was er wohl gesagt haben könnte, um den Mann so zu erzürnen, daß er noch frecher als sonst antwortete — nicht einmal das übliche ›Sir‹ anschloß.
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Toppys schrille Stimme schnitt in seine Gedanken. »He, is et nich langsam Zeit, det mal 'n anderer sich mit det verdimmichte Ding hier amüsierte?«
Ted zog eine Uhr aus der Hosentasche. »Tut mir leid, Toppy. Wir haben keine Schiffsglocke an Bord. Aber Sie haben recht. Smith ist an der Reihe.«
»Jawohl, Sir.« Gorilla Smith wandte sich um. Jede Spur der schlechten Laune von vorhin war aus seiner Miene weggewischt.
»Ich bringe nur noch eben den Vogel hier runter auf seine Stange.
Er könnte auf die Gaffelrah fliegen und über Bord geblasen werden. In Ordnung?«
»Na schön. Beeilen Sie sich.« Ted wartete, bis der Mann durch die Luke verschwunden war. Dann ging er zu Toppy hinüber. »Immer noch fest entschlossen, abzumustern?« Der kleine Londonerzeigte seine gelben Zähne in einem breiten Grinsen. »Weeß ick nich jenau, Sir. Ick brauch 'ne Passage heemzu — un wat für 'ne Schangse hat der Mensch schon in diese verdimmichte Inseljejend?« Toppy machte eine Pause und griff in die Speichen. »Der Jorilla läßt sich jemitlich Zeit, wa?«
»Holt wahrscheinlich frisches Wasser für den Vogel aus der Kombüse. Ah, da kommt er endlich.«
Der Nachmittag verging. Langsam ließ die Hitze nach, das Licht der Sonne war weniger intensiv, und als das Abendessen aufgetragen wurde, war die Nacht hereingebrochen. Am Horizont zeichnete sich der dunkle Umriß einer Insel ab und blieb hinter ihnen zurück. Als Ted an Deck kam, war der Himmel sternbesät; strahlend stand das Kreuz des Südens über ihnen.
Ted und Stan prüften den Kurs, und dann legte Stan sich schlafen. Mit Jorgenson am Ruder ging der Dritte Offizier die Abendwache. Gegen elf kam ein tropisches Unwetter auf; Regen prasselte auf den kleinen Schoner nieder und vertrieb Toppy samt seinem Bettzeug von Deck in die Kabine hinunter. Um Mitternacht löste Stan Ted ab, und Gorilla Smith wurde geweckt, damit er das Ruder übernehme. »Was macht der Mischling?« fragte Ted.
»Kein Wort aus ihm herauszubringen. Kurios, hein? Ich hatte eigentlich erwartet, ihn die ganze Nacht über wegen der tupapaus von Tahiti Jacques jammern zu hören.«
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»Da ist er vernünftiger, als ich dachte«, bemerkte Ted nur. »Weck mich, wenn ihr das Licht von Point Venus seht.«
»Jawohl, Sir.«
In der unteren Koje liegend, Jorgenson schnarchend über sich, mußte Ted feststellen, daß er nicht einschlafen konnte. Zwar drang kein Laut aus der verschlossenen Tür der Kombüse heraus, wo Pierre nach Art der Eingeborenen auf einer Matte schlief, doch wirbelten in Teds Hirn die Vermutungen wild durcheinander. Während der ganzen Wache an Deck hatte er über die Affären von Ridley & Co. nachgegrübelt. Und als er nun zu schlafen versuchte, weigerte sein Hirn sich, diese besorgten Gedanken einfach beiseite zu tun. Halb vergessene Vorfälle stiegen aus den Tiefen seines Bewußtseins hoch: die Jagd auf den Strandläufer durch die Bäume der Pflanzung in Taunoa, Jarvis' kleines Experiment mit dem Wasserschlauch vor der Funkbude, Sparks' Bericht über den Mann, der die Nachricht über den Windreiter gesendet hatte.
Und wohin führte ihn all das? Die feste Gewißheit, daß alle Fäden des Musters vor ihm lagen und nur aus einem wüsten Durcheinander in die richtige Ordnung gebracht werden mußten, quälte ihn. Das Muster wollte und wollte sich nicht zeigen.
Eingelullt vom Murmeln des Wassers um das Schiff, fiel er endlich doch in einen unruhigen Schlummer.
Er schien durch die Todesstille eines tropischen Urwaldes zu rennen. Plötzlich schallte ihm auf dem Dschungelpfad ein hartes ›Halt!‹ entgegen, doch er rannte nur noch schneller weiter. Einmal drehte er sich um und erkannte die heruntergekommene Erscheinung des Strandläufers, der ihn geschwind einholte. Rund um ihn herum war nun nichts als dunkles Unterholz, in dem es von tupapaus wimmelte — von riesigen, unheimlichen Figuren steinerner Götter mit schrecklich grinsenden Gesichtern. Weiter rannte er, immer weiter, bis sich jählings sein Fuß in einer Wurzel verfing und er der Länge nach hinkrachte. Mit einem Ruck war er wach.
Auf der Stirn perlte ihm dicker Schweiß. Die Kabine war, wie er sah, pechschwarz; nur durch das gegenüberliegende Bullauge war ein winziges Stück sternbesäten Himmels zu sehen. Aus der Koje oben kam Jorgensons gleichmäßiges Schnarchen. An Deck
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klangen Schritte auf, und der Wind flüsterte leise in der Takelung.
Ohne sich zu rühren, lag Ted in der Koje. Wieder packte ihn das quälende Bewußtsein, daß die Lösung aller Geheimnisse ihm längst bekannt war. Wieder drängten die Geschehnisse an Bord der Araby sich in seine Gedanken vor — nun aber mit neuer Klarheit der Erkenntnisse. Er erinnerte sich jener ersten Nacht hinter San Francisco, als, nur undeutlich erkennbar, das weiße Gesicht eines Mannes durch das Bullauge herabgeschaut hatte, als er mit Jarvis in dessen Kabine saß. Er ging nochmals jedes Detail durch, um das Gesicht unterzubringen — er erinnerte sich jedes Schrittes, den er auf der Suche nach dem Mann unternommen hatte. Seine Bemühungen waren ohne jeden Erfolg geblieben; er hatte nichts entdeckt außer einem Matrosen, der auf dem Vorderdeck herumlungerte. Dieser Matrose war Gorilla Smith gewesen. Teds Blut hämmerte gegen seine Schläfen. Seine Gedanken jagten weiter bis zu jener Szene auf dem Bootsdeck, nachdem Sparks als Gefangener in seiner eigenen Funkbude gefunden worden war. Chapman und Gorilla Smith hatten ihn entdeckt.
Und es war Smith gwesen, der behauptete, Sparks' leises Stöhnen vernommen zu haben — das Stöhnen eines Mannes, der drinnen gefesselt und geknebelt lag. Ted setzte sich im Bett auf. Jarvis'
Experiment! Das war also der Grund dafür gewesen, daß der große Kapitän persönlich das Deck gewaschen und ihm befohlen hatte, in der Funkbude mit sich selbst zu sprechen! Jarvis wollte wissen, was ein Mensch hören konnte, der in beiden Händen einen Wasserschlauch hielt, aus dem das Wasser mit kräftigem Strahl auf die Holzplanken klatschte. Und Jarvis hatte nichts verstehen können, bis die Worte gebrüllt wurden! Und dennoch hatte Gorilla Smith behauptet, er habe den Funker — obwohl der geknebelt gewesen war — um Hilfe rufen hören.
Als Ted am Ende dieser ganzen Überlegungen endlich des Rätsels Lösung fand, fühlte er eine Woge bebender Erregung über sich hinspülen. Gorilla Smith! Smith war Thatcher, und Thatcher war Mr. X. Doch konnte es wirklich sein, daß sich unter dem rauhen Äußeren dieses Smith ein so gerissener Verbrecher verbarg?
Plötzlich bekamen viele Einzelheiten eine neue Bedeutung, fügten sich dem Bilde endlich ein. Oh, der Mann hatte seine Rolle
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blendend gespielt. Niemandem an Bord hatte er auch nur eine Andeutung seiner wahren Identität gemacht, niemanden spüren lassen, daß er etwas anderes war als ein polternder Seemann, Selbst der Äquatortaufe hatte er sich unterzogen, als sie die Linie überquerten. Kluger Bursche! Mr. X, der Versicherungs-Detektiv, war früher einmal berufsmäßiger Ringer gewesen. Gepaart mit dem teuflischen Geist war bei ihm eine brutale Kraft, die jeder Attacke gewachsen war. Und dieser Smith lief frei oben auf dem Deck herum.