Jäh hielt Ted den Atem an und saß stockstill. Aus der Richtung der Kabinentür drang leises Stöhnen zu ihm hin. Und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß die Tür selbst geschlossen war. Idiot, der er gewesen war! Dummer Narr! Mit einem Satz war er aus dem Bett und schlich sich auf bloßen Füßen an den Stöhnenden heran.
Unvermittelt stieß sein Fuß gegen etwas, das ihn entsetzt innehalten ließ. Im nächsten Augenblick lag er auf den Knien und beugte sich über einen lang ausgestreckten Körper am Boden. Er berührte eine glatte Wange, dickes, weiches Haar. Stan! Sein Herzschlag stockte einmal, als er dort im Dunkeln neben seinem jungen Freund kniete.
»Stan, Stan«, rief er leise, »was ist passiert?«
Die Gestalt regte sich nun, eine Hand berührte seinen Arm. »Bist du das, Ted?« Die Worte kamen schwach, aber klar und vernehmlich. »Pierre muß sich befreit haben. Irgend jemand hat mich von hinten gepackt und die Kabinentreppe hinabgeschleudert. Hat dich der Krach denn nicht wach gemacht?«
»Ich weiß nicht, wovon ich wach geworden bin. Tut dir was weh? Bist du verletzt?«
»Ich glaube nicht. Nur mein Schädel fühlt sich an, als hätte ein ganzer Elefant darin Platz.«
»Setz dich hin, Stan.« Ted erhob sich und machte schnell die paar Schritte zur Tür. Seine Finger fanden den kleinen Messingknopf. Er ließ sich drehen, doch die Tür ging nicht auf. Sie war von draußen verriegelt.
»Pierre hat mich überfallen«, wisperte Stan neben ihm.
Ohne eine Antwort zu geben, ging Ted nun um den kleinen Tisch herum nach achtern, zur schmalen Schiebetür zur Kombüse hin.
Pierre war fort. Im nächsten Augenblick war Ted wieder an der
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Seite seines Freundes. »Ja, der Mischling ist an Deck — frei. Aber Gorilla Smith ist es, der hinter alldem steckt. Wo ist Toppy?«
»Ich weiß es nicht.« Stans Atem kam kurz. »Ist er nicht hier?«
»Nein.« Teds Lippen sprachen das Wort kaum aus. Er nahm seinen Freund beim Arm. »Wir sind Idioten gewesen! Gorilla Smith ist Thatcher — Mr. X. Er muß Pierre frei gemacht haben, und die beiden arbeiten nun zusammen. Wir sind Gefangene.«
Einen Augenblick lang gab der andere keine Antwort; erst als Ted den Arm unter seiner Hand erbeben fühlte, wußte er, daß der Junge nun den vollen Ernst ihrer Lage erkannte.
»Ted«, hörte er ihn flüstern, »was sollen wir denn nur machen?«
Ted Moran kroch in seine Koje zurück. Als er sich gegen Mitternacht schlafen legte, hatte er seine Pistole unter dem Kopfkissen versteckt. Mit dem kalten Eisen in der Hand würde ihm der Mut sicherlich zurückkehren. Im Düstern tastete er an der Kojenwand entlang und schob die Hand tief unters Kissen. Im nächsten Moment schon überlief ihn eisige Furcht, und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit packte ihn. Die Waffe war fort.
Sie war ihm also ihm Schlaf gestohlen worden. Oh, wie hatte es nur geschehen können, daß er so harmlos in die Falle tappte!
Doch jetzt war keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Er mußte einen Plan machen und ohne weitere Verzögerungen handeln. Zunächst packte er Jorgenson beim Arm und schüttelte ihn so lange, bis der riesige Matrose aufwachte. »Kein Wort«, flüsterte er. »Pierre ist frei. Wir sind eingesperrt.«
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe das Verzweifelte ihrer Lage in Jorgensons langsam arbeitendes Gehirn vordrang. Schließlich landete er auf seinen langen Beinen auf dem Boden. Seine Stimme klang in der völligen Stille unerträglich laut, als er sich erkundigte: »Und wo ist Toppy?«
»Weiß nicht«, flüsterte Ted.
»Sie meinen — er ist bei denen draußen?«
»Ich glaube, ja. Seien Sie still. Wir müssen einen Plan machen.«
Ted ging zum gegenüberliegenden Bullauge und schaute nach
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draußen. Es war kurz vor der Morgendämmerung; vor ihnen waren schon die dunklen Umrisse einer großen Insel zu erkennen; am fernen Ufer glitzerte eine Lichterkette. War es möglich, daß sie sich Papeete näherten? Gorilla Smith würde nun, da er den Windreiter unter eigenem Kommando hatte, doch sicherlich nicht vor der Stadt aufkreuzen und sich den Hafenbehörden stellen!
Viel wahrscheinlicher war es, daß er eine der vorgelagerten Inseln ansteuerte, wo er in der Dämmerung ungesehen ans Ufer schlüpfen und seine Gefangenen irgendwo verstecken konnte, damit man sie viel später erst fand.
»Wie — das ist doch Papeete!« Stan war neben ihn getreten und sah wie er zum Ufer hin.
»Weißt du das bestimmt?« erkundigte sich Ted, immer noch ungläubig.
»Ganz bestimmt, mon ami. Ich kenne die Bergspitzen dahinter zu gut, als daß ich mich irren könnte. Wer steht am Ruder?«
»Pierre habe ich eben vorübergehen sehen, also muß es Smith sein. Kennt einer von beiden die Durchfahrt?«
»Pierre sicher. Wenn er im letzten Jahr für Corkery gearbeitet hat, muß er den Schoner doch manches Mal in den Hafen gebracht haben.«
Bei diesen Worten verspürte Ted große Erleichterung. Denn schon konnte er das ferne Dröhnen der Brandung hören, den rauschenden Aufprall der Wogen auf die Korallenriffe.
Hinter den Bergkuppen der Insel wurde der Himmel lichter; ein silbernes Leuchten glitt über die Oberfläche des Meeres. Das enge Deck mit der niedrigen Reling nahm Form an. Von den beiden Männern, die sie hier in der Kabine gefangenhielten, war keine Spur zu entdecken. Und Toppy — wo war der geblieben?
Neben ihm durchfuhr ein Beben den Jungenkörper, als vom Bug jählings ein Schrei herüberdrang. Die Stimme des Mischlings war schrill vor schierem Entsetzen. »Sehen Sie, monsieur! Da! Der tupapau von Tahiti Jaques!«
Ted stockte der Herzschlag. Im gleichen Augenblick hörte er, wie Stan scharf die Luft einzog. Der Junge umklammerte mit der Hand den Verschlußring des kleinen Bullauges und starrte mit fasziniertem Blick auf das Wasser knapp vor dem Schoner.
Und als er der Blickrichtung folgte, entdeckte Ted die graue
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Form eines delphinartigen Fisches, der aus den Wellen auftauchte und wieder darin verschwand. Tahiti Jaques war zurückgekehrt.
Pierre hob die Stimme zu einem anhaltenden Entsetzensgeheul.
Ein Schrei war es kaum noch zu nennen, ein verzweiflungsvolles Jammern eher — so unwirklich, so voll des schiersten Schreckens, daß Ted spürte, wie ihm selbst ein eisiger Schauder über den Rücken lief. »Der tupapau!« wimmerte der Mischling schließlich leiser. »Wir sind verdammt!«
Aus dem Heck kam die rauhe Stimme Gorilla Smiths. »Hör auf damit, du Idiot! Das ist doch bloß ein Fisch. Halt die Klappe!«
»Wie? Sie erinnern sich nicht an ihn?« schrie Pierre laut. »Es ist Tahiti Jaques — Tahiti Jaques, den Sie getötet haben! Sein tupapau erscheint uns!« Abermals trieb ein tiefes Jammern den drei Gefangenen, die am Bullauge aufs äußerste gespannt dem Wortwechsel folgten, Schauder über den Rücken. »Gott behüte uns! Er ist gekommen, um sich zu rächen.«
Smith erwiderte grob und verachtungsvolclass="underline" »Du Schwachkopf! Wenn ich ihn getötet habe, wie soll er es dann noch sein? Entweder ist dieser Tahiti Jaques tot, oder er ist lebendig. Was anderes gibt es nicht.«
Im heller werdenden Frühlicht ließ Ted seine Blicke verwirrt und fasziniert auf dem beinahe legendären Lotsen des Riffs ruhen.