Nach vorn blickend, sah der junge Offizier die Korallenbarriere näher kommen. Unaufhaltsam drückte der Wind in den geschwellten Segeln den Windreiter geradewegs auf die Korallenbank mit ihren zackigen Vorsprüngen und Schroffen zu, die wie Riesenzähne nur darauf zu warten schienen, das Schiff zu zermalmen. Doch schon stand Stan Ridley am Steuerruder und wirbelte die Speichen nach backbord herum.
Nach diesem einen schnellen Blick vergaß Ted alles außer dem Kampf. Denn es entwickelte sich ein Kampf, der den letzten Funken Energie und Kraft von ihm forderte. Gorilla Smith warf sich herum und zog und zerrte an seinen zwei Widersachern mit der Stärke eines gereizten Bullen. Doch war Smith stark, so war es Schwede Jorgenson gleichfalls. In den Armen des riesigen Seemanns, die sich wie die Saugnäpfe eines Tintenfisches um seinen Gegner schlössen, war eine langsame, aber unerbittliche Kraft. Smith schäumte und gurgelte, wand sich und stieß um sich, doch die beiden Arme des Schweden ließen keinen Augenblick lang nach in ihrem erbarmungslosen Druck. Und zwei Männer, deren Muskeln in der harten Schule der Seefahrt trainiert waren, erwiesen sich auch für den ehemaligen Ringer als zuviel, denn sie gaben ihm keine Chance, freizukommen und seine Geschicklichkeit zu beweisen.
Ein schabendes, schrilles Kratzen, dann ein hartes Geräusch des Aufstoßens wurde plötzlich durch das Tosen der Brandung hörbar. Unter ihnen hob sich das Deck des Schoners leise an. Eine zitternde Bewegung überrann das kleine Schiff. Sie waren mit der Breitseite gegen das Riff geschlagen.
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Ted fand sich einen Moment später flach auf dem Deck wieder.
Verschwommen sah er, wie Jorgenson auf den Knien hockte und den rechten Arm zum Schlag zurückgenommen hatte. Er hörte die eiserne Faust auf lebendiges Fleisch aufschlagen, und der dumpfe Ton ließ dem jungen Offizier beinahe übel werden. Wieder schlug die Faust zu. Gorilla Smith versuchte mühsam, in halb sitzende Position zu kommen, brach dann an Deck zusammen. Reg- und hilflos lag er dort.
Benommen taumelte Ted auf die Beine. Sich den Gürtel von den Hüften reißend, kniete er neben Jorgenson nieder, griff Gorilla Smiths haarige Fäuste und band sie fest aneinander. Erst als er die Schnalle hatte einschnappen lassen, warf er einen Blick auf das weiße Gesicht ihres bewußtlosen Feindes.
Der eine Blick war genug. Im nächsten Augenblick würde der Mann abermals versuchen, auf die Beine zu kommen. »Schnell, Ihren Gürtel!« befahl er.
Langsam zog Schwede Jorgenson den Lederriemen aus den Schlaufen seiner Arbeitshose. Im Handumdrehen hatte Ted auch die Knöchel des daliegenden Mannes gebunden. Nun mochte er getrost wieder zu sich kommen! Sie hatten ihn sicher gebunden.
Aber — und sein Herz begann schneller zu schlagen — was war mit dem Windreiterl Hatten sie zu spät das Kommando zurückerobert? War der Rumpf des tapferen kleinen Schoners von den Korallenzacken zerrissen worden?
Er hob die Augen. Die Regenbö hatte sie überholt, der Himmel über ihnen wurde heller. Am Ruder stand Stan Ridley, das glühende Gesicht dem neuen Tag zugewandt. Die Segel schwenkten nach backbord hinüber; langsam glitt der Schoner von den tückischen Klippen fort, die noch Sekunden vorher bedrohlich nah gewesen waren.
»Wir sind an einem Vorsprung entlanggeschrammt«, schrie Stan über das Donnern der Brecher hinweg. »Ich glaube aber, wir haben es geschafft. Einer von euch sollte mal ganz schnell durch die vordere Luke schauen — nachsehen, ob Wasser in den Laderaum strömt.«
Jorgenson erhob sich und schritt mit aufreizender Langsamkeit und Entschlossenheit nach vorn, wobei er den zitternden Mischling einfach beiseite schob. Entsetzt wich dieser gegen die Kabinen-
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wand zurück. Der Schoner glitt, von Stan mit großem Geschick gesteuert, schnell wieder auf das offene Meer zu.
»Kann keine Spur von einem Leck entdecken«, rief Jorgenson.
»Gut.« Stan steuerte nun auf den schmalen Durchgang zu.
»Ja, aber wo steckt Toppy?« wollte nun Jorgenson wissen.
Ted machte einen drohenden Schritt auf den geduckt zurückweichenden Mischling zu. »Wo ist unser anderer Seemann?« fragte er hart. »Schlief er an Deck, als Thatcher dich befreit hat?«
»Nein, monsieur«, stammelte Pierre. »Ich habe ihn nicht gesehen. Wenn er nicht hier ist, hat ihn Thatcher über Bord geworfen. Aber ich weiß von nichts.«
Ein Ruf aus der Höhe lenkte ihre Blicke himmelwärts. Gegen den klaren blauen Morgenhimmel hoben sich Fock- und Groß-segel prall gefüllt ab. Und hoch darüber entdeckte er über dem aufgerollten Gaffeltoppsegel einen rotbraunen Schopf, der sich zu ihnen hinunterlehnte.
»Hier bin ick!« schrillte die wohlbekannte Stimme. »Verdimmich — mir fehlt nischt.« — Jorgenson stieß einen mächtigen Fluch aus, der sein Entzücken verbarg.
»Ah, mach die Klappe zu!« schrie Toppy zurück, sich fest an den Mast anklammernd. »Ick wurde wach, als der Goriller mit dem Milchkaffeeneger an Deck kam. Sollte ick mir vielleicht uff die beiden stürzen? Verdimmich — sollte ick über Bord jehen? Ick hab mir zu meine eijene Sicherheit hier verstochen.«
Teds Augen, dem hellen Morgenhimmel zugewandt, schimmerten glücklich. Doch über seine Lippen kam kein Wort.
Es war Stan Ridley, der triumphierend ausrief: »Komm nur runter, Toppy! Jetzt bist du in Sicherheit. Smith ist an Hand und Fuß gefesselt.« Unvermittelt brach er ab und wies nach vorn.
»Schaut nur! Da ist Tahiti Jaques! Er führt uns geradewegs auf die Passage zu.«
Als der Windreiter über die blaue Lagune gesegelt war und Tahiti Jaques dort verlassen hatte, wo er zurückzuschwimmen pflegte, um die nächsten Boote zu geleiten, war die Stadt er-
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wacht, und nun drängten die Eingeborenen sich am Ufer und bestaunten den Schoner, der längst verloren gemeldet war. Die Araby lag mitten im Hafenbecken vor Anker; ihr Fallreep war niedergelassen. Nachdem sie den Schoner festgemacht hatten, stürmten die beiden jungen Leute die Stufen hinauf und wurden oben begeistert von ihrem tätowierten Kapitän empfangen.
»Bei Neptuns Söhnen!« rief der Kapitän, als er sie auf dem Vorderdeck traf. »Ich wußte ja, daß ihr wieder auftauchen würdet.
Als ich erfuhr, das Gorilla Smith mit euch gefahren war, habe ich gleich auf der nächsten Schaluppe, die Bora Bora anlief, bestellen lassen, daß ihr aufpassen solltet. Habt ihr die Nachricht pünktlich erhalten?«
»Nein«, lachte Ted. »Ich wollte, wir hätten sie bekommen.«
»Zuerst wascht ihr euch wohl am besten mal. Ihr seht aus, als wärt ihr in die Bilge geworfen worden.«
»Sind wir auch«, gab Ted grinsend zu.
»Wo ist Smith? In Sicherheit?«
»Ja. Er und der Mischling, den wir in Tairarea schnappten, sind gefesselt und bewacht an Bord.«
»Gut. Ich werde den Polizeichef benachrichten.« Jarvis wandte sich an Stan, einen kuriosen Ausdruck auf dem scharfgeschnittenen Gesicht. »Junger Mann, auf Sie wartet jemand im Salon.«
Stan schaute verwundert auf. »Sie meinen doch nicht etwa — mein Vater?«
»Genau das meine ich. Beeilen Sie sich schon mal. Moran und ich kommen in einer Minute nach.«
Stan blieb völlig reglos stehen; nur die Muskeln in seinem Gesicht bewegten sich. Dann warf er sich ohne ein Wort herum und rannte nach achtern. Ted folgte ihm mit den Blicken. »Stans Vater!« rief er. »Wo hat er denn die ganze Zeit nur gesteckt?«
Jarvis lachte leise. Während sich die Mitglieder seiner Mannschaft in ihrer Nähe an die Reling drängten, um den Schoner anzustaunen, zog er seinen Dritten Offizier in den Steuerbordgang hinein. »Wissen Sie das denn nicht?« fragte er zwinkernd. »Sie selber haben sich mit Stanhope Ridley unterhalten. Sie haben ihn etliche Male auf der Insel gesehen.«