Er griff zum Bücherbrett hinauf, das oberhalb des Bettes angebracht war, drehte sich dann nochmals um. »Vielleicht wird Kapitän Jarvis Ihnen was von meinem Vater erzählen. Wenn er ihn erwähnt, wollen Sie ihm dann sagen, daß ich auf — alles gefaßt bin?«
Ted nickte und trat in die bitterkalte Nacht hinaus.
Als Ted die Kabine achtern betrat, räumte der Steward gerade die letzten Speisen ab. Kapitän Jarvis saß vor einem grünbespannten Tisch, der mitten im Raum auf den Boden geschraubt war, eine Karte ausgebreitet vor sich. »Schau mir grad mal die Gesellschafts-inseln und den Tuamotu-Archipel an«, erläuterte er. »Setzen Sie sich, Joe Macaroni. Wie wird mein neuer Dritter Offizier denn fertig?«
Ted ließ sich in einen der Drehsessel in der Nähe des Kapitäns fallen. »Ausgezeichnet, Sir. Soeben habe ich unserem frisch angeheuerten Jungmatrosen, Stan Ridley, zu vernünftigem Zeug verholfen.«
»An Ihrer Stelle«, erwiderte der Ältere langsam, »würde ich mich mit dem Burschen nicht allzusehr abgeben. Sehen Sie, wegen
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seines Vaters fahre ich jetzt nach Tahiti. Es gibt da einiges nachzuforschen.«
Ted blickte erstaunt auf. »Wegen seines Vaters?«
»Eine verflixt ernste Angelegenheit, mein Junge, und ich möchte, daß Sie Ihren Kurs entsprechend genau berechnen.« Jarvis machte eine Pause, sehr nachdenklich. »Wir sind schon einen langen Weg miteinander gegangen, Joseph Todhunter Moran, seit jenem frühen Morgen vor drei Jahren, an dem Sie sich in der Kombüse der Araby als Meßjunge bei mir meldeten — und ich der Koch war. Wissen Sie's noch?«
Ted nickte schweigend.
»An dem Morgen habe ich Sie Joe Macaroni getauft. Und Sie waren grün vor Angst und Seekrankheit. Damals hielt ich Sie ganz einfach für 'ne Landratte ohne Mumm. Doch bald wurde ich eines Besseren belehrt.« Er lächelte in der Erinnerung und warf Ted einen liebevollen Blick zu. »Seit der Zeit sind wir zusammen durch Feuer und Wasser gegangen, mein Junge, durch dick und dünn. Deshalb will ich Ihnen nun erklären, was los ist.
Denn diesmal mag's noch schlimmer kommen als bisher ... Doch nun sind Sie erwachsen, Joe Macaroni, mein Dritter Offizier!«
Ted schluckte den Kloß im Hals hinunter und riß sich zusammen.
»Wollen Sie sagen, Kapitän Tom, daß die Reederei Sie nach Tahiti schickt, um Nachforschungen wegen Stan Ridleys Vater anzustellen?«
»Genau das. Sehen Sie, Stanhope Ridley ist unter anderem auch der Agent der Blakemore-Dampfschiffahrts-Gesellschaft auf den Inseln. Und zu viele Frachten sind dort unterhalb des Äquators schon verlorengegangen, als daß es der Gesellschaft noch länger wohl dabei sein könnte. Mr. Blakemore selber hat mir diesen Auftrag gegeben. Ich soll herausfinden, was los ist.«
»Sie werden es auch herausfinden, Sir«, erklärte Ted fest. »Wenn es irgendwo ein Geheimnis aufzuklären gilt, ist Kapitän Tom von der Araby genau der richtige Mann dafür.«
Jarvis lächelte zerstreut. »O Jugend! Immer sicher, immer fertig mit dem Wort.« Er ließ die Stimme sinken und beugte sich über die Karte. »Die Sache ist ernster, als Sie es sich träumen, Joe Macaroni. Ich bin nicht der erste Mann, den die Gesellschaft nach Papeete geschickt hat.«
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Ted sah, als er schnell zu seinem Kapitän aufblickte, daß das bronzene Gesicht des großen Mannes ernst, ja beinahe finster war. Die hellblauen Augen glitzerten stählern. »Was — was ist denn mit diesen Männern geschehen?« fragte Ted unsicher.
»Wir wissen es nicht mit Bestimmtheit. Der erste, Mr. X — die Affäre wurde so geheimgehalten, daß Mr. Blakemores Büro ihn nur so kennzeichnete — , Mr. X also ist vor etwa sechs Monaten zu den Inseln hinuntergefahren. Seine ersten Berichte waren optimistisch. Er schrieb, daß er vielen Dingen auf der Spur sei; er war Stanhope Ridley und seinem Assistenten, einem Amerikaner mit äußerst fragwürdiger Vergangenheit, dicht auf den Fersen. Der Amerikaner war, wie wir erfuhren, nun Ridleys vertrauter Sekretär, doch das brachte uns nicht weiter, denn nach etwa zwei Monaten schrieb Mr. X, daß der Fall erledigt sei, da alles sich in bester Ordnung befinde. Das Beweismaterial, das er gegen die beiden Männer zusammenzutragen gehofft hatte, existierte nicht. Bei den Malheuren, die den Frachten der Gesellschaft widerfahren seien, habe es sich einwandfrei um eine Reihe unseliger Zufälle gehandelt, und so weiter. Das also war alles, was Mr. X herausfand, und er war ein erfahrener Versicherungsdetektiv, ein Mann, der zahlreiche verlorene Cargos und versunkene Frachter aufgespürt hatte, und der es meisterhaft verstand, die Ursache plötzlicher Brände auf den Kais, bei denen wertvolle Güter draufgingen, festzustellen. Aber — er kehrte nie mehr nach Amerika zurück, und Mr. Blakemore erfuhr später, daß er in großem Stile auf einer umfangreichen Plantage lebte, die er sich auf Tahiti gekauft hatte. Das war das Ende der Nachforschungen des Mr. X, und die Jagd mußte aufs neue begonnen werden.«
Kapitän Jarvis machte eine Pause und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Aus einer Tasche seiner blauen Offiziersjacke holte er Pfeife und Tabaksbeutel hervor. »Als nächsten sandte die Gesellschaft einen ihre Anwälte hinunter — er wurde Mr. Y genannt.
Diesmal reiste der Prüfer inkognito, damit der Agent in Papeete von seiner Tätigkeit nichts erfuhr. Sie wissen vielleicht noch nicht, Joe Macaroni, daß Papeete im Rufe steht, den schlimmsten Hafen im gesamten südlichen Pazifik zu besitzen. Mr. Y verschwand — verblich wie ein Rauchwölkchen am Himmel. Niemand hörte wieder von ihm.« Der Kapitän hörte auf zu sprechen.
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Ted saß schweigend da, merkwürdig erregt außerdem. Plötzlich hob eine kühle Brise die Ecken der Papierkarte auf dem Tisch hoch, und das raschelnde Geräusch ließ dem neuen Dritten Offizier eine Gänsehaut über den Rücken laufen. »Und dann?« fragte er atemlos. »Sind Sie der nächste in der Reihe?«
»Nein, ich bin nicht der nächste. Nachdem sich X und Y als Fehlschläge erwiesen hatten, beschlossen die Versicherungsgesellschaften, die an der Sache interessiert waren, gemeinsam mit der Blakemore-Reederei, einen Privatdetektiv hinzuschicken. Er fuhr auf der Makura als normaler Tourist. Alle sagen, daß er gerissen und klug und einer der besten Fachleute der Pazifikküste war.
Nicht einmal das Büro wußte von ihm, so geheim hielt man diesen dritten Versuch. Er war unter der Bezeichnung Mr. Z bekannt.«
»Und was hat er gefunden?«
»Er hat nichts gefunden«, sagte Jarvis betont, während die Knöchel an seinen großen Fäusten sich weiß vom Grün der Tischplatte abhoben, die er umklammerte. »Man hat ihn gefunden — mit einem Messer im Rücken ... Die französische Polizei hat ihn eines Morgens am Ufer in Papeete gefunden. Er lag unter einer Kokospalme — tot.«
Sekundenlang saß Ted völlig reglos da, erschüttert von dieser Kette unheimlicher Geschehnisse. Dann sprang er auf. Ihn schauderte, und er konnte einfach nicht länger im Drehsessel sitzen und diesen unglaublichen Geschichten lauschen. Zurücktretend schaute er sich nervös um. Die Wände der Offiziersmesse waren strahlend weiß.
Unter seinen Füßen spürte er die leichte Vibration der Schraube, die die Araby nach Süden brachte, immer weiter südlich, bis nach Papeete, dem schlimmsten Hafen im ganzen südlichen Pazifik.
Mit Anstrengung nur riß er sich zusammen.
»Und Sie, Kapitän Tom, sind Sie der letzte, der mit diesem Auftrag fährt?«
Der Kapitän fuhr sich übers Kinn. »Ich bin der nächste«, verbesserte er mit etwas schiefem Lächeln. »Die Gesellschaft nennt mich in meiner neuen Eigenschaft als Detektiv Mr. A. Diesmal fangen sie beim Anfang des Alphabets an, damit sie genügend Buchstaben übrigbehalten.«
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