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Der berühmteste Fall ist zugleich der am weitesten verbreitete: der Schoßhund, der seine menschlichen Gefährten so sehr ins Reich der Hunde aufgenommen hat, dass er sich sogar mit ihnen paaren will - wie jeder Hundebesitzer, der schon einmal seinen verliebten Freund vom Bein eines verlegenen Besuchers zerren musste, bestätigen wird.

Unser Goldhase verstand sich bestens mit dem südamerikanischen Paka, und die beiden schliefen wohlig aneinander gekuschelt, bis der Erstere gestohlen wurde.

Von der Rhinozeros-und-Ziegen-Herde war schon die Rede, von Zirkuslöwen auch.

Es gibt bezeugte Berichte über schiffbrüchige Seeleute, die von Delphinen über Wasser gehalten wurden, so wie diese Meeressäuger einander helfen, wenn sie in Not sind. Die Literatur erwähnt den Fall eines Hermelins, das mit einer Ratte zusammenlebte, andere Ratten jedoch sofort riss, wie Hermeline es gewöhnlich tun.

Wir hatten selbst einmal einen Fall, wo das übliche Raubtier-Beute-Verhältnis aufgehoben war. Wir hatten eine Maus, die mehrere Wochen lang unter den Vipern lebte. Andere Mäuse, die wir ins Terrarium steckten, waren binnen zwei Tagen verschwunden, doch dieser kleine braune Methusalem baute sich ein Nest, legte mehrere Depots für die Körner an, mit denen wir ihn fütterten, und verbrachte seine Tage mitten unter den Schlangen. Wir fanden das so erstaunlich, dass wir sogar ein Schild aufstellten, das die Zoobesucher auf die Maus aufmerksam machte. Als das Ende schließlich kam, war es kurios: eine junge Viper biss sie. Wusste diese Viper nichts vom Sonderstatus der Maus? War sie nicht genügend sozialisiert? Wie dem auch sei, die junge Viper biss die Maus, doch verschlungen wurde sie - und zwar auf der Stelle-von einem erwachsenen Tier. Wenn es einen Zauber gab, dann hatte die junge Schlange ihn gebrochen. Von da ab ging alles wieder seinen Gang, und die Mäuse verschwanden binnen des üblichen Zeitraums im Vipernschlund.

Hündinnen ziehen in Zoos oft Löwenbabys groß. Obwohl die Löwenkinder bald größer sind als die Betreuerin und auch weit gefährlicher, zeigen sie stets Respekt vor ihrer Mutter, und sie verliert nie den Gleichmut oder das Gefühl der Autorität über ihren Wurf. Schilder müssen aufgestellt werden, die erklären, dass der Hund kein Futter für die Löwen ist (wir mussten auch eines aufstellen, das darauf hinwies, dass Rhinozerosse Pflanzen fressen und keine Ziegen).

Wie lässt sich Zoomorphismus erklären? Kann denn ein Nashorn nicht Groß und Klein unterscheiden, dicke Lederhaut von weichem Fell? Weiß ein Delphin nicht, wie ein Delphin aussieht? Ich würde die Antwort eher bei etwas suchen, von dem ich schon gesprochen habe, und zwar bei jenem Maß Wahnsinn, das, wenn auch auf den seltsamsten Umwegen, stets zum Guten der Natur ist. Der Goldhase brauchte genau wie das Rhinozeros einen Gefährten. Die Zirkuslöwen wollen gar nicht wissen, dass ihr Anführer ein schwächlicher Mensch ist, Hauptsache, sie haben ein gutes Leben ohne das Durcheinander, das ihnen so verhasst ist. Und die Löwenkinder würden umfallen vor Schreck, wenn sie wüssten, dass ihre Mutter ein Hund ist, denn das würde bedeuten, dass sie mutterlos sind, das schlimmste Unglück, das sich ein junger Warmblüter überhaupt vorstellen kann. Ich bin sicher, selbst die erwachsene Viper spürte in ihrem nicht gerade großen Verstand eine Art Bedauern, als sie die Maus verschlang, das Gefühl, dass sie gerade die Chance zu etwas Besserem vertan hatte, den Sprung verpasst, der sie über die triste, einsame Reptilienrealität hinausgebracht hätte.

Kapitel 33

Er zeigt mir Erinnerungsstücke. Zuerst die Hochzeitsfotos. Eine Hinduhochzeit vor unverkennbar kanadischer Kulisse. Er in jüngeren Jahren, sie in jüngeren Jahren. Ihre Hochzeitsreise haben sie zu den Niagarafällen gemacht. Und waren glücklich. Das Lächeln beweist es. Wir gehen in der Zeit zurück. Bilder aus seinen Studententagen an der U of T: mit Freunden, vor St. Mike's, in seinem Zimmer, an Diwali in der Gerrard Street, als Prediger an der Basiliuskirche im weißen Talar, in einem anderen weißen Kittel im Labor der Zoologischen Fakultät, bei der Abschlussfeier. Immer mit einem Lächeln, doch seine Augen sprechen eine andere Sprache.

Bilder aus Brasilien, mit zahlreichen Dreifingerfaultieren in situ.

Mit dem nächsten Umblättern machen wir den Sprung über den Pazifik - und da ist so gut wie nichts. Die Kamera war immer dabei, versichert er mir, bei den üblichen wichtigen Ereignissen, aber alles ist verloren gegangen. Die wenigen Aufnahmen, die da sind, hat Mamaji nach den Ereignissen zusammengesucht und ihm geschickt.

Ein Bild zeigt den Zoo, aufgenommen beim Besuch eines hohen Politikers. In Schwarzweiß enthüllt es mir eine fremde Welt. Auf dem Foto drängen sich die Menschen um den Kabinettsminister der Union, der im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Im Hintergrund eine Giraffe. Fast am Rand der Gruppe erkenne ich einen jüngeren MrAdirubasamy.

»Mamaji?«, frage ich und zeige auf ihn.

»Ja«, sagt er.

Neben dem Minister steht ein Mann, Hornbrille, das Haar sehr ordentlich gekämmt. Den könnte ich mir als MrPatel vorstellen, nur das Gesicht ist runder als das seines Sohns.

»Ist das Ihr Vater?«, frage ich.

Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, wer das ist.«

Ein paar Sekunden Pause folgen, dann sagt er: »Vater hat das Bild gemacht.«

Auf derselben Seite ist noch ein weiteres Gruppenfoto, größtenteils Schulkinder. Er tippt mit dem Finger darauf.

»Das ist Richard Parker«, sagt er.

Ich sehe genau hin, versuche von der äußeren Erscheinung auf die Persönlichkeit zu schließen. Leider ist es wieder nur schwarzweiß und ein wenig unscharf. Ein Bild aus besseren Tagen, ein sorgloser Schnappschuss. Richard Parker hat den Kopf abgewendet. Er merkt gar nicht, dass er fotografiert wird.

Die gegenüberliegende Seite ist ganz von einem Farbfoto des Swimmingpools im Aurobindo-Aschram ausgefüllt. Es ist ein schönes großes Freibad mit kristallklarem Wasser, einem makellos blauen Boden und einem Tiefbecken zum Springen.

Ein Bild auf der nächsten Seite zeigt den Eingang zum Petit Séminaire. Auf dem Torbogen steht das Motto der Schule: Nil magnum nisi bonum. Es gibt nichts Großes ohne das Gute.

Und das ist alles. Vier unbedeutende Fotografien, die Erinnerung an eine ganze Kindheit.

Er wird ernst.

»Das Schlimmste ist«, sagt er, »dass ich kaum noch weiß, wie meine Mutter aussah. In Gedanken sehe ich noch ein Bild, aber es ist flüchtig. Wenn ich versuche, sie mir genauer anzusehen, verschwindet sie. Mit ihrer Stimme geht es genauso. Sähe ich sie auf der Straße wieder, würde alles zurückkommen. Aber das wird wohl kaum geschehen. Es ist so furchtbar traurig, wenn man das Bild der Mutter verliert.«

Er klappt das Album zu.

Kapitel 34

Vater sagte: »Wir stechen in See wie Kolumbus!«

»Aber der wollte nach Indien«, wandte ich grimmig ein.

Wir verkauften den Zoo, vom ersten bis zum letzten Tier. An ein neues Land, ein neues Leben. Die Transaktion sollte nicht nur unserer Menagerie eine glückliche Zukunft sichern, sondern auch die Auswanderung finanzieren, und es sollte noch eine gute Summe übrig bleiben, mit der wir in Kanada neu anfangen konnten (obwohl es, wenn ich heute daran denke, lächerlich wenig war - was lassen wir uns doch vom Mammon blenden!). Wir hätten unsere Tiere auch an indische Zoos verkaufen können, aber die amerikanischen zahlten besser. CITES, die Convention on International Trade in Endangered Species, war eben in Kraft getreten, und damit war es mit dem Fangen von Tieren in freier Wildbahn vorbei. Die Zukunft der Zoos lag nun bei anderen Tiergärten. Der Zoo von Pondicherry machte genau im richtigen Augenblick zu. Die Leute rissen sich um unsere Tiere. Am Ende gingen die meisten an den Lincoln Park Zoo in Chicago und den eben erst aufgebauten Tierpark von Minnesota. Aber ein paar sollten auch nach Los Angeles, Louisville, Oklahoma City und Cincinnati.