Und zwei kamen in den Kanada-Zoo. So sahen jedenfalls Ravi und ich es. Wir wollten nicht fort. Wir wollten nicht in ein Land, über das ständig Stürme fegten und in dem im Winter astronomische Minusgrade herrschten. Keiner hatte je von einer kanadischen Cricketmannschaft gehört. Allerdings hatten wir Zeit, uns an den Gedanken zu gewöhnen, denn die Vorbereitungen dauerten über ein Jahr. Nicht für uns, meine ich. Für die Tiere. Wenn man bedenkt, dass Tiere ja weder Kleider noch Schuhe haben, keine Möbel, keine Bettwäsche, kein Geschirr, keine Toilettenartikel, dass ihnen die Nationalität nichts bedeutet, dass sie sich den Teufel um Pässe, Geld, Arbeitserlaubnis, Schulen, Mieten, Krankenhäuser kümmern - wenn man also, kurz gesagt, bedenkt, wie leicht ihr Leben ist, dann ist es schon erstaunlich, wie schwierig es ist, sie an einen anderen Ort zu bringen. Mit einem Zoo umziehen, das ist, als wolle man mit einer ganzen Stadt umziehen.
Der Verwaltungsaufwand war kolossal. Literweise Wasser wurde allein für das Anfeuchten von Briefmarken gebraucht. Sehr geehrter Mister So-undso Hunderte von Malen geschrieben. Man machte Angebote. Hörte Seufzer. Brachte Zweifel zum Ausdruck. Nörgelte. Legte Entscheidungen an höherer Stelle vor. Einigte sich über Preise. Besiegelte per Handschlag. Unterzeichnete auf der gestrichelten Linie. Gratulierte. Brauchte Herkunftsnachweise. Brauchte Gesundheitszeugnisse. Brauchte Exportgenehmigungen. Brauchte Importgenehmigungen. Holte Auskünfte über Quarantänebestimmungen ein. Organisierte den Transport. Gab ein Vermögen für Telefongespräche aus. Es ist ein alter Witz im Zoogewerbe, dass der Papierberg, der notwendig ist, um eine Spitzmaus zu verschicken, größer ist als ein Elefant, der Berg für einen Elefanten größer als ein Wal und dass man niemals, unter keinen Umständen, einen Wal verschicken darf. Manchmal hatte ich das Gefühl, die kleinlichen Bürokraten stünden Schlange von Pondicherry über Delhi und Washington bis nach Minneapolis, jeder mit seinem Formular, seinem Einwand, seiner Verzögerung. Hätten wir die Tiere auf den Mond schicken wollen, hätte es wohl kaum schwieriger sein können. Vater raufte sich die Haare, bis er fast keine mehr auf dem Kopf hatte, und ein paar Mal hätte er die ganze Sache beinahe doch noch abgeblasen.
Manches überraschte uns. Die meisten Vögel und Reptilien, unsere Lemuren, Nashörner, Orang-Utans, Mandrills, Löwenschwanzmakaken, Giraffen, Ameisenbären, Tiger, Leoparden, Geparden, Hyänen, Zebras, Himalaja- und Faulbären, die indischen Elefanten, die Bergziegen und so weiter waren rasch vergeben, doch andere, Elfie zum Beispiel, ernteten nur ein Schulterzucken. »Eine Augenoperation!«, rief Vater und wedelte mit dem Brief. »Sie nehmen sie, wenn wir den grauen Star am rechten Auge operieren lassen! An einem Nilpferd! Was kommt als Nächstes? Nasenkorrektur beim Rhinozeros?« Manche unserer Tiere galten als »nicht selten genug«, die Löwen und Paviane zum Beispiel. Vater hatte sie weise gegen einen zusätzlichen Orang-Utan aus dem Zoo von Mysore und einen Schimpansen aus Manila getauscht. (Und Elfie verbrachte ihren Lebensabend im Zoo von Trivandrum.) Einer unserer Abnehmer bestellte für den Kinderzoo eine »echte heilige Kuh«. Vater ging hinaus in den städtischen Dschungel von Pondicherry und kaufte eine Kuh mit feuchten dunklen Augen, einem ordentlichen dicken Bauch und Hörnern so gerade und rechtwinklig, dass man denken konnte, sie hätte die Zunge in eine Steckdose gesteckt. Vater ließ die Hörner leuchtend orange bemalen und kleine Plastikglöckchen anbringen, damit sie umso echter aussah.
Eine dreiköpfige Abordnung kam aus Amerika. Das war lustig - nie im Leben hatte ich leibhaftige Amerikaner gesehen. Sie waren rotgesichtig, fett und freundlich, kannten sich gut aus und schwitzten entsetzlich. Sie untersuchten unsere Tiere. Den meisten verabreichten sie ein Betäubungsmittel, und dann hielten sie ihnen ihr Stethoskop ans Herz, untersuchten Urin und Fäkalien, als wollten sie das Horoskop daraus lesen, zapften mit Nadeln Blut ab und analysierten es unter dem Mikroskop, betasteten Warzen und Knoten, klopften an die Zähne, leuchteten mit Taschenlampen in kniepende Augen, kniffen Häute, fuhren über Fell und zerrten an Haaren. Die armen Tiere. Es muss ihnen vorgekommen sein wie die Musterung zur Aufnahme in die Army. Die Amerikaner zeigten beim Lächeln ihre Zähne und drückten einem die Hände, dass die Knochen knackten.
Und so bekamen die Tiere, genau wie wir, ihre Aufenthaltserlaubnis. Sie würden Yankees werden und wir Kanadier.
Kapitel 35
Am 21.Juni 1977 brachen wir aus Madras auf, mit dem japanischen Frachter Tsimtsum, der unter Panamaflagge fuhr. Die Offiziere waren Japaner, die Mannschaft kam aus Taiwan, und es war ein großes und eindrucksvolles Schiff. An unserem letzten Tag in Pondicherry verabschiedete ich mich von Mamaji, von Mr und MrKumar, von all meinen Freunden, sogar von vielen Fremden. Mutter hatte ihren schönsten Sari angelegt. Ihr langer Zopf, kunstvoll gewunden und am Hinterkopf zusammengesteckt, war mit einem frischen Jasminsträußchen geschmückt. Sie sah wunderschön aus. Und traurig. Denn sie sollte fort aus Indien, dem Indien der schwülen Sommer und Monsunregen, der Reisfelder und des Cauvery River, der Meeresufer und steinernen Tempel, der Ochsenkarren und bunten Gespanne, der Freunde, der altbekannten Läden, fort von Nehru Street und Goubert Salai, von diesem und von jenem, von Indien, das ihr so vertraut war und das sie so sehr liebte. Ihre Männer - zu denen ich mich zählte, obwohl ich ja gerade erst sechzehn war - konnten den Aufbruch gar nicht erwarten und sahen sich im Geiste schon in Winnipeg; sie aber wäre gern geblieben.
Am Tag vor dem Aufbruch wies sie auf einen fliegenden Zigarettenhändler und fragte: »Sollen wir noch ein Päckchen kaufen?«
»In Kanada gibt es auch Zigaretten«, sagte Vater. »Und was willst du damit? Bei uns raucht doch keiner.«
Sicher, in Kanada gibt es Zigaretten - aber auch von Gold Flake? Gibt es Arun-Eiscreme dort? Fahrräder von Hero? Fernseher von Onida? Fahren die Leute Ambassadors? Heißen die Buchläden Higginbothams? Solche Fragen, male ich mir aus, gingen Mutter durch den Kopf, wirbelten alle durcheinander, als sie überlegte, ob sie noch ein Päckchen Zigaretten kaufen sollte.
Die Tiere bekamen Beruhigungsmittel, Käfige wurden an Deck gehievt und festgezurrt, Futter gebunkert, Kojen belegt, Leinen geworfen; Sirenen tuteten. Als das Schiff langsam vom Kai ablegte und hinaus auf See manövriert wurde, winkte ich nach Leibeskräften Indien Lebewohl. Die Sonne schien, es wehte ein steter Wind, die Möwen stießen hoch in der Luft ihre Schreie aus. Ich war ungeheuer aufgeregt.
Es sollte anders kommen, als wir dachten, aber was kann man da schon machen? Man muss das Leben nehmen, wie es kommt, und sehen, dass man das Beste daraus macht.
Kapitel 36
Indische Städte sind groß und unglaublich geschäftig, aber wenn man sie erst einmal hinter sich lässt, reist man durch endlos leere Landschaften, in denen man kaum eine Menschenseele sieht. Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, wo sich 950 Millionen Inder verstecken können.