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Ähnlich geht es mir in seinem Haus.

Ich bin ein wenig zu früh. Ich setze gerade den Fuß auf die unterste Treppenstufe, da kommt ein Teenager zur Tür herausgestürmt. Er ist im Baseballtrikot, Schläger in der Hand, und er hat es sehr eilig. Als er mich sieht, hält er inne, überrascht. Er dreht sich um und brülltins Haus: »Dad, der Schriftsteller ist da!« Zu mir sagt er »Hi!«, und schon ist er fort.

Sein Vater kommt an die Haustür. »Hallo«, sagt er.

»Das war Ihr Sohn?«, frage ich ungläubig.

»Ja.« Er lächelt stolz. »Eigentlich hätte ich Sie bekannt machen sollen. Aber er war schon zu spät zum Training. Er heißt Nikhil. Genannt Nick.«

Ich komme auf den Flur. »Ich habe ja gar nicht gewusst, dass Sie einen Sohn haben«, sage ich. Ein kleiner Mischlingsköter, schwarzbraun, kommt auf mich zu, hechelnd und schnüffelnd. Er springt an meinem Bein hoch. »Oder einen Hund«, füge ich hinzu.

»Der tut keinem was. Tata, lass das!«

Tata denkt gar nicht daran zu gehorchen. Ich höre ein weiteres »Hallo«, aber nicht so knapp und energisch wie Nicks Gruß. Ein lang gezogenes, näselndes und ein wenig weinerliches Hallooooooooo, das oooooooo nach mir ausgestreckt wie ein Finger, der mir auf die Schulter pocht, oder ein leises Ziehen am Hosenbein.

Ich drehe mich um. Ans Wohnzimmersofa gelehnt steht ein kleines braunes Mädchen, hübsch in ihrem rosa Kleid, und blickt schüchtern zu mir auf. Sie hält eine gelbliche Katze in den Armen. Nur zwei ausgestreckte Vorderpfoten und der Kopf sind über ihren gekreuzten Armen zu sehen, der Rest hängt hinunter bis zum Boden. Der Katze macht es anscheinend überhaupt nichts aus, dass sie so aufs Streckbett gespannt wird.

»Und das ist Ihre Tochter?«, sage ich.

»Ja. Usha. Usha, Schatz, meinst du, das gefällt Moccasin, wenn du ihn so hältst?«

Usha lässt Moccasin fallen. Er geht zu Boden, als sei nichts dabei.

»Hallo, Usha«, sage ich.

Sie läuft zu ihrem Vater und versteckt sich hinter seinem Bein.

»Was machst du denn da, meine Kleine?«, fragte er. »Warum versteckst du dich?«

Sie antwortet nicht, sieht mich an, lächelt und verbirgt dann wieder ihr Gesicht.

»Wie alt bist du, Usha?«, frage ich.

Sie bleibt stumm.

Da beugt Piscine Molitor Patel, besser bekannt als Pi Patel, sich hinunter und hebt seine Tochter hoch.

»Na, die Frage kannst du doch beantworten, oder? Hmmm? Du bist vier Jahre alt. Eins, zwei, drei, vier.«

Bei jeder Zahl stupst er sie sanft mit dem Zeigefinger auf die Nase. Sie findet das ungeheuer lustig. Sie kichert und vergräbt ihren Kopf an seinem Nacken.

Diese Geschichte nimmt ein gutes Ende.

ZWEITER TEIL Der Pazifische Ozean

Kapitel 37

Das Schiff sank. Es gab einen Ton von sich wie ein riesiges metallisches Rülpsen. Sachen blubberten an der Oberfläche, dann verschwanden sie. Alles brüllte: der Wind, die See, mein Herz. Vom Rettungsboot sah ich etwas im Wasser.

»Richard Parker«, rief ich, »Richard Parker, bist du das? Richard Parker! Wenn doch nur der Regen aufhören würde! Richard Parker, tatsächlich!«

Ich konnte seinen Kopf sehen. Mit aller Macht kämpfte er, um über Wasser zu bleiben.

»Jesus, Maria, Mohammed und Vishnu, was für ein Glück, dass du da bist, Richard Parker! Nicht aufgeben, bitte. Komm ins Rettungsboot. Hörst du die Trillerpfeife? PRRRIIII! PRRRIIII! PRRRIIII! Ja, hier bin ich. Du musst nur schwimmen. Schwimmen! Du bist doch ein guter Schwimmer. Keine dreißig Meter!«

Er hatte mich gesehen. Er war in Panik. Jetzt schwamm er auf mich zu. Rings um ihn schlugen die Wellen hoch. Er sah klein und hilflos aus.

»Richard Parker, kannst du glauben, was mit uns geschehen ist? Sag mir, dass es ein böser Traum ist. Sag mir, es ist alles nur Einbildung. Sag mir, dass ich noch in meiner Koje auf der Tsimtsum liege, ich wälze mich, ich strample, und gleich erwache ich aus dem Alptraum. Sag mir, dass ich noch immer glücklich bin. Mutter, mein sanfter, kluger Schutzengel, wo bist du? Und du, Vater, mein Peiniger aus Liebe? Wo bist du, Ravi, strahlender Held meiner Kindheit? Vishnu schütze mich, Allah stehe mir bei, Christus errette mich, allein bin ich verloren. PRRRIIII! PRRRIIII! PRRRIIII!«

Körperlich war ich unversehrt, doch nie hatte ich so unglaublichen Schmerz gespürt, ein solches Zucken der Nerven, ein solches Stechen im Herzen.

Er schaffte es nicht. Er würde ertrinken. Er kam kaum noch voran, und seine Bewegungen waren schlaff. Immer wieder tauchte der Kopf halb unter. Nur die Augen waren fest auf mich gerichtet.

»Was ist denn mit dir, Richard Parker? Hängst du denn gar nicht am Leben? Dann schwimm! PRRRIIII! PRRRIIII! PRRRIIII! Kräftig, mit den Beinen! Und stoßen! Und stoßen! Und stoßen!«

Man sah, wie er sich im Wasser einen Ruck gab und schwamm.

»Und was ich sonst noch an Familie hatte - Vögel, Säuger, Reptilien? Auch sie ertrunken. Alles, was mir im Leben lieb war, jedes einzelne Ding, ist verloren. Und ich bin nicht einmal eine Erklärung wert? Ich durchleide die Hölle, und kein Wort aus dem Himmel? Da frage ich dich, Richard Parker, wozu ist denn dann all unsere Klugheit gut? Haben wir unseren Verstand nur, dass wir durchs Leben kommen - für Nahrung, Kleidung, Unterkunft? Warum hat die Vernunft auf die großen Fragen keine Antwort? Warum können wir eine Frage weiter auswerfen, als wir die Antwort einholen können? Warum ein so großes Netz, wenn es nur so kleine Fische zu fangen gibt?«

Sein Kopf ragte nun kaum noch aus dem Wasser. Er blickte auf, sah zum letzten Mal den Himmel. Im Boot war ein Rettungsring mit einem Seil daran. Ich packte ihn und hielt ihn in die Höhe.

»Siehst du den Ring, Richard Parker? Siehst du, was ich hier habe? Halt dich daran fest. UFF! Ich versuch's noch einmal. UFF!«

Er war zu weit draußen. Aber er sah, dass ich ihm einen Rettungsring zuwarf, und das machte ihm neuen Mut. Er nahm seine Kräfte zusammen und peitschte das Wasser mit energischen, verzweifelten Zügen.

»So ist's richtig! Eins, zwei. Eins, zwei. Eins, zwei. Und tief durchatmen. Nimm dich in Acht vor den Wellen. PRRRIIII! PRRRIIII! PRRRIIII!«

Mein Herz war kalt wie Eis. Der Kummer drehte mir den Magen um. Aber für die Lähmung des Schocks blieb keine Zeit. Mein Schock war ein tätiger Schock. Etwas in mir wollte nicht aufgeben, wollte das Leben nicht loslassen, wollte kämpfen bis zur letzten Sekunde. Wo dieses Etwas den Mut hernahm, ist mir ein Rätsel.

»Ist das nicht zum Lachen, Richard Parker? Wir sind mitten in der Hölle, und trotzdem fürchten wir uns vor der Unsterblichkeit. Sieh doch nur, wie nahe du schon bist! PRRRIIII! PRRRIIII! PRRRIIII! Hurra, hurraaa! Du schaffst es, Richard Parker, du schaffst es! Fang! UFF!«

Ich warf den Rettungsring mit aller Macht. Direkt vor seiner Nase landete er im Wasser. Mit letzten Kräften reckte er sich und hielt sich daran fest.

»Halt gut fest, ich ziehe dich an Bord. Du ziehst mit den Augen, ich mit den Händen. Gleich sitzen wir beide im Boot. Moment mal-wir sitzen beide im selben Boot? Bin ich denn noch bei Trost?«

Erst da begriff ich, was ich gerade tat. Ich riss an der Leine.

»Lass den Rettungsring los, Richard Parker! Loslassen, sage ich! Ich will dich nicht hier oben haben, hörst du? Schwimm anderswohin. Lass mich in Ruhe. Weg mit dir. Meinetwegen kannst du ertrinken! Los, ertrinke!«