Oho! dachte Jankel mit unwillkürlicher Begeisterung und sprang hinter dem Strauch hervor.
Die Deutschen sahen dem neuen Ankömmling verwundert entgegen, lächelten dann freundschaftlich, nickten ihm zu und forderten ihn durch Gesten auf, sich zu ihnen zu setzen. Jankel wollte sich um keinen Preis blamieren. Er kramte in seinem Gedächtnis, um ein paar passende deutsche Worte zu finden, die er in den Deutschstunden gehört hatte.
„Gutten Tag“, sprach er dann mit weltmännischer Verbeugung. „Deutschland… Kamraden!“
„Guten Tag, Guten Tag!“ Die Deutschen lächelten wieder, aber Jankel fiel keine deutsche Antwort mehr ein. Deshalb drückte er dem Neuen das Brot in die Hand und rannte davon. Bei den anderen angelangt, setzte er ein unschuldiges Lächeln auf und ging zum Direktor. „Viktor Nikolajewitsch, wie heißt auf deutsch… na, zum Beispieclass="underline" 'Genösse, gib mir eine Zigarette'?“ Vikniksor lächelte gutmütig.
„Das weiß ich nicht mehr. Frag Ella Andrejewna. Sie ist dort in dem Häuschen.“ Jankel ging hin. Am jenseitigen Ufer der Insel saß Elanljum tatsächlich in einer kleinen, halbverfallenen Laube. Sie war später gekommen als die Jungen, hatte allein gebadet und ruhte sich jetzt aus.
Jankel wiederholte seine Frage, aber Elanljum riß nur verblüfft die Augen auf.
„Wozu brauchst du das?“
„Bloß so. Ich möchte mich in der deutschen Umgangssprache üben.“ Nach kurzer Überlegung sagte ihm Elanljum die deutsche Übersetzung.
„Vielen Dank, Ella Andrejewna!“ rief Jankel und raste zu den Deutschen, voller Besorgnis, er würde die Wörter unterwegs durcheinanderbringen.
Bei ihnen angelangt, verbeugte er sich noch einmal. „Kamraden! Biite gäben Sie mir ain Sigarette!“
Die Deutschen lachten auf, und jeder holte eine Zigarette hervor. Jankel nahm alle beide und entschwand, äußerst zufrieden mit seinen praktischen Sprachübungen.
Am Ufer holte er eine Zigarette aus der Tasche und steckte sie sich an. Der duftende Tabak kitzelte ihn in der Kehle. Die anderen Jungen wurden von dem ungewohnten Duft angelockt. „Wo hast du die her?“
„Der raucht Zigaretten!“
Jankel gab keine Auskunft. Er erzählte nur, wie gut der Neue deutsch sprechen könne.
Doch bald hatten die Jungen die Deutschen entdeckt. Allmählich versammelte sich die gesamte Schkid-belegschaft um die Matrosen. Jeonin spielte den Dolmetscher.
Er übersetzte die Fragen der Jungen und die Antworten der Deutschen.
Und die Jungen hatten zahlreiche und verschiedenartige Fragen. Weshalb ist die Revolution in Deutschland fehlgeschlagen? Gibt es in Deutschland auch Kinderheime? Und verwahrloste Jugendliche? Kann man in den deutschen Schulen Russisch lernen? Sind die Matrosen schon einmal in Afrika gewesen? Haben sie Krokodile gesehen? Weshalb rauchen sie Zigaretten ohne Pappmundstück? Warum jagen die Deutschen die Kapitalisten nicht zum Teufel?
Die Matrosen keuchten und schwitzten, beantworteten jedoch jede Frage.
Die Jungen waren so sehr in die Unterhaltung vertieft, daß sie gar nicht merkten, wie der Schulleiter mit seiner deutschen Frau hinzutrat.
„Oh, hier ist ja Besuch!“ sagte Vikniksor.
Elanljum strahlte über das ganze Gesicht. Sie fing sofort an, deutsch zu plappern.
Die Jungen verstanden davon kein einziges Wort, blieben jedoch sitzen und betrachteten die Ausländer vergnügt. Die älteren hielten es für ihre Pflicht, mit dem Neuen, der so außergewöhnliche Deutschkenntnisse an den Tag gelegt hatte, nähere Bekanntschaft zu schließen. „Wo hast du so gut Deutsch gelernt?“ fragte Zigeuner. Jeonin lächelte.
„Im Otschakow-Heim. Ich liebe die deutsche Sprache, darum hab' ich sie gelernt. Ich hab' sie mir allein beigebracht.“
„Was ist das für ein Heim?“
„Ein Internat. Früher, vor der Revolution, hieß es so. Es liegt beim Smolny. Von dort bin ich zu euch versetzt worden.“ „Wegen Aufsässigkeit?“ forschte Spatz ernsthaft. Der Neue grinste nur.
„Deswegen auch“, erwiderte er dann ausweichend. „Wegen allen möglichen Sachen.“
Allmählich kamen sie ins Gespräch. Der Neue erzählte von sich. Er sei als Vollwaise aufgewachsen, habe aber noch irgendwo einen Onkel, wisse jedoch nicht, wo. Sein Vater sei 1914 an der Front gefallen und die Mutter kurz darauf gestorben.
Schnell verflog die Zeit, und erst Vikniksors Ruf ließ die Jungen in die Gegenwart zurückkehren.
Warum jagen die Deutschen die Kapitalisten nicht zum Teufel?
Die Sonne ging bereits hinter dem Finnischen Meerbusen unter, als Vikniksor den Befehl gab, die Anker zu lichten. Sie gingen zusammen mit den Matrosen zurück.
Nachdem sie den Kanal überquert und das Hafengebiet betreten hatten, dankten die Deutschen den Jungen für das freundschaftliche Gespräch, baten sie, einen Augenblick zu warten, und verschwanden auf ihrem Schiff. Kurz darauf kamen sie mit einem Paket zurück und händigten es Elanljum mit ein paar Worten ein. Elanljum strahlte.
„Kinder, die deutschen Matrosen haben euch Kuchen geschenkt. Sie lassen euch bitten, sie nicht zu vergessen. Beide haben Kinder, die in eurem Alter sind.“
Die Schkider brachen in ein Freudengebrüll aus, schwenkten zum Abschied die Mützen und marschierten zum Tor.
Nur „Brotkanten“ war unzufrieden. Seiner Meinung nach hatten die Deutschen viel zuwenig gegeben.
Den ganzen Weg über murrte er leise vor sich hin und setzte Kossar, seinem Nebenmann, auseinander, daß die Deutschen Geizkragen seien.
„Das ist doch kein Geschenk! Das ist eine GemeinheitI Ich wünsche bloß, daß die Teufel denen genausowenig Wasser geben, wenn sie in der Hölle schmoren!“
„Wieso?“ erkundigte sich Kossar verdattert.
„Weil jeder bloß ein Stück bekommt, wenn der Kuchen geteilt wird“, murrte Brotkanten finster. Nach einiger Überlegung fügte er hinzu: „Vielleicht bleibt dabei aber noch eines für mich übrig.“
„Schluß mit der Stänkerei!“ fuhren ihm die Älteren über den Mund. Zigeuner beließ es nicht bei bloßen Worten, sondern langte ihm noch eine und brachte ihn dadurch endgültig zum Schweigen.
Brotkanten hatte diesen Spitznamen wegen seiner ungewöhnlichen Kopfform bekommen. Sein Schädel war plattgedrückt, lief oben spitz zu und sah tatsächlich wie ein Brotkanten aus.
Brotkanten war zwar noch neu in der Schkid, stand aber bereits im Ruf eines dauernden Miesmachers. Deshalb kümmerte sich für gewöhnlich niemand um sein „Gemecker“. Wurde es den Jungen schließlich zuviel, reagierten sie wie Zigeuner.
Die Schkider hatten die Matrosen ins Herz geschlossen, besonders Jankel, dem die Begegnung außer den erfreulichen Erinnerungen noch eine ausländische Zigarette mit schmalem Goldrand eingebracht hatte.
Auf dem Ausflug hatten die Jungen den Neuen achten gelernt. Durch die Begegnung mit den Deutschen war er in den Vordergrund gerückt, und der Umstand, daß die Älteren neben ihm gingen, bewies, daß er zur „Creme“ der Schkid gehören würde.
So kam es auch. Jeonin wurde in die vierte, obere Abteilung eingeschult. Er war gescheit, schon sehr entwickelt und gleichzeitig ein großer Radaubruder. Das gefiel den Älteren. Bald hatte er auch einen Spitznamen weg. Er wurde „Japs“ getauft wegen seiner leicht geschlitzten Augen und überhaupt wegen seiner verhältnismäßig großen Ähnlichkeit mit den Söhnen aus dem Land der aufgehenden Sonne. Sein Ansehen stieg weiter, als er der Schöpfer der Schkidhymne wurde. Das geschah so:
Als die Erzieher eines Abends ihre Zöglinge in die Schlafräume geschickt und sich die Klassen schon geleert hatten, saßen nur noch Jankel und Japs in der vierten Abteilung auf ihrer Bank. Jankel zeichnete, und Japs machte eine Abschrift aus einem deutschen Buch.
Da kam Vikniksor in die Klasse. Er schien guter Laune zu sein, denn er summte ein Kampflied vor sich hin.