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Einträchtig schmetterten sie.

Er ging durch den Raum, betrachtete die Wände und die gesenkten Köpfe der Schüler und blieb dann vor ihrer Bank stehen. „Wißt ihr was, Kinder“, sagte er, „wir sollten uns eine eigene Schulhymne zulegen.“

Jankel und Japs sahen Vikniksor verwundert an, schwiegen aber diplomatisch.

„Unsere Schule“, fuhr dieser fort, „ist doch in ihrer Art eine Republik. Wir haben ein Wappen, deshalb müssen wir auch eine Nationalhymne haben. Was meint ihr dazu?“

„Na klar“, murmelte Jankel ausweichend. Er wechselte einen Blick mit Japs.

„Und was ist schon dabei?“ fragte Vikniksor lebhaft. „Wir setzen uns jetzt zu dritt dahinter und dichten eine. Ich hab' schon einen Einfall. Wir nehmen die Melodie des Studentenliedes 'Gaudeamus'. Das wird prächtig.“

„Dann man los“, willigten die Hymnendichter lustlos ein. Hingerissen von seinem Einfall, setzte sich Vikniksor neben sie auf die Bank und sang ihnen zur Erläuterung des Versmaßes das „Gaudeamus“ zweimal vor.

Jankel holte ein Blatt Papier, und sie machten sich ans Werk. Während Vikniksor seine unzugängliche Direktorenwürde vollständig vergessen hatte, zerbrach er sich gemeinsam mit den Jungen über Vers und Reim den Kopf.

Schon zweimal hatte ein Erzieher zur Tür hereingesehen, voller Verwunderung über das merkwürdige Bild und ohne zu wagen, die Zöglinge ins Bett zu scheuchen. Denn sie befanden sich ja unter Vikniksors Schutz.

Nach anderthalb Stunden angestrengten Kopfzerbrechens und langer, schöpferischer Streitgespräche war die Nationalhymne endlich fertig. Die drei Verfasser begaben sich in den Weißen Saal. Dort setzte sich Vikniksor an den Flügel und griff in die Tasten.

Die beiden Schkider legten das Blatt auf den Notenständer und warteten auf ihren Einsatz.

Die Begleitmusik brauste auf, die beiden Jungenstimmen vereinten sich mit dem tiefen Baß des Direktors, und einträchtig schmetterten sie die neue Nationalhymne der Republik Schkid:

Ost und West und Süd und Nord hat sich hier gefunden. Eintracht ist das Losungswort, dem wir treu verbunden. Schluß mit der Vergangenheit! Lernend nützen wir die Zeit für das neue Leben, für das neue Leben!

Es war nicht gerade der richtige Zeitpunkt für solchen Gesang. Oben, in den Schlafräumen, wollten die Jungen eben einschlafen, während hier unten, in dem halbdunklen riesengroßen Saal, drei Kehlen unbarmherzig ihre Stimmbänder strapazierten in dem Bestreben, sich gegenseitig zu überschreien.

Schule, du bist unser Hort, unsre Mutter! Lehre, wie man leben soll hinfort zu der Heimat Ehre.

Vikniksors Baß überdröhnte die kraftvollen Akkorde des Flügels, und die beiden schrillen, schwachen Stimmen sekundierten ihm nicht immer ganz richtig:

Arbeit steht noch viel bevor, bis sich öffnet uns das Tor, um uns freizugeben für den Weg ins Leben.

Als der Gesang beendet war, stand Vikniksor auf und schöpfte Atem. „Das habt ihr gut gemacht!“ sagte er. „Gleich morgen muß die ganze Schule unsere Nationalhymne singen.“ Stolzgeschwellt marschierten Jankel und Japs hocherhobenen Kopfes an dem Erzieher vorbei und verschwanden im Schlaf raum. Am nächsten Tage ochsten sämtliche Schkider an der neuen Nationalhymne der Republik Schkid, und die Namen von Jankel und Japs waren bei den aufgeregten, hingerissenen Zöglingen in aller Munde. Die Hymne hob den Neuling in olympische Höhen, und beide Verfasser wurden die Helden des Tages.

Am Abend, im Eßraum, sang die ganze Schule ihre Nationalhymne unter Vikniksors Leitung bereits im Chor.

DIE PROPHETEN

Der Mann mit dem Schlapphut * In der Badeanstalt abhanden gekommen * Oper und Operette * Kampf bis zum Sieg * Sirelchholz und Pessimist * Mut der Verzweiflung.

In der Schkid hießen die Erzieher „Propheten“, Im Laufe der Zeit bekamen die Jungen viele zu sehen. Es waren gute und schlechte, böse und sanfte, kluge und dumme, zuweilen auch bloß unerfahrene, die nur ins Kinderheim gekommen waren, um eine Lebensmittelzuteilung und ein Arbeitsbuch zu erhalten. Vom Hunger getrieben, meldeten sich für den pädagogischen Beruf Menschen, die vorher keine Ahnung von dieser Arbeit gehabt hatten. Und dabei ist die Erziehung verwahrloster Jugendlicher eine schwierige Aufgabe. Außer pädagogischem Talent braucht ein guter Erzieher eiserne Nerven, Selbstbeherrschung und eine überdurchschnittliche Willenskraft. Nur jemand, der seinem Beruf wirklich ergeben war, vermochte im Jahre 1919 diese Eigenschaften aufzubringen. Nur solche Leute setzten sich bei der Arbeit in der Schkid durch. Die anderen — Freßpaketaspiranten oder Schwächlinge — nahmen Reißaus, nachdem sie sich den Betrieb ein bis zwei Tage angesehen hatten; denn sie spürten, daß sie der Horde von ausgelassenen frechen Bengeln nicht gewachsen waren. Im Laufe der Zeit bekamen die Jungen viele zu sehen.

Eines Tages trat ein Mann mit einem weichen, breitkrempigen Hut zur schlechtgestrichenen Tür der Schkid herein. Er war klein und schmächtig, hatte ein Vogelgesicht und ein braunes Bärtchen und machte einen gedrückten, schüchternen Eindruck. Bei dem geringsten Geräusch schrak er zusammen. Dann weiteten sich die wässerigen Äuglein entsetzt, und die Lider senkten sich darüber, als erwarte er einen Schlag. Der Mann war überaus ärmlich gekleidet. Ein schmutziggrauer Stoffmantel, der eigentlich schon längst ausgedient hatte, hing ihm wie ein Sack von den schmalen Schultern. Darunter sahen zerknitterte Baumwollhosen hervor. Sie rutschten bis auf die ausgetretenen Soldatenstiefel. Es war ein neuer, bereits festangestellter Erzieher, der sich jetzt im Hause umsehen und die Kinder, mit denen er zu arbeiten hatte, kennenlernen wollte. Wie ein lautloser Schatten glitt er durch die Zimmer und kam dabei auch in den Schlafraum. Dort brannte der Ofen. Japs, Brotkanten und Jankel saßen davor und wärmten sich.

Der kleine Mann betrachtete die Betten.

„Ist dies ein Schlafraum?“ fragte er, obgleich das offensichtlich war. Die Jungen warfen sich einen erstaunten Blick zu. Dann setzte Jankel ein scheinheiliges Gesicht auf. „Ja, dies ist ein Schlafraum“, sagte er zuckersüß. Der Mann räusperte sich leise. „Soso. Hm… Heizt ihr den Ofen?“

„Ja, wir heizen den Ofen. Mit Holzl“ spottete Japs, aber der Mann achtete nicht auf den Spott. „Hm… schlaft ihr hier?“

„Ja, wir schlafen hier.“

Der Mann spazierte ein Weilchen im Zimmer herum, trat dann zur Wand und tippte auf das Porträt Lenins. „Habt ihr das selbst gezeichnet?“ forschte er weiter. Die Jungen witterten einen Jux. Jankel zwinkerte den anderen zu. „Ja, das haben wir selbst gemalt“, gab er zurück. „Wer denn?“

„Ich.“ Jankel ging mit tiefernstem Gesicht zu dem Erzieher hin und baute sich in Erwartung weiterer Fragen vor ihm auf. Der kleine Mann sah sich noch einmal im Zimmer um. Sein Blick blieb auf den Betten hängen. „Sind das eure Betten?“„Ja, das sind unsre Betten.“

„Schlaft ihr darin?“

„Ja, wir schlafen darin.“

„Sie sind übrigens aus Holz“, fügte Jankel harmlos hinzu.

„Wer?“ Der Erzieher hatte nicht verstanden. „Unsere Betten.“

Der Mann räusperte sich leise.

„Ach, sie sind aus Holz! Soso“, murmelte der Mann. Er wußte nicht, was er sonst sagen sollte, aber Jankel war bereits in Fahrt. „Ja, sie sind aus Holz“, fuhr er ebenso harmlos fort. „Obendrauf liegen Decken. Die Betten stehen auf dem Fußboden. Und der Fußboden ist ebenfalls aus Holz.“