Bald führte die gesamte vierte Abteilung ein reaktionäres Schmarotzerdasein.
Ihre Arbeit wurde von den Kleinen, die Slajonow bezahlte, verrichtet. Wenn Slajonow abends in die vierte Abteilung kam, sprang Japs auf. „Kniet nieder!“ schrie er. „Es erscheint seine Majestät der Brotkönig!“
„Hurra! Hurra! Hurra!“ fielen die anderen ein.
Slajonow verbeugte sich mit einem Lächeln und gab Kusja, der ihn begleitete, ein Zeichen. Eilig holte Kusja die Lebensmittel, die er mitgebracht hatte, aus der Tasche und legte sie auf eine Klassenbank.
„Es lebe der Brotkönig!“ grölte Japs. „Gesegnet sei der Abendfraß! Rückt die Tische zusammen, um den Speisen und Getränken unseres Gebieters die Ehre zu erweisen, die ihnen gebührt!“ Auf den zusammengerückten Klassenbänken häuften sich Bonbons, Kuchen, Kondensmilch, Wurst, Schinken und Süßstoff zu Bergen. Ein ohrenbetäubender Lärm brach los. Der gemeinsame „Abendfraß“ begann.
Mit vollem Mund, dick belegte Butterbrote schwenkend, überschütteten die Großen Slajonow mit Lob. Japs klopfte ihm auf die fette Schulter.
„Du bist unser Gott!“ kreischte Japs. „Unser kleiner Gott! Unser goldenes, rosiges, rundliches Kalb!“ Er ließ sich auf ein Knie nieder, hielt Slajonow unter allgemeinem hysterischem Gelächter einen Wurstzipfel hin und flehte: „Gebieter! Segne unser Mahl!“ Slajonow zwinkerte mit den unsteten listigen Augen, grinste und bekreuzigte die Wurst flüchtig.
„Teufel!“ quietschte Zigeuner begeistert. „Singt ihm ein Ruhmeslied!“
„Eine Sänfte für den König! Tragt den König auf Händen!“ Die Kleinen, die auch dabei waren, nahmen Slajonow auf die Arme und schleppten ihn durch die Klasse; die Großen schwenkten Schrubber als Palmwedel über dem Kopf des Wucherers, gingen hinterdrein und brüllten aus voller Kehle:
Die Zeremonie schloß mit der feierlichen Krönung durch einen Kranz, den man in aller Eile aus Papierstreifen zusammengedreht hatte. Nachdem der letzte Kuchenkrümel verzehrt war, hielt Japs eine Dankesrede.
Bei einem der regelmäßigen Abendgelage war Slajonow besonders außer Rand und Band.
Sie aßen, sie schrien, sie sangen Lobeshymnen. An der Tür drängte sich ein Häuflein hungernder Schuldner. Slajonow war wie trunken von den Lobpreisungen. „Ich kann alle ernähren!“ schrie er. „Ich habe genug.“ Sein Blick fiel auf Kusja, der niedergeschlagen in der Ecke stand, und er hatte einen Einfall. „Kusja!“ brüllte er. „Komm mal her, Kusja!“ Kusja trat hinzu. „Knie nieder!“
Kusja schrak zusammen. Verwirrt stand er da. Etwas wie Stolz wehrte sich in ihm. Aber Slajonow ließ nicht locker. „Auf die Knie! Hörst du? Ich gebe dir auch ein Stück Kuchen.“ Und Kusja sank in die Knie — so ruckartig, als würde er durchgebrochen. Tief senkte er den Kopf, damit die Kameraden nicht seine Augen sahen. Slajonow verzog den Mund zu einem befriedigten Lächeln.
„Da, Kusja, friß! Ich geb's gerne!“ sagte er und schmiß dem knienden Jungen ein Stück Kuchen hin. Plötzlich kam ihm eine glänzende neue Idee.
„He, Leute, hört mal her!“ Er sprang auf die Bank. Als es still geworden war, fuhr er fort: „Kusja wird mein Sklave sein. Verstanden, Kusja? Du bist mein Sklave. Und ich bin dein Herr. Du wirst für mich arbeiten, und ich werde dich füttern. Steh auf, Sklave, und nimm eine Wurst!“ Kusja war totenblaß geworden. Er erhob sich folgsam, nahm das Almosen und ging in die Ecke. Einen Augenblick lang herrschte peinliche Stille in der Klasse. Japs ekelte das erniedrigende Schauspiel an. Das gleiche empfanden auch Zigeuner und Spatz. „Du bist doch ein Schwein, Slajonow!“ Mamachen gab seiner Empörung offenen Ausdruck.
Slajonow stutzte. Er spürte, daß er zu weit gegangen war. Aber seine Geistesgegenwart verließ ihn nicht. Er begann ein Lied zu grölen, um Mamachens Gebrumm zu übertönen.
Die von Slajonow eingeführte Sklaverei bürgerte sich ein, vor allem unter den Großen aus der vierten Abteilung, die sich auf Kosten des Wucherers ebenfalls Sklaven zulegten. Allen war das Abscheuliche dieses Vorgehens bewußt, doch jeder suchte die eigene Schuld vor seinem Gewissen zu verkleinern und sie auf die anderen abzuwälzen. Die Sklaverei wurde zur gesellschaftlichen Erscheinung. Morgens machten die Sklaven ihren Herren die Betten. Sie schrubbten für sie die Fußböden, sie holten Holz und führten sämtliche anderen Befehle aus. Slajonows Macht überstieg alle Begriffe.
Er war Herr über Leben und Tod — nach dem Direktor der zweite Leiter der Schule, Als er feststellte, daß er mehr Brot besaß, als er ausgeben konnte, bekam er extravagante Launen. Er zwang seine Sklaven, ihm etwas vorzusingen und vorzutanzen.
Diesen Szenen wohnten auch die Großen bei. Beklommenen Herzens rangen sie sich ein Lächeln ab, wenn sie den Faxen der Kleinen zusehen mußten.
Ihnen war speiübel zumute, aber sie hatten sich schon zu tief in die Freundschaft mit Slajonow verstrickt. Und der große Wucherer trieb es immer toller.
Wenn alle schon im Bett lagen, pflegte er häufig sein fettglänzendes Gesicht zu heben.
„He, Kusja! Sklave!“ schrie er dann.
Gehorsam sprang Kusja aus dem Bett und wartete, zitternd vor Kälte, auf weitere Befehle.
„Kusja, kratz mir die Fersen!“ sagte Slajonow dann mit einem stolzen Blick auf seine Nachbarn.
Kusja tat es.
„So nicht… Verdammt! Weiter unten! Nicht so heftig! Sanfter!“ kommandierte Slajonow. Er rekelte sich wie ein sibirischer Kater und kicherte vor Behagen.
Täglich engagierte er sich für Brot Märchenerzähler, die so lange reden mußten, bis er eingeschlafen war.
Slajonows Einkünfte vergrößerten sich mit jedem Tage. Er bekam bereits fast die ganze Brotzuteilung der Schule — anderthalb bis zwei Pud Brot. Die Großen fütterte er weiter.
Sie brachten dem „Brotkönig“, dem „Goldenen Kalb“, dafür geräuschvolle Ovationen.
Slajonow war der erste Neureiche der Schkid, ja vielleicht in ganz Leningrad.
Während er seine Ausschweifungen fortsetzte, wuchs die Unzufriedenheit.
Immer häufiger versammelten sich drei Verschwörer bei Jankel in der Küche.
Hinter verschlossener Tür, bei Tee, Brot und Süßstoff, wurden Slajonows Taten erörtert.
„Slajonow ist ein gemeiner Schuft!“ rief Mamachen empört, und sein einziges Auge funkelte. „Ich möchte ihn auf der Stelle verprügeln, obgleich er stärker ist als ich.“
„D-das hat er v-verdient! W-wahrhaftig!“ stotterte Goga. Aber Jankel mahnte zur Vernunft.
„Wartet noch ab, Leute. Wenn die Zeit reif ist, nehmen wir ihn uns vor.“
Das Terzett zeigte Slajonow die Zähne. Als er Mamachen eines Tages in eine Unterhaltung verwickeln wollte und ihm liebenswürdig Süßstoff anbot, platzte dem gradlinigen, hitzigen Jungen der Kragen, und er überschüttete ihn mit einem Schwall von Schimpfworten. „Du unglückseliger Halunke!“ putzte er Spinne herunter. „Ich vertrimme dich mit dem Feuerhaken! Die ganze Schule beklaust du, du verdammter Wucherer! Laß mich in Frieden, du Mistvieh, sonst schlage ich dir die Fresse zu Brei!“
Es war ein unerwarteter Angriff. Mamachen hatte schon längst nach so einem Vorwand gesucht, während Slajonow gar nicht auf den Gedanken gekommen war, daß er dermaßen standhafte, wütende Gegner hatte.
Der Skandal spielte sich an einem belebten Ort ab. Ringsum standen lauschend einige Sklaven und kicherten beifällig, wenn auch furchtsam. Slajonow war so verdutzt, daß ihm keine Erwiderung einfiel. Schmachbedeckt rannte er in die vierte Abteilung. Dort setzte er sich mit weinerlichem Gesicht in die Ecke.