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„Was läßt du die Ohren hängen?“ fragte Zigeuner. Slajonow packte aus.

„Weißt du, Mamachen hat mir Prügel angedroht“, schloß er und tastete mit den Augen seine muskulöse Leibgarde ab. Doch die Großen schwiegen verlegen.

Da merkte Slajonow zum erstenmal, daß er einen großen Fehler gemacht hatte.

Er hatte sich für stark genug gehalten, um Zigeuner und seine übrigen Anhänger zwingen zu können, daß sie ihrem Klassenkameraden die Leviten lasen. Aber er hatte sich geirrt. Er sah, daß niemand Mamachen ein Haar krümmen würde, und das war für ihn ein Strich durch die Rechnung.

Er ahnte, was für Ausmaße dieser kleine Oppositionskern annehmenkönne, und beschloß, ihn im Keim zu ersticken.

Aber Mamachen ließ er dabei zunächst ungeschoren.

Jankel war gerade in den Klassenraum gekommen. In der Hand hielt er ein ansehnliches Stück Brot, das wie gewöhnlich beim Abwiegen übriggeblieben war.

Er wollte anfangen zu futtern, runzelte aber die Stirn, als sein Blick auf Slajonow fiel. Es wurde totenstill.

„Willst du dich hier noch lange herumtreiben?“ knurrte er den Wucherer an. Da sah er, daß Slajonow Karten in der Hand hatte, und verstummte.

Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Soll ich versuchen, ihm sein Brot abzugewinnen?

Slajonow hatte richtig kalkuliert — Jankel schlug ihm vor, Siebzehn-und-vier zu spielen.

Das Spiel begann.

Eine Stunde später hatte Jankel nach hartnäckigem Kampf seinen gesamten Brotvorrat verloren. Jetzt spielte er um seine künftigen Einnahmen.

Es war ein erbittertes Duell. Die ganze Klasse spürte, daß es sich nicht um ein bloßes Spiel handelte, sondern um einen Kampf zweier Großmächte.

Doch Jankel hatte an diesem Tag besonderes Pech. In den nächsten beiden Stunden verlor er fünfunddreißig Pfund Brot — die Zuteilung von zwei Monaten. Slajonow schlug ihm vor aufzuhören, doch Jankel bestand auf der Fortsetzung.

Nur mit Mühe gelang es den anderen, seine Spielleidenschaft zu dämpfen und ihn in den Schlafraum zu bringen. Der kleine, stille, fettige Spinnerich hatte noch einmal gesiegt. Am nächsten Morgen erhob sich Jankel mit brummendem Schädel. Voller Verzweiflung dachte er an seinen gestrigen Verlust. In der Küche betrachtete er prüfend sein Heft und beschloß dann, auf alle Fälle Mamachen außer der Reihe zum Küchendienst zu bestimmen. Das tat er auch.

Sie gingen in die Vorratskammer, nahmen die Tagesration Brot in Empfang und kehrten in die Küche zurück. Jankel schob die Waage heran, legte ein Viertelpfundgewicht auf die Waagschale und wollte mit dem Abwiegen beginnen. Da sah er verblüfft, daß Mamachen irgendwelche Manipulationen mit der Waage vornahm — er schob etwas unter die Wiegeschale für das Brot. „Was machst du da?“

„Siehst du das nicht?“ fragte Mamachen ärgerlich zurück. „Ich mach' sie schwerer.“

„Wollen wir etwa die Jungen betrügen? Die werden dir doch aufs Dach kommen.“

„Die Jungen betrügen wir nicht, bloß Slajonow — er kriegt ja alles.“ Jankel überlegte und erhob dann keinen Widerspruch mehr. Abends hatten sie fünf Pfund zusammengespart, die unverzüglich in Slajonows Vorratsschrank wanderten.

Jankel wurde leichter ums Herz. Wenner täglich soviel abgab, war er seiner Schulden bald ledig.

Am nächsten Tage schob er aus eigener Initiative einen dicken Nagel unter die Wiegeschale. Abends hatte er sechs Pfund ergattert. Er war tief befriedigt.

Leise vor sich hin pfeifend, saß er am Tisch und prüfte im Heft an Hand der Häkchen die Menge des ausgegebenen Brotes nach. Die Namen der anwesenden Schüler wurden bekanntlich immer auf der Liste abgehakt.

Ausgerechnet heute fehlten etwa zehn Externe, und Jankel hatte sich schon ausgerechnet, daß er dadurch etwa ein Pfund Verlust einkalkulieren müßte: Er konnte nur den anwesenden Schülern Brot abzwacken.

Plötzlich sprang er erleichtert auf, als hätte er eine komplizierte Rechenaufgabe gelöst.

„Prima Gedanke! Wer kann mir etwas nachweisen, wenn ich vier Namen mehr abhake!“

Es war eine lächerlich einfache Entdeckung mit schwerwiegenden Folgen.

Die erfreuliche Entdeckung setzte Jankel gleich am kommenden Tage in die Tat um.

Es ging alles wie geschmiert, und bald ließ die Opposition den Kopf hängen.

Von Jankels riesengroßer Schuld waren nur noch fünf Pfünd übrig, die er Slajonow am folgenden Tage bezahlen wollte. Doch an diesem Tage brach ein Unglück über ihn herein. Nach dem Mittagessen ging er glänzend gelaunt spazieren, und als er zurückkam, trat ihm in der Küche ein neuer Ältester entgegen. Während seiner Abwesenheit war etwas passiert, das er sich niemals hätte träumen lassen.

Vikniksor hatte eine Versammlung einberufen, darauf hingewiesen, daß Tschornych bereits anderthalb Monate als Küchenältester arbeitete, und vorgeschlagen, ihn abzulösen. Dabei hatte der Direktor jedoch festgestellt, daß Jankel sein Amt vorbildlich und korrekt verwaltet habe.

Unter Slajonows Druck war Sawuschka — sein Dauerschuldner — zum Küchenältesten gewählt worden.

Der Schlag saß — Vikniksor hatte Slajonow unbewußt im Kampf gegen seine Gegner beigestanden.

Jankels sorgloses Leben wandelte sich in bittere Not. Ihm, der niemals gehungert hatte, fiel es schwer, mit knurrendem Magen herumzulaufen, aber er mußte seine Schulden bezahlen. Slajonow fühlte sich nun vollständig sicher. Er glaubte nicht, daß seine Macht noch irgendwie bedroht sei.

So schwelgte er mit den Großen, ohne zu bemerken, daß die hungrigen, erschöpften Schkider immer bedrohlicher hinter seinem Rücken murrten.

Er wurde von Tag zu Tag frecher. Er regierte über die Küche, kontrollierte Sawuschka und zwang ihn, auf jede Vorsichtsmaßnahme zu verzichten und die Namen der Abwesenden abzuhaken.

Täglich wurden zehn Pfund schwere Brote außerhalb der Schkid im Laden einer Estin verkauft. Slajonow begab sich abends ins Kino. Er hatte ja Geld genug.

Aber der Mißbrauch der Häkchen kam dennoch heraus. Eines Tages entdeckte Vikniksor beim Namensaufruf die Fälschung. Sein Gesicht verfinsterte sich, und er rief den Erzieher. „Alexander Nikolajewitsch, war Sorokin heute hier?“

„Nein, Viktor Nikolajewitsch“, erwiderte Alnikpop prompt. „Merkwürdig. Wieso ist er dann abgehakt?“ Vikniksor vertiefte sich ins Studium der Häkchen. „War Somorow da?“

„Auch nicht.“

„Und Danilow?“

„Nein.“

„Andrijanow?“

„Nein.“

„Rufen Sie bitte den Küchenältesten.“ Der erschrockene Sawuschka erschien. Er war bleich. „Sie haben mich holen lassen, Viktor Nikolajewitsch?“

„Ja.“ Vikniksor warf Sawuschka einen strengen Blick zu und wies auf das Heft. „Warum sind die Namen der Abwesenden abgehakt?“ fragte er mit unheilverkündender Stimme. Sawuschka wurde verlegen. „Das weiß ich nicht, Viktor Nikolajewitsch.“

„Wer hat für sie das Brot in Empfang genommen?“

„Ich… ich hab' es niemandem gegeben.“

Sein Gesicht verriet ihn. Er wurde abwechselnd blaß und rot, seine Augen irrten durch den Raum.

„Ich weiß nicht, ich hab' nichts ausgegeben, ich weiß nicht…“, stammelte er fassungslos und gehetzt. „Sawin wird abgesetzt!“ Vikniksors Stimme hatte einen metallischen Klang. „Er kommt in den Karzer. Alexander Nikolajewitsch, bringen Sie ihn bitte hin.“

Wortlos holte Alnikpop den Schlüssel aus der Tasche, gab Sawuschka einen leichten Stoß und führte ihn nach oben. Im Eßraum war es totenstill geworden.

Alle wußten, daß Sawuschka für nichts und wieder nichts in der Tinte saß. Die Schuld trug ausschließlich Slajonow. Ihnen tat der stille, fügsame Sawuschka leid.

Vikniksor ging empört im Zimmer auf und ab.

„Unerhört ist das!“ sagte er. „Ein gemeines, niederträchtiges Verbrechen! Die eigenen Kameraden zu bestehlen! Ihnen das letzte Stück Brot abzugaunern! Eine Schurkerei!“ Unmenschliches Gebrüll unterbrach seine Rede. Es kam von der Treppe. Vikniksor rannte hin. Im Treppenhaus tobte eine wilde Keilerei. Der sonst so fügsame Sawuschka rebellierte. „Ich geh' nicht in den Karzer! Verdammte Propheten! Pack dich, Alnikpop, sonst kriegst du was in die Fresse!“