Japs war außer Rand und Band. Er platzte bald vor Lachen. „Stell dich nicht so dußlig an, Kleiner!“ stieß er hervor. „Ein richtiger Lehrer steht doch nicht Schmiere, während die Schüler Kartoffeln aus der Küche klauen! Hahaha!“
Schielauge erblaßte, sprang auf Japs zu und packte ihn am Kragen. „Was hast du gesagt? Wiederhole!“
Dröhnendes Gelächter. Japs zappelte hilflos unter dem harten Griff. „Überhaupt nichts!“ gab er ausweichend zurück.
„Was hast du gesagt?“ knurrte Schielauge. Die Jungen hatten anfangs geglaubt, er mache Spaß. Nun wurden sie stutzig. „Was hast du gesagt?“
„Au! Lassen Sie mich los!“ keuchte Japs. Die Wut raubte ihm die Besinnung, und er brüllte: „Du sollst mich loslassen! Was ich gesagt habe? Die Wahrheit! Du klaust mit uns, daran gibt es nichts zu deuteln, und nun tobst du hier herum wie ein Ochse!“ „So? Bin ich ein Ochse? Gut, jetzt könnt ihr was erleben. Wenn euch das Verständnis für Kameradschaftlichkeit abgeht, werde ich es euch beibringen! Mund halten!“
„Zu Befehl, Euer Durchlaucht, wir schweigen wie das Grab“, säuselte Zigeuner unterwürfig. „Wir sagen gar nichts mehr, Euer Durchlaucht, dazu haben wir ja auch kein Recht.“
„Maul halten!“ schrie der Prophet wütend. „Ich werde euch beweisen, daß ich Lehrer bin, und euch zwingen, einen anderen Ton anzuschlagen. Sofort ins Bett, sonst melde ich euch bei Vikniksor!“ Die Tür knallte zu, es wurde still.
Die Schkider platzten bald vor unterdrücktem Lachen. Japs preßte das Gesicht ins Kissen und keuchte atemlos: „Puh, ich kann nicht mehr. Schielauge bringt mich noch um!“ Plötzlich ging die Tür auf.
„Jeonin, du bekommst morgen kein Mittagessen.“
„Warum nicht?“ fragte Japs entrüstet. „Weil du im Schlafraum gelärmt hast.“
Die Tür schloß sich. Nun kicherte der Schlafraum, mit Ausnahme von Japs. Ihm war das Lachen vergangen.
„Leute“, meinte Zigeuner fünf Minuten später, nachdem sie sich beruhigt hatten, „Schielauge hat Radau gemacht, wir wollen ihn deshalb umtaufen. Er soll von jetzt ab Graf Schielradautüte heißen!“
„Gromonoszew, du bekommst morgen kein Mittagessen!“ sagte eine Stimme hinter der Tür. Dann entfernten sich Schritte.
Die Jungen reagierten mit heller Wut. „So ein Halunke! Er hat gehorcht!“
„Pestbeule!“
„Erst klaut er, dann spielt er die gekränkte Leberwurst und schmeißt mit Strafen um sich! Schuft!“
„Kampf der Schielradautüte! Kampf bis aufs Messer!“ Die Jungen waren unbeschreiblich empört. Sie hatten sowieso nicht begriffen, warum sich der Prophet beleidigt fühlte. Daß er aber horchte, steigerte noch ihren Zorn. An der Tür zu horchen, galt schon unter ihnen als Gemeinheit. Und nun tat gar ein Erzieher dasselbe. „Na, gut. Uns entziehst du das Essen, und du tust dich dicke. Ausgezeichnet. Das tränken wir dir ein, Schielauge!“ drohte Zigeuner wütend.
Die Schkider beriefen sofort eine außerordentliche Versammlung ein, auf der sie einstimmig beschlossen, am nächsten Morgen zu einem großen Schlage gegen Schielauge auszuholen.
„Das soll dir noch leid tun, Schielradautüte!“
Erst spät in der Nacht kam der Schlafraum zur Ruhe, und noch beim Einschlafen schmiedeten viele Köpfe Rachepläne gegen den Propheten.
Ein grelles Klingeln und der drohende Ruf „Aufstehen!“ rissen die Großen aus dem Schlaf.
„Wer noch im Bett liegt, wenn ich zurückkomme, kriegt kein Frühstück!“ rief Schielauge beim Hinausgehen.
„Aha! Auch er will uns den Krieg erklären!“ Jankel grinste, sprang jedoch hastig aus dem Bett, ohne die Rückkehr des Propheten abzuwarten. Trotzdem lag noch etwa die Hälfte der Jungen im Halbschlaf, als Schielauge zum zweiten Male auftauchte.
Wie ein Orkan brauste er in den Schlafraum. Wen er noch im Bett antraf, dem riß er wütend die Decke weg. Dann rannte er zu dem verschlafenen Japs und schüttelte ihn.
„Jeonin, bist du immer noch nicht wach? Ich entziehe dir das Frühstück.“
Japs schrak hoch. Er wollte mit dem Propheten Streit anfangen, aber Schielauge war schon weg.
„Frühstückentzug? Prächtig! Wir werden dir dermaßen den Appetit verderben, daß dir das Mittagessen in der Kehle steckenbleibt“, murrte er schadenfroh.
Der Schlafraum tobte. Gleich nach dem Aufstehen wurde die komplizierte Rachemaschine angekurbelt.
Spatz lief zu den Jüngsten, um sie zur Teilnahme zu veranlassen. Sie erklärten sich sofort bereit. Jankel, Japs und Zigeuner — die Hauptagitatoren — begaben sich in die dritte Abteilung. Ihre Reden zeitigten ebenfalls den gewünschten Erfolg. Der Krieg begann beim morgendlichen Waschen. Schielauge stand in der Küche und hakte die Namen derer, die sich gewaschen hatten, in seinem Notizbuch ab.
Plötzlich zog vom Eßraum eine Prozession heran. Etwa zehn Jungen gingen im Gänsemarsch hintereinander und schwenkten munter ihre Handtücher.
Würdevoll marschierten sie an dem Propheten vorbei und schrien nacheinander: „Guten“,
„Morgen“,
„Afa“-
„nassi“
„Wladi“-
„mirowitsch“,
„Graf“
„Schiel“-
„radau“-
„tüte!“
Die letzten Silben wurden von den Strolchen besonders eindrucksvoll geschmettert.
Der Prophet prallte zurück. Er wollte sich auf den letzten stürzen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, sagte sich aber, daß er ja dann die ganze Gruppe bestrafen müsse. Er unterdrückte deshalb seinen Zorn und beschränkte sich auf die Drohung: „Wenn das noch einmal vorkommt, erhalten alle einen Verweis I“ Höhnisches Gewieher war die Antwort. „Ho-ho-ho-ho! Übernimm dich nur nicht!“
„Warte, wir seifen dich noch ein!“
Schielauge ließ sich von diesen Drohungen nicht einschüchtern. Japs bekam tatsächlich kein Frühstück. Das machte die Jungen noch wütender. Sie schritten zur rächenden Tat.
Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne brannte vom Himmel, doch am Teich blieb es menschenleer. Niemand badete. Dafür herrschte im Gehölz Hochbetrieb.
Die besonders gelenkigen Schkider kletterten auf die Eichen und schlugen die Eicheln mit Stöcken, Steinen und sonstigen Werkzeugen herunter.
Eine andere Gruppe kroch auf der Erde herum und sammelte die steinharten grünen Früchte in Kappen, Kissenbezüge und Hosentaschen. Wozu solche Eichelvorräte angelegt wurden, stellte sich wenig später heraus.
Schielauge war von der plötzlichen Ruhe in der Schule freudig überrascht. Er nahm an, daß sich die Jungen beruhigt hätten. Eigentlich hatte er einen langen, hartnäckigen Kampf erwartet und wunderte sich nun, daß alles so rasch zu Ende war.
Leise pfeifend trat er auf den Hof, ging zum Teich, setzte sich ans Ufer und blinzelte in die Sonne. Er bekam Lust zu baden. Kurz entschlossen zog er sich aus und sprang ins Wasser.
Das kühle Naß erfrischte den Körper. Er schwamm hinaus und tauchte wie ein junger, übermütiger Seehund möglichst bis auf den Grund. Als er genug hatte, wandte er sich zum Ufer zurück. Plötzlich traf ihn etwas schmerzhaft in den Nacken. War es ein Stein? Schielauge hielt Ausschau. Aber alles war still. Da fiel sein Blick auf eine kleine gelbe Eichel. Sie schaukelte auf dem Wasser. Jemand muß die Eichel geworfen haben, dachte er. Ein neuer Schlag zwang ihn zum genaueren Nachdenken und zum Handeln. Er schwamm ans Ufer.
Peng! Peng! Zwei Eicheln trafen ihn gleichzeitig auf die Schläfe und in den Nacken. Die Situation wurde kritisch.
Ich muß mich schleunigst anziehen, damit ich die Schurken erwische! überlegte Schielauge. Seine Erwägungen wurden jedoch durch einen neuen Wurf an die Schläfe unterbrochen. Die Eichel hatte einen derartigen Schwung gehabt, daß sie von seinem Kopf abprallte und über das Wasser hüpfte. Er sprang wie ein Gummiball ans Ufer. Noch immer war es totenstill ringsum.
„Wartet nur!“ murmelte Schielauge und rannte zu dem Strauch, unter dem er seine Sachen zurückgelassen hatte. „Verdammt!“ Fünf bis sechs steinharte Eicheln prasselten auf seinen Rücken. Nur schnell in die Sachen! dachte der Lehrer, als er vor dem Strauch stand. Da lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Seine Kleidung war verschwunden.