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Eine Viertelstunde später verließen die neugebackenen Journalisten das Direktorzimmer, mit Papier, Tinte, Tusche, Federhaltern, Bleistiften und Farben beladen.

All das war so überraschend gekommen, daß es den Jungen erst an der Tür zum Schlafraum bewußt wurde.

„Das ist aber glatt gegangen!“ rief Jankel entzückt. „Ja“, meinte Japs nachdenklich. „Wir haben eins auf den Deckel erwartet und eine Aufmunterung gekriegt.“

Am nächsten Tage war die erste Nummer der Schkider Schulzeitung „Der Spiegel“ bereits auf dem Dach in Arbeit. Jankel hatte ein Blatt Papier auf einen Pappdeckel gelegt und zeichnete den Zeitungskopf. Japs schrieb den redaktionellen Leitartikel. Am Dachrand hockte Zigeuner und stellte die Rätselecke zusammen. Daneben saß Spatz. Er fühlte sich von der Muse geküßt und schmiedete Verse, die den Sonnenuntergang „am Horizont des Schkider Erholungsheims“ besangen.

Nachdem Jankel mit dem Zeitungskopf fertig war, ließ er sich neben Japs nieder, um mit ihm ein gereimtes Programm des neuen Blattes zu verfassen.

Die Reime wurden reichlich holprig, doch die angehenden Wandzeitungsredakteure fanden sie tadellos, und deshalb schrieb Jankel sie unverzüglich in eine Spalte der Zeitung.

Am nächsten Morgen erschien die erste Nummer der Wandzeitung „Der Spiegel“.

Das entzückte Redaktionskollegium stand stundenlang zwischen den Schkider Lesern. Die Zeitung hing im Eßraum. Nach dem Mittagessen bezeichnete Vikniksor in seiner üblichen Rede das Erscheinen des „Spiegels“ als eine neue Etappe im Leben der Schule, beglückwünschte die strahlenden Redakteure und wünschte ihnen weitere Erfolge. Die Zeitung gefiel allen, aber Jankel am meisten. Zehnmal schlich er zu ihr hin, um mit geheimer Genugtuung sein Gedicht zu lesen:

Unsre Zeitung heißt „Der Spiegel“, 's ist kein Buch mit sieben Siegeln, sondern ein Organ der Schkider, bunt und lustig — lies sie wieder!

Der Erfolg der ersten Nummer spornte die Redaktion zu weiteren Taten an, und bald erschien die zweite Nummer, die bereits vielseitiger und umfangreicher war. Ihr folgten die dritte und die vierte Ausgabe. So erwuchs aus einem Dummenjungenstreich ein gesundes Unterfangen.

Unmerklich wechselte der Sommer seine Farben. Die ersten gelben Blätter erschienen verräterisch an den Bäumen, die Nächte wurden dunkel — allzu dunkel. Lautlos schlich der Herbst ins Erholungsheim der Schkider.

Eines Tages stockte die Lebensmittelversorgung. Vielleicht waren die Vorräte nicht richtig eingeteilt oder die Bestellungen verspätet aufgegeben worden — auf jeden Fall mußten die sowieso schon knappen Portionen empfindlich gekürzt werden. Zum Mittagessen gab es überhaupt kein Brot mehr, und abends wurde statt einem Viertelpfund nur noch ein Achtel ausgegeben. In der Schkid herrschte allgemeine Niedergeschlagenheit. Eine derartige Kürzung der Zuteilung, die, wie verlautete, in nächster Zeit noch nicht wiederaufgehoben würde, mußte schlimme Folgen haben. „Der Spiegel“, der sich inzwischen zu einer Zeitung großen Formates entwickelt hatte, schlug Alarm. Er veröffentlichte Leserbriefe — Anfragen an den Pädagogischen Rat — mit der Aufforderung, die Ursachen für den Lebensmittelmangel in der Zeitung bekanntzugeben. Vikniksor berief die Redakteure zu sich. Das Resultat der Unterredung war ein ausführliches Interview, das niemanden befriedigte. Unter den Schkidern brach eine Panik aus. Während sich aber die dritte und vierte Abteilung nur die Köpfe zerbrachen, um einen Ausweg zu suchen, hatten ihn die beiden unteren Abteilungen schon gefunden und waren aller Sorgen ledig.

Der Ausweg bot keinerlei Schwierigkeiten. Es war inzwischen Herbst geworden, in den benachbarten großen Feldern von Strelna reiften die Kartoffeln. Die Felder wurden fast gar nicht bewacht, und die wendigen Knirpse konnten sich mühelos ein Abendbrot aus gebackenen, gekochten, ja gebratenen Kartoffeln verschaffen. Die Jungen, die Urlaub bekommen hatten, erbettelten sich daheim für diesen Zweck Fett, Talg oder sogar richtige Kuhbutter. Bald folgten die Großen dem Beispiel der Kleinen. Allmählich wallfahrtete die gesamte Schule auf die Felder, die anderen Leuten gehörten.

Die Klagen über die unzureichenden Portionen hörten schlagartig auf, denn die Kartoff ein- fest, jung und rötlich überhaucht — sättigten alle. Die dünne, Suppe wurde gehaltvoll, sobald man sie auf die Teller goß; denn gebackene Kartoffeln, in wäßrige Fischsuppe geschüttet, ergeben ein nahrhaftes Gericht.

Im Heim wurde nur der Küchenofen geheizt, aber es gab so viele dichte Wälder ringsum, daß niemand den geheizten Stubenofen vermißte. Wenn die Sonne verblaßte und in den grauen Fernen des Horizontes versank, stiegen um das Schkider Erholungsheim gleichzeitig mit den Nebelschleiern dünne, bläuliche Rauchfahnen empor. Sie kamen aus der Waldes tiefe, von alten Baumstümpfen und trockenem Gras. Lustig flackerten kleine Lagerfeuer, in denen feuchtes Reisig zischte. Sie lockten die vom nächtlichen Nebel durchfrorenen Räuber der Strel-naer Kartoffelfelder an.

Die Räuber tauchten in kleinen Gruppen bei den Feuern auf, luden ihre Beute ab und brieten die runden, behagliche Sättigung spendenden Dinger in der heißen Asche.

Vom Heim aus konnte man die Rauchfahnen im Tal genau erkennen, aber anfangs achtete niemand darauf. Schließlich entdeckte Vikniksor, als er eines Tages aus dem Fenster blickte, neben den Lagerfeuern seltsame Gestalten und zog aus, um das geheimnisvolle Phänomen zu erforschen.

Im Wald bemerkten die seltsamen Gestalten rechtzeitig ihren langen Direktor. In panischer Angst flüchteten sie ins Dickicht, so daß er nur etwa fünfzehn Lagerfeuer und Berge von rohen und gebratenen Kartoffeln fand. Er rief die Zöglinge herbei, befahl ihnen, den gesamten aufgestöberten Reichtum zwecks Verzehr durch die Allgemeinheit in die Vorratskammer zu bringen, und löschte die Feuer. Dann ging er ins Heim zurück, schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein und dachte nach. Eigentlich gab es nicht viel zu überlegen. Eindeutig stand fest, daß die Zöglinge Feuer gemacht hatten, um die Kartoffeln zu braten, die sie von den Feldern gestohlen hatten. Dagegen mußte etwas unternommen werden.

Zunächst rief Vikniksor die Pressevertreter Jankel und Japs zu sich und schlug ihnen vor, im „Spiegel“ eine Kampagne gegen die Diebstähle zu eröffnen. Doch die Presse schlug nur bescheiden die Augen nieder, und die nächsten Nummern brachten kein Sterbenswörtchen über die Kartoffeln.

Daraufhin ergriff der Direktor persönlich die Initiative. Seine Warnung war kurz, aber gewichtig:

„Wer beim Kartoffeldiebstahl erwischt wird, kommt sofort ins Kloster.“

Die Drohung wirkte. Die Kartoffeldiebstähle nahmen tatsächlich ab; dafür hielt man sich jedoch an den Rettichen und Rüben von den Nachbarfeldern schadlos.

Kurz darauf gab es einen großen Skandal.

Die Feldbesitzer beschwerten sich. Zuerst einer, dann der zweite… Im Verlauf von drei Tagen erschienen bei Vikniksor insgesamt sechs Delegationen mit der kategorischen Forderung, die Schüler im Zaum zu halten.

Vikniksor gab einen zweiten, noch bedrohlicheren Tagesbefehl aus. Er schüchterte die Schüler tatsächlich ein.

„Hol der Teufel die Kartoff ein I“ war die allgemeine Meinung. „Sonst sitzen wir eines Tages wirklich in der Tinte.“

Es gab allerdings immer noch Verwegene, die weiterhin dem „Wandergewerbe“ nachgingen, aber die Vernünftigen hielten sich zurück. „Quatsch! Wir lassen es lieber, solange noch nichts passiert ist.“

„Schluß damit!“ sagten auch Jankel und Japs. „Ab morgen wird keine Kartoffel mehr geklaut. Heute aber… heute ziehen wir zum letzten Male los.“

Und das taten sie auch.

Nach dem Mittagessen machten sie sich auf den Weg. Der Tag war trübe und kalt. Es hatte kurz zuvor geregnet. Eisige Nässe lag auf dem Gras. Das hielt Jankel und Japs jedoch nicht zurück.