Wieder einmal entsagten die Schkider dem Kriegszustand und begannen ein friedliches Leben. Wieder gaben Alnikpop russische Geschichte und Elanljum deutsche Sprache, wieder klopfte Kostalmed zweimal wöchentlich mit seinem Stöckchen und rief:
„Schnell zur Gymnastik!“
DIE LOTTERIE
Sitztl der Assi in der Klasse * Langeweile * Karamsin und Glücksspiele * Dse hol einen Einfall * Lotteriefieber * Urlaub * Die Sehkid wäscht sich * „Ohne Mechanismus“ * Die Ziehung * Betrübliches Ende Der betrügerische Schatzmeister * Spielfieber Schluß!!
„Tub-tub-tub-tub…“, trommelt der Herbstregen ans Fenster.
Es ist drei Uhr nachmittags, und die Zehnwattlampen kämpfen in der Klasse gegen die Dämmerung.
Assi gibt russischen Unterricht.
Assi ist ein Prophet. Sein Kopf sitzt direkt auf den Schultern, er trägt einen speckigen Wattemantel, dessen Taschen immer angeschwollen sind. Gerüchtweise verlautet, daß sie Brotreste enthalten, die Assi zum Abendessen sammelt.
„Karamsin… Empfindsamkeit… Romantik…“ Assis Stimme ist dumpf und schwer verständlich.
Die Hooliganier hockten in ihren Bänken, aber niemand hört Assi zu.
Japs singt mißtönend:
Happen hat die Beine auf die Bank geflegelt und murmelt: „Happen windiwappen windiwampampappen, hat windiwat windiwampampat, Hunger windiwunger windiwampampunger…“
In der Ecke hocken Nackter Herr und Pantelejew.
„Spiel aus!“
Spiel aus! — Sieben… Dame… König!
„Sieben… Dame… König!“
„As!“
„Stich!“
Sie kloppen Karten. Niemand hört Assi zu. Langeweile…
„Die arme Lisa…“ Assis Stimme scheint aus dem Grab zu tönen. „Der Geschmack der herrschenden Klasse… eine Epoche…“ Er ist heiser und hat den Schlucken. Langeweile…
Kaufmann packt den wiederkäuenden Admiral beim Schöpf. „Soll ich dich mal aufmischen?“ Seine Hand fährt über den dreieckigen Admirals-schädel und zerzaust die ohnehin schon strubbligen Haare. So was Langweiliges!
„Die arme Lisa… Beginn des 19. Jahrhunderts… Pantheon der Literatur… die arme Lisa…“
„Spatz windiwatz windiwampampatz, ist windi-wist windiwampampist, dof windiwof windi-wampampof…“
„Spiel aus!“
„Trumpf… da hab' ich Schwein!“
„Na?“
„Sieben…“
„Stich!“
„Ich misch dich auf!“
Niederdrückende Langeweile.
„Hurra! Ich hab' einen Einfall!“ ruft Dse plötzlich.
Die Pikzehn fällt zu Boden, Kaufmanns Hand bleibt mitten im Admiralsschopf stecken. Und Assis Stimme wird laut und vernehmlich: „Seit dem Jahre 1774 gab Nikolai Michailowitsch Karamsin das 'Moskauer Journal' heraus, in dem er seine 'Briefe eines russischen Reisenden' veröffentlichte. Im Jahre 1795 ist Nikolai Michailowitsch…“ „Ein Einfall!“ schreit Dse wieder. Fünfzehn Paar Augen wenden sich ihm zu. „Wie?“
„Was für einen?“
„Drucks nicht lange rum! Rede!“
„Langweilt ihr euch?“ forscht Dse prüfend.
„Und wie!“ antworten fünfzehn Kehlen. Dse hebt den warzenbedeckten Finger.
„Eine Lotterie!“
Und wieder versinkt Assis Stimme im Grabe.
„Im Jahre 1803… des russischen… hick… Staates… ein Geschichtsschreiber… hick… des Zaren…“
Die Klasse hat sich in einen aufgestörten Ameisenhaufen verwandelt. Japs rasselt sein monotones Lied in irrsinnigem Tempo herunter:
Die Klasse tobt. Die Langeweile ist wie weggeblasen — was hat sie auch in den Köpfen zu suchen, in denen der Gedanke rumort:
„Eine Lotterie!“
Futsch ist die Langeweile, Karten, Haarstrubbeln und Japsens mißtönender Tenor sind überflüssig.
„Ja, eine Lotterie!“
Die Klassentür geht auf, eine Hand mit Glocke reckt sich herein. Die Hand schwingt rhythmisch rauf und runter, rauf und runter, und die Glocke klingelt ohrenbetäubend, aber erfreulich. Assi klappt Solodownikows Literaturgeschichte zu, zieht den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern, steckt die Hände in die angeschwollenen Taschen und verläßt in dem allgemeinen Lärm unbemerkt die Klasse.
Jankel, Pantelejew und Japs rennen zu Dses Bank.
„Machen wir's?“
„Na klar!“
Der Generalrat tagt: „Du, ich, der und der… in Gemeinschaft. Einverstanden?“
„Natürlich.“
„Eine Lotterie! Verdammt! Daß vorher niemand daran gedacht hat!“
„Prima!“
„Tolle Sache!“
„Und womit?“
„Wieso? Ach ja… wir sammeln. jeder gibt, was er kann.“ „Ich geh' auf Urlaub“, schreit Jankel „ich bring' einen Haufen Zeug mit.“
„Ich auch“, sagt Pantelejew.
Hingerissen entschließt sich Japs zu einer Heldentat, einem Opfer.
„Hundertzwanzig Blatt Papier und Bleistifte. das spende ich alles für die Lotterie!“
Dse, der Initiator, beißt sich auf die Lippen. Er ist in der fünften Gruppe und darf nicht auf Urlaub gehen.
„Ich stifte, was ich kann“, erklärt er.
Morgen ist Sonnabend, da gibt es Urlaub. Heute ist der langweiligste Tag der Woche, trotzdem langweilen sich die Jungen nicht — hingerissen von dem Einfall, der wohl für lange Zeit die Mußestunden Hooliganiens ausfüllen wird. Dse spaziert durch die Klasse, den dicken, warzenbedeckten Finger stolz emporgereckt, und verkündet: „Ich war's!“
Das Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage und zweiundfünfzig Wochen.
An jedem Tage in jeder Woche läutet in der Schkid die Glocke. Sie läutet morgens, um die Republik zu wecken; sie läutet zu den Mahlzeiten, zum Unterricht, zum Schlafengehen. Doch am lieblichsten klingt sie den Schkidern in den Ohren, wenn sie sonnabends den Unterrichtsschluß verkündet und damit erklärt: „Urlaub!“
Wenn der Unterricht sonst zu Ende ist, bleiben alle in der Klasse auf ihren Plätzen. Heute aber gleicht die Schkid der Tobsüchtigenabteilung eines Irrenhauses.
In der vierten Abteilung herrscht wüstes Durcheinander.
„Den Fußboden aufwischen!“ schreit Spatz, der Klassenälteste. „Fußboden aufwischen!“ klingt es wie ein Echo zurück.
„Wer denn?“
Spatz hat eine alphabetische Liste der Klasse in der Hand. „Einer von oben, einer von unten: Jeonin, Tschornych, Pantelejew und Offenbach.“
„Das mach' ich nicht!“
„Und wenn du dich auf den Kopf stellst!“
„Ich hab' den Fußboden letztes Mal aufgewischt!“
Allgemeines Geschimpfe, Gejammer, Gezanke.
Pantelejew, Jankel und Kaufmann haben nicht das geringste Bedürfnis, den Fußboden aufzuwischen — sie wollen auf Urlaub. Kaufmann kauft sich sofort los, das heißt, er findet einen Stellvertreter.