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„Würfel!“

Der dicke Würfel — sein eigentlicher Name lautet Molotow — taucht blitzschnell vor ihm auf.

„Wischst du den Fußboden auf?“

„Für wieviel?“

„Ein Viertelbrot.“

„Denkste!“

„Was willst du haben?“

„Ein Pfund!“

Es kommt Kaufmann hart an, ein Pfund Brot fürs Aufwischen zu geben, aber das Verlangen, möglichst schnell auf Urlaub zu gehen, siegt.

„Gut. Hol dich der Teufel!“

Aber bei einem ganzen Pfund hat er doch das Bedürfnis, sich irgendwie zu erleichtern. Er schnippt Würfel energisch gegen die Stirn: „Das kriegst du als Zugabe.“

Jankel und Pantelejew sind außer sich vor Wut.

„Was soll denn das?.. Wir wollen doch auf Urlaubl… Und die Lotterie?“

Dse — der Vorsitzende der Lotteriegemeinschaft — überwindet sich.

„Zum Teufel mit euch! Haut ab! Ich und Japs machen es. Ja?“ „Geht in Ordnung.“

Pantelejew und Jankel strahlen über das ganze Gesicht.

„Prima!“

Sie rennen die Treppe hinauf. Im Schlafraum werden Decken und Bettwäsche zusammengerafft. Dann geht es in die Kleiderkammer. Dort steht eine Schlange. Die in Urlaub gehenden Schkider müssen die Heimwäsche abgeben und Mütze und Mantel in Empfang nehmen. „Hinten anstellen! Nicht vordrängeln!“

„Scher dich weg!“

Körperkraft und Autorität der „Großen“ obsiegen — die Hooligan-städter kommen außer der Reihe dran.

In der Kleiderkammer regieren Zischa und Brotkanten, der Kleiderkammerdiensthabende. „Brotkanten, nimm mich dran, bitte!“ Brotkanten strotzt vor Würde. „Warte!“

Die Wäsche ist abgegeben, Mantel und Mütze, die wie ein Rotarmistenhelm aussieht, sind in Empfang genommen. „Ins Prophetenzimmer!“

In der Kanzlei thront Alnikpop, der diensthabende Prophet, majestätisch auf einem wackligen Wiener Stuhl, den Zwicker auf der Nase. „Onkel Sascha, wir gehen auf Urlaub. Schreiben Sie uns bitte einen Urlaubsschein aus!“

Aufmerksam sieht der Prophet die „Chronik“ durch. Jankel und Pantelejew sind in der zweiten Gruppe, sie dürfen in Urlaub gehen. Er holt ein Formular aus dem Tischkasten und schreibt: „Hierdurch wird bestätigt, daß der Zögling der vierten Abteilung der Dostojewski-Schule bis Montag, den 20. Oktober dieses Jahres, Urlaub hat.“

Die Formalitäten sind erledigt, der Bürger der Republik hat seine Pflichten erfüllt.

„Diensthabender, den Schlüssel!“ Und nun raus auf die Straße. In der Schkid beginnt das Aufwischen.

Der gerissene Würfel hat ein Pfund Brot bekommen, denkt aber nicht daran, den Fußboden zu säubern. Er holt sich Kusja aus der ersten Klasse.

„Wisch den Fußboden auf.“

„Was gibst du mir dafür?“ „Brot.“

„Wieviel?“

„Ein Viertelpfund.“

Kusjas wortloses Nicken bestätigt den Abschluß des Geschäftes. Würfel geht in die Klasse, setzt sich auf Jankels Platz und holt den sonst unerreichbaren „Nat Pinkerton“ aus dem Fach. Er hat dreiviertel Pfund Brot verdient und kann sich Erholung gönnen.

Japs und Dse, die kein überflüssiges Brot besitzen, sind gezwungen, ihre heroisch übernommene Pflicht zu erfüllen.

Sie gehen in die Küche. Andere Reinigungskräfte haben sich Eimer und Wischtücher bereits in weiser Voraussicht besorgt, und die Helden müssen warten, bis einer fertig ist.

Nachdem sie schließlich je einen Eimer erbeutet und ihn mit kochendheißem Wasser gefüllt haben, gehen sie die Treppe hinauf. Dort hat Anmischka, die alte Putzfrau, das Kommando. Sie verteilt die Säuberungsarbeit.

„Ihr wischt den Weißen Saal auf“, sagt sie.

Japs und Dse laufen die Treppe hinunter und gehen in den Weißen Saal. Es ist ein schrecklich großer Raum — man hat Angst, überhaupt anzufangen. Der Befehl lautet, ihn sorgfältig zu säubern, ihn zweimal aufzuwischen und das Parkett so lange trockenzureiben, bis es nicht mehr glänzt.

Doch die Hooliganier sind unbeobachtet und erledigen die Arbeit deshalb auf andere Weise. „Fang an!“

Japs nimmt den Eimer, hält ihn schief und läuft damit durch den Saal. In einem gleichmäßigen Strahl rinnt das Wasser aus dem Eimer. Dse kriecht auf allen vieren hinter Japs her und wischt das Wasser auseinander. Fünf Minuten später ist der Parkettboden dunkel vor Nässe und sieht wie frisch gesäubert aus. „Fertig.“

Die Freunde setzen sich ans Fenster. Dse steckt sich eine Zigarette an und bläst den Rauch mit verrenktem Hals vorsichtig an der Wand entlang.

Nachdem sie die Zeit, die für eine gründliche Säuberung erforderlich wäre, abgesessen haben, gehen sie in die Kanzlei. „Onkel Sascha, nehmen Sie bitte den Saal ab.“

Der kurzsichtige Alnikpop geht in den Saal, wirft einen flüchtigen Blick auf den Fußboden und kehrt ins „Prophetenzimmer“ zurück. Japs und Dse begeben sich in die Klasse, heizen den Ofen, hocken sich ans Feuer, schwatzen über die Lotterie und warten auf den Montag.

In der Frühe des nebligen Oktobertages kehrte Ljonka Pantelejew vom Urlaub in die Schkid zurück. Der Schmutz drang ihm in die zerrissenen „amerikanischen“ Stiefel, während er durch die Pfützen platschte und über den holprigen Bürgersteig rannte.

Auf den Straßen herrschte bereits Alltagsleben; die Rolläden vor den Schaufenstern wurden hochgezogen, und aus den Lebensmittelläden duftete es nach frischem Weißbrot, nach Kaffee und nach etwas Undefinierbarem, aber Appetitanregendem.

Ljonka hatte es eilig; er fürchtete, zu spät in die Schkid zu kommen. In einem Juwelierladen an der Pokrowka hing eine Uhr im Schaufenster. Ljonka erschrak. Die Uhr zeigte fünf Minuten nach zehn, und er mußte pünktlich um zehn Uhr zur ersten Unterrichtsstunde in der Schkid sein.

Er beschleunigte den Schritt und preßte das dicke Bündel mit den für die Lotterie bestimmten Sachen an sich.

Es enthielt ein Buch von Saltykow-Stschedrin, verrostete Schlittschuhe, eine Gipsbüste von Leo Tolstoi, einen zerbrochenen Wecker, ein Feuerzeug und eine Menge Kleinigkeiten, die Ljonka seiner kleinen Schwester teils abgebettelt, teils entführt hatte.

„Hat der Unterricht schon angefangen?“ fragte Pantelejew keuchend und erschöpft, als ihm der Küchendiensthabende Zigeuner die Tür öffnete. „Ja“, erwiderte Zigeuner. „Schon lange?“ „Seit einer halben Stunde.“

Reingerasselt! dachte Pantelejew. Ich weiß bloß nicht, wer die erste Stunde gibt. Wenn es Alnikpop oder Vikniksor sind, komme ich unweigerlich in die fünfte Gruppe.

Aus Angst, Vikniksor oder Elanljum in die Arme zu laufen, schlich er lautlos zur Klassentür, preßte das Ohr ans Schlüsselloch und lauschte. Erleichtert atmete er auf. Er hörte eine dumpfe Stimme und Satzfetzen wie: „Karamsin… im Jahre 1803… kam die Bojarentochter Natalia…“

Ljonka öffnete die Tür einen Spalt weit. „Darf ich eintreten?“ fragte er. „Bitte“, antwortete Assi. „Kommen Sie herein.“

Er war der einzige Prophet, der die Schkider siezte. Ljonka ging in die Klasse. Beim Anblick seines dicken Bündels riefen die Jungen durcheinander:

„Fein, da ist der Einbrecher!“

„Bravo!“

„Hurra!“

Ljonka ging zu seinem Platz, setzte sich, schnappte nach Luft und knotete das Bündel auf. Japs und Dse rückten zu ihm hin. „Zeig mal her!“

Ljonka breitete die mitgebrachten Sachen auf der Bank aus. „Ist Jankel schon zurück?“ fragte er. „Noch nicht“, antwortete Japs und blätterte in dem Buch. Spatz, Brotkanten und Happen drängten sich um Ljonkas Bank. „Verduftet!“ schnauzte Ljonka. „Hier gibt es nichts zu sehen. Das ist Berufsgeheimnis.“

Die Neugierigen verzogen sich. Ljonka schob die Sachen ins Fach und legte die mitgebrachten Lebensmittel — Brot, Zucker, ein Stück Pastete und ein Achtel Machorka — beiseite.

Da stürzte Jankel mit gerötetem, verschwitztem Gesicht in die Klasse. Er trug ein riesengroßes Paket, das mit einem Bindfaden verschnürt war. Die Hooliganier empfingen ihn mit einem noch lauteren Hurra. Jankel lief zu seinem Platz und keuchte atemlos: „Verdammt, und ich glaubte, wir hätten beim Gänserich Unterricht, aber…“ Assi war einen Augenblick verstummt. Jetzt zog er den Kopf zwischen die Schultern und brabbelte weiter: „Karamsin… ein Vertreter seiner Epoche… wenn wir seine Werke in chronologischer Reihenfolge aufzählen, dann…“