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Und er zog den Schlitten davon. Es war eine lange Fahrt, bis zum Stadttor. Er wurde klitschnaß vor Schweiß, seine Hände starben ab, der Strick schnitt ihm in die Brust, aber er hielt durch. Abends kam er wie zerschlagen heim. Er hatte drei Pfund schwarzes, mit Hafer vermischtes Brot bekommen. Das war für die damalige Zeit ein hoher Verdienst, aber dafür war es auch der letzte. Grischka hatte sich überanstrengt.

Doch es kam noch schlimmer. Sie hatten kein Stück Brot im Hause, Grischka aber brauchte Geld. Er hatte sich das Rauchen angewöhnt und naschte gern die Fettplätzchen, die es auf dem Trödelmarkt zu kaufen gab. Insgeheim stahl er aus dem Elternhaus alle möglichen Dinge — eine Goldmünze, die der Großmutter gehörte, oder eine Kaffeekanne.

Das kam heraus. Der Mutter riß die Geduld. Sie lief eine Woche lang zu den Behörden, bis sie die Erlaubnis erhalten hatte, Grischka aus der Stadt zu bringen — in eine Arbeitskolonie für Kinder. Die Kolonie befand sich in einem Kloster, zu dem ein Friedhof gehörte.

Dort war es kalt, aber lustig. Grischka freundete sich mit den anderen Zöglingen an, hatte sich mit den Gräbern abgefunden und sein Zuhause schon ganz vergessen, als ein neues Unglück hereinbrach. Die Weißen näherten sich der Stadt.

Truppen kamen, Troß und Artillerie zogen heran. Die Insassen der Kolonie flohen in die Gemüsegärten. Sie benutzten die günstige Gelegenheit, um sich mit Kartoffeln, Kohl, Rüben und sonstigem Gemüse einzudecken.

Grischka wurde plötzlich von Liebe zu seinen Angehörigen übermannt, und er begann, sie mit gestohlenen Lebensmitteln zu versorgen. In der Stadt herrschte Alarmzustand. In unmittelbarer Nähe dröhnten die Geschütze. Die Fensterscheiben klirrten. Die Straßen waren mit Stacheldraht und Sandsäcken versperrt.

Jedermann war gehobener Stimmung. Grischka ebenfalls. Noch einmal ging er in sein geliebtes Kloster, betrachtete zum letztenmal die geschnitzten Fensterrahmen und die weißen Grabkreuze, holte sich zwei Paar Filzstiefel aus der Kleiderkammer und verließ den Ort, um niemals zurückzukehren. Neue Heimaufenthalte, neue Diebstähle folgten.

Die Sammelstelle hatte Mühe, den Jungen loszuwerden, als sie ihn in die Schkid einwies. Dort wurde er erst dann aufgenommen, als er zwei Hosen, Bettwäsche, eine Matratze und ein Bett als Mitgift bekam. Zu jener Zeit besaß Grischka bereits eine festumrissene Lebensanschauung. Er verhielt sich seiner Umwelt gegenüber kalt. Nichts vermochte ihn zu rühren oder in Erstaunen zu setzen. Obwohl kaum vierzehn Jahre alt, hatte er schon die Urteilsfähigkeit eines Erwachsenen. Seine Devise lautete: Lebe so, daß es dir gut geht! So stand es um Grischka, als er in der Schkid eintraf. Das geschah an einem Morgen. Er wurde in das Arbeitszimmer des Direktors geführt. Das Aussehen der Schule hatte ihm gefallen, doch beim Eintritt ins Zimmer rutschte ihm das Herz in die Hosen. Der lebt wie ein Reicher! dachte er beim Anblick der weichen Sessel und Sofas, der Fotos, die in strengen schwarzen Rahmen an der Wand hingen.

Vikniksor saß am Schreibtisch. Als er den Neuen erblickte, wies er auf einen Sessel. „Setz dich.“

Grischka nahm wortlos Platz. „Lebt deine Mutter noch?“

„Ja.“

„Was ist sie von Beruf?“

„Wäscherin.“

„So, so.“ Nachdenklich trommelte Vikniksor mit den Fingern auf dem Tisch. „Na, und du? Lernst du gern oder nicht?“ Grischka wollte schon verneinen. Aber dann bedachte er sich — ein Nein würde wohl unvorteilhaft sein.

„Sehr gern“, erklärte er deshalb. „Am liebsten zeichne ich.“ „Zeichnen?“ wiederholte der Direktor verwundert. „Hast du irgendwo zeichnen gelernt?“

Grischka zermarterte sich den Kopf, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen, aber er rutschte noch tiefer hinein. „Ja, in einem Zirkel. Ich bin auch gelobt worden.“

„Oh, das ist ausgezeichnet. Wir brauchen Zeichner“, sagte Vikniksor. Seine Stimme klang viel freundlicher als zuvor. „Bei uns wirst du zeichnen und lernen.“ Er kramte in seinen Papieren, fischte ein Schreiben heraus und überflog es. „Tschornych heißt du also mit Nachnamen“, stellte er fest. „Gut, dann komm, Tschornych. Ich bringe dich zu deinen Kameraden.“

Vikniksor ging mit großen Schritten voraus. Grischka trottete hinterher und beäugte den Direktor kritisch. Er bemerkte, daß dessen kariertes Jackett schlecht saß und daß ein Stiefelschaft eingerissen war. Unwillkürlich wunderte er sich darüber.

So was! Haust in einem pikfeinen Zimmer und trägt nichts Anständiges auf dem Leibe!

Sie gingen durch den Eßraum. Dann öffnete Vikniksor die Tür zum Klassenzimmer. Zuerst wurde Grischka von dem unwahrscheinlichen Lärm betäubt, dann von der Stille, die unmittelbar danach eintrat. Er erblickte einige Bankreihen und etwa fünfzehn Schüler, die wie auf Kommando zu Salzsäulen erstarrt waren.

Vikniksor hatte unterdessen den Neuen vergessen. Er betrachtete die Klasse eine Weile.

„Gromonoszew!“ sagte er schließlich ruhig, ja gleichgültig, ohne die Stimme zu erheben. „Du bekommst kein Mittagessen. Sorokin, gib die Stiefel ab, du hast heute Hausarrest. Worobjow, geh aus der Klasse.“

„Warum denn, Viktor Nikolajewitsch?“

„Wir haben doch gar nichts angestellt!“

„Warum schikanieren Sie uns?“ jammerten die Bestraften im Chor.

Vikniksor kratzte sich hinter dem Ohr.

„Ihr habt in der Klasse randaliert!“ erklärte er in einem Ton, der jeden Widerspruch von vornherein ausschloß. „Deshalb geschieht euch recht! Und jetzt stelle ich euch einen Neuen vor. Er heißt Grischka Tschornych, ist ein begabter Junge und kann zeichnen. Er wird in eurer Abteilung den Unterricht besuchen, weil sein Wissensniveau dem eurigen entspricht.“ Schweigend musterte die Klasse den Neuen. Auf den ersten Blick sah Grischka trotz seiner hellen Haare ein wenig jüdisch aus, besonders wegen seiner langen Hakennase.

So standen sie sich ein Weilchen gegenüber — die Klasse auf der einen und Grischka mit Vikniksor auf der anderen Seite. Dann kratzte sich der Direktor noch einmal hinter dem Ohr und verließ den Raum, ohne noch etwas zu sagen.

Grischka war auf seiner Hut. Zigeuner trat auf ihn zu, fixierte ihn wortlos, wandte sich dann plötzlich ab und wies prustend vor Lachen mit dem Finger auf ihn.

„Ein Jankel ist da!“ kicherte er. „Guckt ihn euch an, Halunken! Eine blonde Krummnase!“

„Was lachst du so blöde!“ schnaubte Grischka beleidigt. „Na, wenn schon! Und du — wie siehst du denn aus, du Zigeunerfresse?“

Diesen Gegenangriff hatte niemand erwartet.

„Bravo, Jankel!“ grölte die Klasse lachend. „Hast den Zigeuner gleich erkannt!“

„Hörst du, Kolka? Zigeuner!“

„Dir sieht man den Zigeuner auf sieben Meilen an.“

Kolka war von der Antwort genauso verblüfft. Er schickte sich an, dem Neuen Respekt beizubringen, aber da legte sich Spatz ins Mittel. „Was hackt ihr auf ihm herum! Verdammte Nervensägen! Der Junge muß doch erst mal Luft holen.“ Zu Grischka gewandt, fügte er hinzu: „Komm her, Jankel, setz dich neben mich.“ „Ich bin doch kein Jankel“, protestierte Grischka, aber Spatz winkte gelassen ab.

„Das macht uns nichts aus, mein Junge! Wenn wir dich Jankel getauft haben, bleibt es auch dabei. Ein für allemal!“

Grischka starrte Zigeuner in die boshaften Augen — er überlegte, ob es einen Sinn habe, sich mit ihm zu raufen. Aber das war wohl doch unvorteilhaft. Deshalb ging er hinter Spatz her.