Daraufhin wurde die Ziehung fortgesetzt.
Jakuschka, der winzigste Bürger der Republik, gewann die Schlittschuhe. Die Wickelgamaschen fielen an den Nackten Herrn. Die Ziehung war nahezu beendet, als Zigeuner in den Saal stürmte. Er hatte Küchendienst gehabt und war erst jetzt fertig geworden. „Her mit den Schlittschuhen!“ rief er. „Sind schon weg“, antwortete jemand. „Weg? Wieso?“
„Die hat einer gewonnen.“
„Und die Wickelgamaschen?“
„Auch.“
„Ihr Halunken!“ Zigeuner rannte zum Tisch, um seine zwanzig Lose zu ziehen. Doch die Kiste enthielt nur noch zwölf Röllchen. Acht Lose waren rätselhafterweise verschwunden. Und das, was Zigeuner bekam, war lauter Plunder: Auf zehn Lose gewann er Papier, auf das elfte das Buch „Kusma Krjukow“ und auf das zwölfte einen Nippeselefanten mit abgebrochenem Rüssel. „Halunken!“ schimpfte er. „Halunken! Schurken! Übers Ohr hauen wolltet ihr uns nur, hochstapeln, Brot ergaunern!“ Er packte den Tisch, warf ihn um und stürzte sich auf die Ziehungskommission. Die Kommission spritzte auseinander. Bloß Jankel kam nicht mehr rechtzeitig weg. Er preßte sich an die Wand. Zigeuner warf sich auf ihn und verdrosch ihn dermaßen, daß er zwei Stunden hinterher noch mit verbundener Wange und verquollenen Augen herumlief. Aber nur zwei Stunden lang.
Dann spazierte er wieder munter und vergnügt durch die Gegend. Er hatte einen Einfall, den er großartig fand. Er wollte sich für Zigeuners Prügel entschädigen. Zu diesem Zweck tuschelte er ausgiebig mitDse. Japs und Ljonka räumten den Saal auf. Dann gingen sie in die Klasse. Das erste, was ihnen auffiel, war Dses blasses, leidverzerrtes Gesicht. „Was ist passiert?“ rief Japs. Er ahnte Böses. „Das Brot…“, stammelte Dse, „Brot, Zucker… alles…“
„Was?“
„Geraubt… geklaut…“
„Alles?“
„Nein… hier ist noch ein Happen.“ Dse holte einen etwa fünf Pfund schweren Brotlaib aus dem Fach. Ljonka und Japs sahen sich seufzend an. „Und das Geld?“ forschte Japs.
Dse überlegte. Dann drehte er die rechte Hosentasche um und antwortete: „Das Geld ist auch futsch.“
Ljonka und Japs nahmen das Brot und verließen die Klasse. „Das sind doch Halunken!“ stöhnte Japs. „Und was für welche!“ bestätigte Ljonka.
Der betrügerische Schatzmeister zahlte dem erfinderischen Jankel inzwischen das Schmiergeld aus. Genauer gesagt, er teilte mit ihm das unterschlagene Kapital — Brot, Zucker und „Eier“. So endete die erste Lotterie.
Aber ihr Beispiel fand Nachahmung.
Kurz darauf veranstalteten Kaufmann, Zigeuner und Spatz ebenfalls eine Lotterie. Sie hatte nur mäßigen Erfolg, erzielte jedoch einen Gewinn. Das veranlaßte die vierte Abteilung, eine Glücksspielindustrie zu entwickeln.
„Sascha Pylnikow“ kam auf ein anderes Spiel — das Roulette oder „Rad der Fortuna“. Ljonka, der früher einmal nähere Bekanntschaft mit Falschspielern gemacht hatte, brachte den Freunden die betreffenden Tricks bei. Die vierte Abteilung verwandelte sich in eine regelrechte Spielhölle. Allmählich gab es sogar zuwenig Spieler, weil jeder ein „Spielhaus“ besaß, vor seiner „Spielbank“ saß und auf „Klienten“ wartete. Vor lauter Langeweile gingen die Spielbankbesitzer zum Konkurrenten, spielten bei ihm und luden ihn dann zu sich ein. Die Jüngeren ahmten das Beispiel der „Großen“ nach. Bald gab es auch in den unteren Klassen „Spielhöllen“.
Doch bald verlor sich das Spielfieber. Die Schkider zog es zu vernünftigerem Zeitvertreib.
Die Periode des Radaus ging zu Ende, und die Republik bekam das Bedürfnis zu lernen.
GEBT UNS POLITISCHE BILDUNO
Vom Komsomol Gebt uns politische Bildung * Der Mann mit den Ledergamaschen Mutlergottes * Die Verfassung von 1871 * In Tabakwolken * Ein richtiger Lehrer für Gesellschaftswissenschaft.
Häufig fragten die Hooliganier Vikniksor, den Präsidenten ihrer Republik: „Viktor Nikolajewitsch, warum wird in unserer Schule keine Komsomolgruppe organisiert? Erklären Sie uns das bitte.“ Der Präsident runzelte die Stirn.
„Ganz einfach“, erwiderte er zögernd. „Wir sind eine Schule für Schwererziehbare. In Gefängnissen und in Schulen für Schwererziehbare dürfen keine Komsomolgruppen gebildet werden.“
„Aber wir randalieren doch gar nicht!“
„Trotzdem. Bevor ihr nicht vollständig gebessert seid, ist es unmöglich. Beim Verlassen der Schule werdet ihr gleichberechtigte Bürger. Dann könnt ihr in den Komsomol und in die Partei eintreten.“ Die Bürger der Schwererziehbarenrepublik Schkid seufzten und träumten von der Zeit, in der sie gleichberechtigte Bürger eines anderen Staates — der großen Sowjetrepublik — sein würden. Einstweilen befaßten sie sich mit politischem Selbststudium. Sie lasen Adam Smith, Bucharin, Kautsky und Lenin. Eine Zeitlang blieb alles still. Doch eines Tages erhob sich ein Sturm.
„Wir wollen gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht!“ war die Losung.
Eine Delegation wurde zu Vikniksor geschickt.
„Wir möchten Gesellschaftswissenschaft als Unterrichtsfach haben — neben Geschichte, Geographie und Geometrie.“ Vikniksor kratzte sich eine Augenbraue. „Wollt ihr das wirklich?“ fragte er.
„Ja, unbedingt, Viktor Nikolajewitsch. Und wir glauben, das ist möglich.“
„Möglich wohl, aber nicht einfach“, meinte der Direktor. „Setzen Sie doch die zuständigen Stellen unter Druck.“
„Gut“, versprach Vikniksor, „das will ich tun. Ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen und mein möglichstes versuchen.“ Der graue Schulalltag ging weiter. Herbstliche Regentropfen trommelten gegen die Fenster, und abends heulte der Wind im Schornstein wilde, traurige Lieder…
Vom Sommer und vom Randalieren erschöpft, suchten die Schkider Ruhe im Studium, in den langen Unterrichtsstunden und in den dicken oder dünnen Büchern, die dienstags oder donnerstags von der Bibliothekarin Marja Fjodorowna ausgegeben wurden. Der von Vikniksor versprochene und von den Schkidern nicht vergessene gesellschaftswissenschaftliche Unterricht ließ jedoch nichts von sich hören. Vikniksor sagte nichts, und die Jungen wußten nicht, ob er sich darum bemühte oder nicht.
Aber eines Tages tauchte die politische Bildung auf. Sie erschien in Gestalt eines farblosen, stotternden Männleins. Das Männlein hatte einen schmalen, glattrasierten Kopf, eine blaue Soldatenjacke mit herabhängenden Fäden an Stelle der Knöpfe und gelbe, rissige Ledergamaschen.
Der Mann kam zu den Hooliganiern in die Klasse. „Ich werde euch po-politischen Unterricht geben“, stotterte er. Hooliganien begrüßte ihn mit einträchtigem „Hurra“ und Händeklatschen. Die lang erwartete Gesellschaftswissenschaft war da. „Wissarion Wenediktowitsch Bogorodizyn I[5]“ stellte sich das Männlein vor.
Das reizte zum Lachen. Politunterricht und Muttergottes in einem Atemzuge!
So 'ne Niete! Der hat ja keine Ahnung!
Gleich am ersten Tage wurde der Mann mit den Ledergamaschen „Muttergottes“ getauft. Er begann seinen Unterricht mit Fragen. „Was wißt ihr?“
Die meisten Jungen schwiegen. Aber Japs erhob sich und schnupfte auf.
„Einiges.“
„Was bedeutet RSFSR?“
„Russische Sozialdemokratische Föderative Sowjetrepublik“, schrie Spatz.
„Richtig!“ lobte der Lehrer stotternd. Die Jungen lachten. „Und was ist der Sowjet?“
„Die kommunistische Regierung.“
„Richtig!“ wiederholte der Prophet. Japs warf Falke einen Blick zu.
„So 'ne Niete! Der hat ja keine Ahnung“, flüsterte er. Dann richtete er das Wort an Muttergottes. „Dürfen wir Ihnen vielleicht Fragen stellen? Das wäre besser, glaube ich.“ „Richtig. Fragt nur.“ Japs überlegte.