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„Guten Tag, Kinder!“ grüßte die Leiterin der Abteilung Volksbildung. „Setzt euch. Glück auf!“

„Danke!“ klang es im Chor zurück.

Die Jungen nahmen wieder Platz. Lilina ging durch den Eßraum, setzte sich dann an den Tisch der ersten Abteilung und verwickelte die Jungen in eine Unterhaltung.

„Wie alt bist du?“ fragte sie Jakuschka. „Zehn“, antwortete der Junge. „Weshalb bist du hier?“

„Ich hab' gestohlen,“ Jakuschka errötete. Lilina überlegte.

„Und was machst du hier in der Schule?“ fragte sie dann. „Ich lerne.“ Jakuschka errötete noch tiefer. Lilina lächelte und kniff ihn in die Wange, als wäre er ein kleines Mädchen. „Und warum bist du hier?“ fragte sie Kondruschkin, ein dreizehnjähriges zurückgebliebenes Bürschlein mit quadratischer Stirn und herabhängendem Unterkiefer. „Ich hab' ein Haus angesteckt“, gab der Junge mürrisch zurück. „Weshalb?“

Kondruschkin, der den Spitznamen „Quadrat“ hatte, starrte sie blöde an.

„Bloß so“, antwortete er. „Aus Spaß.“ Vikniksor trat hinzu.

„Der Junge ist erst zwei Monate bei uns“, sagte er, „und noch ganz ungehobelt. Aber das macht nichts, wir kriegen ihn hin. Da ist noch ein Brandstifter.“ Er wies auf „Beere“, einen anderen Jungen aus der ersten Klasse. „Er ist schon über ein Jahr bei uns, ebenfalls wegen Brandstiftung.“

„Weshalb hast du das getan?“ forschte Lilina. Beere wurde knallrot. „Aus Dummheit“, stotterte er.

Lilina sagte noch ein paar Worte und verließ dann mit Vikniksor den Raum. Etwas später setzte sich Spatz an den Tisch der vierten Abteilung. Er hatte gerade Küchendienst.

Er war rot wie Klatschmohn und platzte offensichtlich vor Mitteilungsbedürfnis.

„Ich hab' Schwein gehabt“, stieß er hervor. „Beinahe war' ich reingeflogen.“

„Weswegen?“ erkundigte sich Japs.

„Wegen Lilina. Kaum hatte sie der Diensthabende ins Haus gelassen, da platzte sie schon in die Küche. Diensthabender?“ fragte sie. „Bin ich“, sagte ich.

„Wieviel Brot wurde für heute ausgegeben?“

Ehrlich gesagt, das wußte ich nicht mehr genau, obgleich ich es notiert hatte. „Zwei Pud, achteinhalb Pfund“, antwortete ich — aufs Geratewohl natürlich.

„Und wieviel Fleisch?“ fragte sie weiter.

„Zehn Pud“, sagte ich.

„Zucker?“

„Eindreiviertel Pfund.“

„Du bist in Ordnung“, sagte sie und ging weg.

Die Jungen brachen in schallendes Gelächter aus.

„Du bist ein gerissener Hund!“ rief Jankel.

Nach dem Mittagessen kommandierten die Erzieher: „Aufstellen!“ und führten die Jungen abteilungsweise in den Weißen Saal. Dort waren schon etwa zehn Gäste eingetroffen. Die Abteilung Volksbildung wurde, von Lilina abgesehen, durch je ein Mitglied der Kommission für Minderjährige und für Sozialfragen repräsentiert. Die Petrograder Hafenarbeiter, die Paten der Schule, hatten einen Vertreter geschickt, vom Gribojedow-Institut war jemand gekommen, und mehrere Studenten der Psychologie hatten sich auch eingefunden.

In musterhafter Ordnung nahmen die Schkider Platz. Vorn saßen die Kleinen, ganz hinten die Jungen von der vierten Abteilung. Jankel und Ljonka hatten sich aus der Klasse Papier und Tinte geholt und sich an einem gesonderten Pressetisch niedergelassen.

Vikniksor ging auf die Bühne.

„Genossen“, sagte er. „Nun findet unsere Prüfung statt. Wir wollen beweisen, daß wir Kenntnisse erworben haben, und Rechenschaft über die geleistete Arbeit ablegen. Laßt uns den hier anwesenden teuren Gästen zeigen, daß wir die Zeit nicht vertrödelt, daß wir etwas geleistet haben… Die Prüfung ist eröffnet.“ Auf allen Bänken wurde applaudiert.

„Wir beginnen mit der deutschen Sprache“, erklärte Vikniksor, während er von der Bühne ging und sich neben die Gäste in die erste Reihe setzte.

Elanljum kletterte auf die Bühne.

„Wir wollen nun unsere kleinen Erfolge in deutscher Konversation vorführen und anschließend eine Szene aus 'Wilhelm Teil' zeigen.“ Sie sah die vierte Abteilung auffordernd an. „Jungen, kommt her.“ Japs, Zigeuner, Falke, Kaufmann und Spatz gingen im Gänsemarsch auf die Bühne und stellten sich mit dem Gesicht zum Saal auf. Elanljum blickte suchend um sich, fand aber offenbar kein passendes Demonstrationsobjekt, tippte sich deshalb mit dem Finger auf die Nase und fragte Kaufmann auf deutsch: „Was ist das?“ Kaufmann grinste verlegen. Er war in Deutsch der Schlechteste. „Die Nase“, sagte er errötend auf russisch.

Die Gäste lachten, mit ihnen der ganze Saal. Elanljum wurde verlegen.

„Ein Glück, daß du wenigstens die Frage verstanden hast“, meinte sie. Dann fuhr sie auf deutsch fort: „Jeonin! Was ist das? Antworte!“

„Das ist die Nase, Ella Andrejewna“, antwortete Japs in fehlerlosem Deutsch.

„Gut. Und was ist das?“ Elanljums deutsche Worte klangen sichtlich erleichtert, während sie auf das Fenster wies.

„Das ist das Fenster, Ella Andrejewna“, antwortete Zigeuner in derselben Sprache mit herablassendem Lächeln. Dann flüsterte er auf russisch: „Fragen Sie doch was Schwierigeres!“

„Nun gut… Wohin gehst du am Sonnabend?“ Sie sah Spatz an. Spatz hatte die deutsche Frage verstanden, er wußte auch, daß er in Urlaub gehen würde, vermochte aber nicht auf deutsch zu antworten.

Japs half ihm aus der Klemme.

„Er geht in Urlaub“, sagte er auf deutsch.

„Gut!“ lobte die Deutschlehrerin zufrieden.

Mit solchen Fragen demonstrierte Elanljum fünfzehn Minuten lang „die Erfolge in deutscher Konversation“.

Dann spielten dieselben Zöglinge eine Szene aus „Wilhelm Teil“ in deutscher Sprache. Die Gäste klatschten ausgiebig und begeistert Beifall.

Danach kam die russische Sprache an die Reihe. Gäste und Lehrer stellten den Jungen Fragen, die beantwortet wurden. Es folgten Geschichte des Altertums und des alten Rußlands, Gesellschaftswissenschaft, Geographie und Mathematik. Ljonka und Jankel arbeiteten inzwischen eifrig am „Pressetisch“. Als Vikniksor die Pause ankündigte und alle aufstehen wollten, rannte Jankel auf die Bühne.

„Moment!“ rief er. „Eben ist ein Extrablatt erschienen. Es hängt an der Hinterwand. Wer will, kann es lesen.“

Gäste und Schüler drehten sich um. An der jenseitigen Wand klebte ein mit blauen Druckbuchstaben beschriebenes Blatt Papier. Der Titel war mit Rotstift gemalt. Er lautete:

Gäste und Schkider umdrängten die Zeitung. Der von Japs verfaßte Leitartikel analysierte die Rechenschaftslegung als neue pädagogische Methode. Darunter prangten ein Profilbild von Lilina und ein Gedicht Sascha Pylnikows über die Prüfung:

Unsere Prüfung ist fürwahr ein Barometer jedes Jahr für den Erfolg, den wir erringen, wenn wir mit Lust ans Lernen gingen. Doch Schmach und Schande allen denen, die einzig ihrer Faulheit frönen. He, Volk der Schkid, werd nimmer müd, beschmutze nicht den Ruhm der Schkid!

Anschließend kam eine Prüfungschronik. Jedes Unterrichtsfach wurde einzeln behandelt. Über die letzte Rezension waren die Leser allerdings verblüfft:

„Die abschließende Vorführungeine Gymnastikstunde unter Leitung von K. A. Medowitsch — verlief ausgezeichnet. Der Marschtritt war exakt, die Übungen klappten. Besonders beeindruckt wurden die Anwesenden durch die Virtuosität und Grazie einer Pyramide, deren Aufbau die Anfangsbuchstaben der SCHKID darstellte.“ Alle lachten, denn die Gymnastikvorführung hatte noch gar nicht stattgefunden.

Lilina ging zu Jankel.

„Aber, Genösse Redakteur! Wie haben Sie das Wunder fertiggebracht, etwas zu besprechen, das noch gar nicht gewesen ist?“ fragte sie lächelnd.