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Aber bald verursachten die unglückseligen Haare neuen Kummer. Wenn die Schkider im Unterricht über einer schwierigen Aufgabe schwitzten, fuhren sie sich aus alter Gewohnheit manchmal mit allen fünf Fingern durch das Haar, und dadurch verwandelte sich die gepflegte Frisur in struppige Zotteln. Das veranlaßte den betreffenden Propheten zu einem Tadel wegen Ungekämmtheit. Die Großen sahen sich also zwischen zwei Feuern: Haarschneiden bedeutete den Verlust der Freundin, Haarschmuck — eine Unmenge von Tadeln. Aber auch hier trifft das russische Sprichwort zu, daß der Nackte nicht um Einfälle verlegen ist. Dse lieferte der Republik eine Erfindung, die einen ideal sitzenden Scheitel garantierte. Er führte sie eines Morgens im Waschraum vor.

„Es ist ein äußerst einfaches, leichtes Mittel“, erklärte Dse seinen vielen aufmerksamen Zuhörern. Er trat zum Waschtisch und demonstrierte die Erfindung mit dem Gehabe eines Zauberkünstlers anschaulich an seinem eigenen Kopf.

„Also, ich feuchte mir das gekämmte Haar mit gewöhnlichem, ungekochtem Wasser ohne jede Beimengung an.“ Er drehte den Hahn auf und hielt den Kopf unter den Wasserstrahl. „Dann ziehe ich mit dem Kamm einen Scheitel“, fuhr er fort und tat es, „und nun kommt die Hauptsache. Der Scheitel ist fertig, aber die Frisur muß noch Halt bekommen. Dazu nehmen wir ein gewöhnliches Stück trockene Seife und fahren damit vom Scheitel weg über das Haar, um die Frisur nicht zu zerstören. Nach fünf Minuten ist die Seife trocken, und der Scheitel hält eisern fest.“

Jeder probierte die Erfindung an sich aus, und alle waren mit dem Resultat zufrieden. Sie brachte allerdings gewisse Unannehmlichkeiten mit sich. Die Seife verklebte das Haar und bildete eine feste Kruste. Wer sich nun den Kopf kratzen wollte, weil es juckte, kam an die richtige Stelle nicht heran, denn die Kruste saß darüber. Andererseits hatte sie den Vorteil, daß die Frisur den ganzen Tag hielt und die Seife dem Haar einen besonderen Glanz verlieh.

Die Schkid erstrahlte in tadellosen Frisuren, alle Kümmernisse waren wieder vergessen, und unter dem Fenster, auf dem sonnenwarmen vollgespuckten Bürgersteig, schnäbelten die Pärchen zärtlich wie Turteltauben.

Aber Dses Erfindung setzte sich nicht durch. Vikniksor erfuhr davon und fragte vorsichtshalber den Arzt um Rat. Der Arzt fällte ein vernichtendes Urteil.

„Solche Frisuren sind schädlich. Davon bekommt man Läuse. Verbieten Sie das den Jungen, sonst verlaust die ganze Schule.“ Das genügte, um zu veranlassen, daß der Friseur schon am folgenden Tage den privilegierten Großen samt und sonders das Haar abschor. Mit den Haaren verschwand auch die Liebe. Niemand ging abends mehr zum Stelldichein, und die Mädchen gaben es auf, nachdem sie vergeblich gewartet hatten.

Die Republik Schkid hatte den Frühling hinter sich, die Sonne brannte schon sommerlich heiß, und die Jungen bekamen andere Interessen. Die Schule sollte diesmal während des Sommers in der Stadt bleiben, deshalb mußte ein Ausflugsziel gesucht werden. Man fand es schließlich im Park von Katherinenhof am Ufer eines kleinen Teiches vor dem alten Katherinenpalais. Dorthin sehnten sich jetzt die Schkider — nach dem Wasser, dem Grün, dem Fußball. Hier vergaßen sie beim Herumtoben die warmen, weißen Frühlingsnächte, die zärtlichen Worte und die ersten unschuldigen Küsse.

Das Fußballspiel ersetzte die Liebe, und nur Dse dachte noch manchmal traurig an das blauäugige blonde Mädchen aus dem benachbarten Kinderheim, allerdings wohl nicht so sehr an sie wie an den verlorenen Zirkelkasten, den neuen Kasten mit dem Samtfutter und den aufgereihten blitzenden Zirkeln. Nur Dse dachte noch traurig an den Frühling…

DAS „KROKODIL“

Aiwasowskis Neffe * Kr-r-rokodil * Die Bleistifte * Gib ihm Saures! * Der hinterhältige Tolstoianer Plus + Minus = Null * Ablaljsdieine.

Er kam in die Kanzlei, nahm den verblichenen Filzhut ab, rückte den zu einer Schleife gebundenen Schal gerade und stellte sich vor: „Sergej Petrowitsch Aiwasowski, Neffe meines Onkels Aiwasowski, der die 'Neunte Woge' malte, und überhaupt…“

Er suchte eine Stellung. Längere Arbeitslosigkeit hatte ihm die Nerven zerrüttet, ihn mit Hunger, Kälte und Untätigkeit gequält… Deshalb sprach er im Heim für Schwererziehbare vor.

Vikniksor warf einen flüchtigen Blick auf die Empfehlung der Abteilung Volksbildung und sah sich dann Aiwasowski an. Es war ein ziemlich großer, breitschultriger Mann, dessen stolzes Gesicht mit der aufgeworfenen Nase einen festen Charakter zu verraten schien.

„Gut“, sagte der Direktor, „ich werde Sie als Erzieher einstellen. Aber wir brauchen außerdem einen Zeichenlehrer. Könnten Sie das übernehmen?“

„Ich bin ein Neffe Aiwasowskis“, erwiderte der Mann selbstbewußt. „Überdies habe ich die Akademie der Künste besucht. Ich…“

„Ausgezeichnet“, unterbrach ihn Vikniksor. „Sie sind eingestellt. Treten Sie bitte morgen um zwei Uhr mittags Ihren Dienst an. Hoffentlich können Sie mit den Zöglingen umgehen.“

„Oh!“ rief Aiwasowski. „Das kann ich… ich habe Erfahrung darin… ich…“

Er unterdrückte die letzten Worte „… ich bin der Neffe Aiwasowskis“, weil es draußen zum Unterrichtsschluß klingelte und sich die Kanzlei mit Lehrern und Schülern füllte. Aiwasowski drehte seinen Hut hin und her, während er die Leute betrachtete, die sich mit Vikniksor unterhielten. Er wollte dem Direktor die Hand reichen, überlegte es sich aber anders und sagte nur: „Bis morgen.“ Dann verließ er die Kanzlei. Sein goldener Kneifer blitzte auf der Himmelfahrtsnase.

Am nächsten Tage ging Vikniksor nach dem Unterricht mit Aiwasowski in die Klasse der vierten Abteilung. Die Zöglinge standen auf.

„Jungen“, sagte Vikniksor, „hier ist ein neuer Erzieher, ein Maler. Ein sehr guter Mensch. Ich hoffe, daß ihr euch mit ihm verstehen werdet.“ Nachdem Vikniksor die Klasse verlassen hatte, umringten die Jungen den frischgebackenen Erzieher, der seine neugierigen Schüler musterte, die Aktentasche unter dem Arm. Merkwürdigerweise fühlten sich die Jungen sogleich zum Spotten aufgelegt.

„Wie ist dein Name, o Fremder, du neuer Krieger vom Stamme der Propheten?“ forschte Japs in erheuchelt feierlichem Ton. „Ich heiße Sergej Petrowitsch“, antwortete der Lehrer. „Mit Nachnamen Aiwasowski.“

„Aiwasowski? Wie der Maler?“

„Ja.“ Der Prophet warf den Kopf in den Nacken. „Ich bin der Neffe meines Onkels Aiwasowski, der die 'Neunte Woge' und andere Bilder schuf.“

„Prima!“ rief Jankel.

Die Jungen umdrängten den neuen Lehrer noch enger. Aiwasowski setzte sich in eine leere Bank und legte die Aktentasche vor sich auf den Tisch.

„Und was macht ihr?“ fragte er. „Womit beschäftigt ihr euch in eurer Freizeit?“

Aiwasowski setzte sich auf eine Bank.

„Wir verhauen die Propheten“, brummte Kaufmann. „Wie?“ erkundigte sich Aiwasowski verständnislos. „Wir verhauen die Propheten“, wiederholte Kaufmann. „Außerdem kloppen wir Karten und randalieren.“ „Aha.“ Aiwasowski begriff offensichtlich nichts. „Ich werde euch jedoch anders beschäftigen. Ich habe ein eigenes Erziehungssystem.“

„Was für eines?“ fragte einer. „Vielleicht erzählen Sie uns davon“, schlug Jankel vor. „Ich habe folgendes System: Ich verbringe mit den Zöglingen die Freizeit, lese ihnen vor und spiele mit ihnen.“ Einer kicherte. „Interessant“, meinte Jankel. „Wollen Sie schon heute mit Ihrer Erziehungsarbeit beginnen?“

„Ich denke ja.“

Der „Neffe seines Onkels“ wühlte in der Aktentasche und zog ein Büchlein hervor.

„Ich werde euch jetzt etwas Interessantes vorlesen“, sagte er. „Ich lese gut. Ich habe übrigens einen Deklamationskursus besucht.“