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„Ach, bitte, lieber Japs!“ flehte der Fensterscheibenzertrümmerer. Dann erzählte er ihm, wie er Elanljum die Hucke vollgelogen hatte und wie wichtig es für ihn war, aus dieser unangenehmen Situation herauszukommen. Japs stieg das Blut ins Gesicht.

„Na schön“, meinte er, „das schaffen wir schon. Ich übersetze es dir. Das ist für mich 'ne Kleinigkeit.“

Wieder schien für Ljonka die Sonne, wieder hörte er den lustigen Straßenlärm und spürte den Frühling. Sascha blühte mit ihm auf. Später gingen sie mit Spatz und dem Nackten Herrn nach Katherinenhof, badeten, sahen beim Karussellfahren zu, drängten sich durch die fröhlich lärmenden Spaziergänger und kamen erst zum Abendessen in die Schule zurück.

Das Erlebnis auf dem Dach fiel ihnen erst beim Schlafengehen wieder ein. Während Ljonka die Stiefel aufschnürte, beugte er sich zu Sascha hinüber und flüsterte: „Und die Fensterscheiben?“

Sascha konnte nicht gleich antworten. Kostalmed, der diensthabende Prophet, donnerte mit seiner Löwenstimme durch den Schlafraum, daß alle hochschreckten: „Pantelejew, störe die Kameraden nicht beim Schlafen!“

Nachdem Kostalmed mit klapperndem Stöckchen in den anderen Schlafraum gegangen war, steckte Sascha den Kopf unter der Decke hervor und flüsterte: „Quatsch!“

Am nächsten Tage war anderes Wetter. Nachts hatte es ein Gewitter gegeben, der Morgen flimmerte in allen Regenbogenfarben, und blaß-graue Wolken verhüllten die Sonne. Dennoch spürte man, daß es Frühling war.

Sascha und Ljonka standen in glänzender Stimmung auf. Beim Frühstück setzte Japs den neben ihm sitzenden Ljonka in maßloses Erstaunen.

„Ich hab' hundertzwanzig Zeilen übersetzt!“ tuschelte er. „Wann?“ stieß Ljonka hervor. Er vergaß beinahe die nötige Vorsicht.

„Heute morgen“, antwortete Japs. „Ich bin um sieben aufgestanden und hab' mich gleich dran gemacht. Und zwei Gedichte von Goethe hab' ich ebenfalls übersetzt.“

Nach dem Frühstück übergab Japs tatsächlich Ljonka drei Bogen beschriebenes Papier, und Ljonka setzte sich auf der Stelle hin und schrieb die Übersetzung ab, damit die Handschrift nicht etwa Zweifel an der Identität seiner Arbeit aufkommen ließ. Er saß dabei am Fenster. Heine entzückte ihn und regte seine schöpferische Ader an. Er bekam Lust, selbst etwas zu verfassen. Nachdem er mit dem Abschreiben fertig war, blickte er auf die Straße hinunter. An der Ecke stand ein Milizionär mit einem Khakihelm und einem rotblonden Schnurrbart, lächelte in die Sonne und wischte sich die Regentropfen von seinem Gummicape. Die Spatzen tschilpten, und von den nassen Bürgersteigen stiegen dünne Nebelschwaden auf. Ljonka wollte dieses Bild so schön und lebenswahr wie nur möglich beschreiben. Und er tat es, so gut er konnte:

Die Spatzen tschilpen auf dem Pflaster, die Straße lacht trotz allem Dreck, und an der Ecke steht ein Posten, wischt sich die Regentropfen weg. Der Himmel dampft wie Tabakschwaden, und aus dem Tor stinkt es nach Müll. Der Posten nimmt den Helm vom Kopfe, weil er sein Haar glattstreichen will. Vor dem Cafe stehn ein paar Schieber und bieten Zigaretten an. Vom Eingang kommen Wodkadüfte, davor hält eine Droschke an. Doch tschilpen Spatzen auf dem Pflaster, verkünden, daß es Frühling wird; die schmutziggrauen Straßen schlafen, sie stinken weiter unbeirrt.

Das Gedicht zeigte er den Kameraden und Alnikpop. Es gefiel allen, und Jankel nahm es zur Veröffentlichung in einer seiner Zeitschriften an.

Sascha verbrachte den Morgen im Museum und stellte dort eine Tabelle der einzelnen Baustile zusammen. Die ionischen und korinthischen Säulen, die Pilaster und Apsiden versetzten ihn in Entzücken. Er und Ljonka hatten an diesem Morgen die Wäscherei und die eingeschlagenen Fensterscheiben vollständig vergessen. Aber beim Mittagessen entlud sich das Gewitter. Genauer gesagt, grollte der erste Donner schon eine halbe Stunde vor dem Essen. In der Schkid verbreitete sich nämlich das Gerücht, unbekannte Täter hätten in der Wäscherei sämtliche Scheiben zertrümmert. In diesem Augenblick begannen zwei Herzen heftig zu klopfen, zwei Paar Augen sahen sich an und blickten wieder fort. Beim Mittagessen, nach dem Namensaufruf — die Diensthabenden stellten gerade die dampfenden Schüsseln mit Hirsebrei auf die Tische —, kam Vikniksor in den Eßraum.

Er trat hastig ein, warf einen flüchtigen Blick auf die Reihen der Schüler, die sich bei seinem Erscheinen erhoben hatten, und sagte: „Setzt euch!“ Dann tippte er sich nervös mit dem Finger an die Schläfe, ging durch den Raum und blieb an einem Tisch stehen.

„Irgendwelche Strolche haben sämtliche Scheiben in der Wäscherei eingeschlagen“, sagte er, nach seiner Gewohnheit die einzelnen Worte dehnend.

Fragend blickten die Augen der Esser von der erkaltenden Hirsegrütze auf.

„Sämtliche Scheiben in den fünf Fenstern“, wiederholte Vikniksor. „Das ist Vandalismus, Jungen, das ist eine Degenerationserscheinung. Ich muß die Namen der Schurken, die das gemacht haben, herausfinden.“

Ljonka sah zu Sascha hinüber. Der Blutsbruder war rot geworden und hatte die Augen niedergeschlagen.

„Es ist Vandalismus“, fuhr Vikniksor fort, „Fensterscheiben einzuschlagen, wenn wir nicht einmal die Mittel besitzen, um die Scheiben, die von selbst entzweigingen, wiedereinzusetzen.“ In fiebernder Ungeduld wartete Sascha auf die Beendigung des Mittagessens. Dann rief er Ljonka beiseite: „Komm, ich muß mit dir reden.“

Sie gingen in die obere Toilette. Dort war niemand. Sascha lehnte sich an die Wand.

„Das kann ich nicht aushallen“, stieß er hervor. „Wir waren wirklich Viecher.“

Ljonka biß sich auf die Lippen.

„Wir gehen jetzt hin und gestehen es ein“, schlug er vor. Sascha kämpfte einen Augenblick mit sich. Dann pustete er, rieb sich die Wange, nahm Ljonka an der Hand und sagte: „Los!“ Vikniksor ging gerade die Treppen hinauf. Als er bei ihnen vorbeikam, wandte sich Ljonka um. „Viktor Nikolajewitsch.“ Vikniksor sah den Jungen an. „Ja?“

Ljonka blickte weg.

„Ich und Jelchowski haben die Fensterscheiben in der Wäscherei eingeschlagen.“

Schweigen. Vikniksor war über die Schnelligkeit des Geständnisses verdutzt.

„Ausgezeichnet“, sagte er nach kurzer Überlegung. „Ihr könnt beide nach Hause gehen.“ Der Blitz schlug ein.

Sascha taumelte ans Fenster, schlug die Hände vors Gesicht und duckte sich.

„Viktor Nikolajewitsch!“ jammerte er. „Das kann ich nicht. Meine Mutter ist krank… ich kann nicht hingehen.“

Mit zusammengebissenen Zähnen und verkrampften Fäusten stand Ljonka neben Sascha.

„Verzeihen Sie, Viktor Nikolajewitsch“, setzte er an. „Nein, da gibt es keine Entschuldigung. Schert euch aus der Schule. In einem Monat können eure Mütter herkommen. Bedankt euch bei mir, daß ich euch nicht in die Besserungsanstalt schicke.“

Er drehte sich auf dem Absatz um und ging in seine Wohnung. Ljonka sah ihm nach. Dann klopfte er Sascha auf die Schulter. „Komm, Rührmichnichtan.“

„Ich kann nicht nach Hause“, sagte Sascha.

„Für mich ist es auch nicht gerade ein Genuß“, brummte Ljonka finster.

Sie saßen im Hof, auf demselben Holzhaufen, wo sie sich gestern mit Elanljum unterhalten hatten.

Es wurde Abend. Graue Wolken zogen um die Wette über den Himmel und zerstäubten in kleine Regentropfen.

Sascha hockte wie eine Frau da — die Knie zusammengepreßt und die Wange in die Hand gestützt. Er hatte ein kleines, graues Bündel auf den Knien.

Es enthielt zwei Taschentücher, ein Aphorismenbuch und den ersten Band des „Kapitals“ von Karl Marx.

Sascha preßte das Bündel an sich, hob den Kopf und seufzte. „Was stöhnst du?“ brummte Ljonka. „Damit änderst du nichts. Wir wollen uns lieber überlegen, was wir jetzt machen. Nach Hause gehen wir doch nicht?“