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Das Stimmungsbarometer fiel auf den Nullpunkt, und obgleich die aktiven Elemente — Zigeuner, Spatz, Jankel und Kossar — den Widerstandsgeist aufrechtzuerhalten suchten, hatten ihre Reden kaum noch Erfolg.

Vergeblich rollte Zigeuner die wilden schwarzen Augen und sagte zähneknirschend mit furchteinflößender Stimme: „Seht euch vor, Halunken, bleibt eisern! Keine Geständnisse!“ Man hörte ihm nicht mehr zu.

In qualvoller Langeweile zog sich der endlose Winterabend hin. Hinter den grauen Eisblumen am Fenster klingelten munter die Straßenbahnen. Die Kutscher schrien. Hier aber, in dem halbdunklen Schlafraum, lungerten zehn Strolche tatenlos herum. Jankel hatte sich in eine Ecke verkrochen und die Katze gefangen. Erbarmungslos zerrte er sie am Schwanz. In verzweifeltem Selbstbehauptungstrieb versuchte sie sich loszureißen und miaute kläglich, als ihr das mißlang. „Laß doch, Jankel! Was quälst du das Vieh“, verteidigte Spatz gelangweilt das „Vieh“, aber Jankel ließ sich in seiner Beschäftigung nicht stören.

„Jankel, schinde die Katze nicht. Ihr ist wahrscheinlich genauso miserabel zumute wie uns!“ Kossar war einer Meinung mit Spatz. Auch die übrigen nahmen für die Katze Partei. Zuerst hatten sie teilnahmslos zugeschaut, aber als sie sahen, daß das arme Tier nicht mehr aus noch ein wußte, griffen sie ein. „Wahrhaftig, was machst du denn mit ihr!“

„Das tut ihr doch weh! Laß sie los!“

„Dich sollte man mal am Schwanz ziehen, dann würdest du es merken.“

Ein Erzieher kam in den Schlafraum.

„Oh, Onkel Serjosha ist da! Onkel Serjosha, erzählen Sie uns was!“ schmeichelte Zigeuner, aber das Wort blieb ihm im Halse stecken. Der Erzieher warf ihm einen strengen Blick zu. „Gromonoszew, vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben!“ sagte er scharf. „Für Sie bin ich weder Onkel noch Serjosha. Gehen Sie gefälligst ohne langes Gerede ins Bett.“ Die Tür knallte zu.

Lange wälzten sich die sorgenbeschwerten Schkider auf ihren knarrenden Pritschen herum, und jeder überdachte den Vorfall auf seine Weise, bis der allmächtige tiefe Schlaf ihren Kummer überwand und sie unter den Klängen von Kamels Tonleitern weit fort aus dem stickigen Schlafraum trug.

Früh am Morgen wurde Jankel durch die Sorge geweckt: Ob der Tabak noch da ist?

Er versuchte, sich von diesem Gedanken frei zu machen, aber die böse Ahnung verließ ihn nicht. Er stand auf, zog sich notdürftig an und schlich in den Saal.

Da war das Katheder. Unter Anspannung aller Kräfte hob Jankel es hoch, hielt das schwere Möbel mühsam im Gleichgewicht und spähte darunter. Der Tabak war nicht zu sehen.

Schwitzend vor Aufregung, suchte er sich ein dickes Brett, schob es unter eine Kante des Katheders, legte sich auf den Bauch und tastete. Der Tabak war weg. Jankel versuchte es von der anderen Seite. Seine Hand stieß nur auf glattes, staubiges Parkett. Ihm wurde eiskalt vor Schreck.

„Wahrscheinlich unter dem anderen Katheder!“ sagte er zur Beruhigung laut vor sich hin.

Neue Anstrengungen, neues Herumkriechen, neue Enttäuschung. Auch unter dem dritten Katheder war der Tabak nicht zu entdecken. „Die Teufel haben mir den Tabak geklaut!“ schrie Jankel zornig. EP hatte jede Vorsicht vergessen. „Einen Kameraden zu bestehlen! Feine Sitten!“

Wütend drohte er dem Schlafraum mit der Faust. Dann schlich er aus dem Saal und ging ins Badezimmer.

Als er wieder in der Tür stand, lächelte er. In der Hand hielt er ein nagelneues Tabakpäckchen.

„Ella Andrejewna! Heißt es auf deutsch 'die Fenster' oder,das Fenster'?“

„Das Fenster!“

Elanljum liebte ihre Muttersprache über alles; sie bemühte sich deshalb, auch ihren Schülern diese Liebe einzupflanzen. Das eintönige Geleier der Klasse, die eine neue Geschichte von irgendwelchen Gärtnern auswendig lernte, klang daher wie Musik in ihren Ohren. „Sorokin? Woran denkst du? Beschäftige dich mit deinen Aufgaben.“

„Worobjow, du liest ja ein Buch, das nicht zum Unterricht gehört. Gib es sofort her.“

„Ella Andrejewna, ich lese gar nicht.“

„Gib das Buch her.“

Spatzens Buch landete auf dem Tisch, und Elanljum beruhigte sich wieder.

„Jetzt kommen wir zum Nacherzählen!“ verkündete die Deutschlehrerin, nachdem die Frist für das Auswendiglernen verstrichen war. „Gromonoszew, sage die erste Zeile auf.“ Zigeuner rasselte auf deutsch den ersten Satz herunter: „Am Fluß war das Ufer, am Ufer stand ein Haus.“

„Tschornych, fahre fort.“

„Vor dem Haus stand ein Apfelbaum, auf dem Apfelbaum wuchsen Äpfel.“

Plötzlich platzte Kamel in den Unterricht.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Ella Andrejewna“, brummte er mit böser Stimme. „Die Schüler Tschornych, Gromonoszew und Worobjow sollen zum Direktor kommen. Ich möchte sie hinbringen, wenn Sie gestatten.“

Auf dem Wege zu Vikniksor schwiegen die Strolche beharrlich. Kamel, sonst so freundlich und sanft, zupfte mürrisch an seiner Pickelnase und rückte seinen Kneifer zurecht.

Vor der Tür des Direktorenzimmers zögerten die Schkider unwillkürlich und sahen sich an. In ihren Augen stand ein und dieselbe Frage: Warum bestellt er uns zu sich? Ob er schon?.. Vikniksor saß am Schreibtisch und sah ein Schriftstück durch. Die Strolche blieben stehen, traten abwartend von einem Fuß auf den anderen und blickten den Direktor unsicher an. Schließlich unterbrach Jankel schüchtern die qualvolle Stille: „Viktor Nikolajewitsch, wir sind da.“ Der Direktor wandte sich um und stand auf.

„Ausgezeichnet, daß ihr da seid“, versetzte er gedehnt. „Nun bringt auch den Tabak her.“

Wenn der Direktor auf den Tisch geklettert wäre und ihnen einen Bauchtanz vorgeführt hätte, wären die drei nicht so verblüfft gewesen wie jetzt.

Wir haben keine Ahnung!

„Viktor Nikolajewitsch! Wir haben keine Ahnung! Das ist eine Beleidigung!“ klang es einträchtig aus drei Kehlen. „Bringt den Tabak her!“ wiederholte der Direktor, ohne die Stimme zu heben.

„Wir haben ihn doch nicht weggenommen.“

„Bringt den Tabak her.“

„ViktorNikolajewitsch! Bei Gott! Wir haben ihn nicht!“ schwor Jankel. Das klang so aufrichtig, daß er, über sich selbst erschrocken, staunte. „Ihr habt ihn nicht genommen? Nein?“ forschte der Direktor böse „Wirklich nicht?“

Den Jungen sank der Mut, aber noch hielten sie stand. „Nein! Wirklich nicht!“

„So? Und warum haben eure Kameraden ein Geständnis abgelegt und dabei eure Namen genannt?“

„Welche Kameraden?“

„Alle — samt und sonders.“

„Das wissen wir nicht.“

„Das wißt ihr nicht? Aber den Tabak erkennt ihr wieder?“ Vikniksor wies auf den Tisch. Den Jungen entschwand die letzte Hoffnung. Auf dem Tisch lagen sieben Päckchen des gestohlenen Tabaks — angerissen, zerdrückt, zerfetzt.

„Na, wie ist es jetzt? Habt ihr den Tabak genommen?“

„Ja, Viktor Nikolajewitsch.“

„Dann bringt ihn schleunigst her“, befahl der Direktor. Vor der Tür blieben die drei stehen. Jankel spuckte aus.

„Reingerasselt!“ brummte er giftig. „Jetzt bringen wir den Tabak, und dann geht es uns an den Kragen. Fragt sich bloß, welcher Teufel uns geritten hat, daß wir den Tabak klauten!“ „Aber wer hat uns verpfiffen, Halunken?“ Zigeuner war aufrichtig empört.

„Ja, wer hat uns verpfiffen?“

Diese unglückselige Frage hing in der Luft. Ohne sie gelöst zu haben, trotteten die drei davon, um ihr Diebesgut zu holen.

Jankel kam als erster zurück. Er schnupfte auf, legte dem Direktor das Päckchen auf den Tisch und trat zurück. Dann erschien Spatz. Zigeuner blieb aus.

Es vergingen eine Minute, zwei, drei, zehn Minuten. Von Zigeuner keine Spur.

Vikniksor verlor allmählich die Geduld. Da stürzte Zigeuner herein und machte fassungslos mitten im Zimmer halt. „Na?“ brummte der Direktor. „Wo ist der Tabak?“ Zigeuner antwortete nicht. „Ich frage dich, wo der Tabak ist?“