„Jankel! Worin soll ich eigentlich auftreten? Du mußt mir ein Kostüm verschaffen, und zwar unbedingt eines mit ganz weiten Pumphosen!“ donnert Kaufmann auf Jankel ein. Er spielt in dem Stück sich selbst, das heißt einen Kulakenkaufmann, und hält sich deshalb für berechtigt, gebührende Aufmerksamkeit zu verlangen.
„Klar, wird besorgt!“ erwidert Jankel mit betörender Liebenswürdigkeit. Er zerbricht sich gerade verzweifelt den Kopf, wo er die Dekorationen hernehmen soll. Morgen ist die Aufführung, und er hat bisher weder Kostüme noch Dekorationen.
Er ist Spielleiter. Wo soll er nur Gewehre, Revolver, Hüte und ein Telefon auftreiben — Gegenstände, die ja nicht gerade zum Schkider Hausgebrauch gehören? Er muß sie aber haben! Nachdem er die Schauspieler, die ihm von allen Seiten zusetzen, erfolgreich abgewimmelt hat, rennt er nach oben und klopft an Elanljums Tür. „Herein!“
„Verzeihung, Ella Andrejewna, aber haben Sie vielleicht einen Damenhut? Dann brauchen wir für die Aufführung noch einen Dolch, und da hängt doch bei Ihnen ein japanisches Bajonett an der Wand…“ Elanljum gibt ihm den Dolch und auch das Bajonett. Sie liebt die Jungen und möchte ihnen helfen. Sie treibt sogar einen runden Hut mit Blumengarnierung auf. Von Elanljum trabt Jankel zu Vikniksor.
„Viktor Nikolajewitsch, wir haben keine Dekorationen und Requisiten. Viktor Nikolajewitsch, bitte, dürfte ich vielleicht zehn amerikanische Decken aus der Kleiderkammer holen, ja?“ Vikniksor schwankt. Er befürchtet, daß die Decken gestohlen werden. Aber dann entschließt er sich doch. „Genehmigt. Aber…“
„Aber?“
„Aber du bist mir dafür verantwortlich, Tschornych! Nichts darf verlorengehen.“
Jankel ist im Augenblick alles gleichgültig außer seiner Verpflichtung, Dekorationen zu ergattern.
„Gut, Viktor Nikolajewitsch, selbstverständlich übernehme ich die Verantwortung.“
Unter allgemeinem Tritimphgeschrei schleppt er zehn Minuten später einen Riesenballen Decken keuchend in den Saal — Vorhang, Kulissen, Dekorationen.
„Leute, aber der Saal selbst! Den müssen wir doch schmücken!“ jammert Mamachen kläglich. Die anderen horchen auf. „Ja, allerdings.“
In sorgenvoller Überlegung runzeln sich die Stirnen. „Tannenzweige würden genügen.“
„Ja, Tannenschmuck war nicht übel.“
„Hurra, ich weiß was!“ schreit Brotkanten. „Schieß los.“ „Na?“
„Tannenzweige gibt es.“
„Wo?“
Das gesamte Schauspielerkollektiv einschließlich Spielleiter und Regisseur starrt Brotkanten erwartungsvoll an. „Wo denn?“
„Gibt es!“ Frohlockend hebt Brotkanten den Finger. „Bei uns auf dem Wolkow-Friedhof.“
„Dummkopf!“
„Idiot!“ rufen empörte Stimmen, aber Brotkanten läßt sich nicht beirren.
„Warum schimpft ihr? Wenn einer mit mir hinfährt, bringen wir Tannenzweige, soviel ihr wollt.“
„Gräber beklauen?“
„Da ist doch nichts dabei! Die Toten nehmen's nicht übel.“
„Das geht doch nicht.“
„Warum denn nicht?“
„Ich fahr' mit!“ schreit Biber.
„Ich auch!“ Dse wird von der Begeisterung angesteckt. Alle drei bitten den Erzieher um Urlaub für eine wichtige Besorgung und ziehen wie zu einer Heldentat davon. Die Zurückgebliebenen versuchen weiter zu probieren, aber die Probe hat keinen rechten Schwung. Aller Gedanken sind auf dem Wolkow-Friedhof. Wenn die Jungen bloß nicht erwischt werden!
Lange müssen sie warten. Happen klimpert auf der Mandoline. Er soll im Konzertteil des Abends auftreten und muß noch üben, aber es wird nichts. Darum läßt er seine Programmnummer sein und begleitet sich zu dem monotonen Singsang:
Inzwischen streifen die drei Helden tatendurstig über den stillen Friedhof. Nur selten kommt jemand vorbei. Das Wetter lädt nicht gerade zu einem Spaziergang zwischen den Gräbern ein. Über Kreuze und Grüfte pfeift der Herbstwind. Mühsam reißt er die durchnäßten Blätter von der Erde, als wollte er sie auf die Bäume zurückschleudern und es wieder Sommer werden lassen.
Die Jungen können in dieser Stille ungestört ihrem Vorhaben nachgehen. Einen Sack haben sie schon mit Tannengrün vollgestopft. „Wozu brauchen die Toten noch so was?“ philosophiert Dse. „Sie haben nichts mehr davon, aber wir müssen unbedingt den Saal schmücken.“
Allmählich sind die Säcke proppenvoll. „So, das genügt wohl.“ Schwer beladen schleichen sie davon, blicken sich noch einmal nach den schiefen Kreuzen um und gehen dann zur Straßenbahn. Es ist schon Abend, als sie in der Schkid anlangen. Beim Eintritt in den Saal bleiben sie verdutzt stehen. Ein merkwürdiges Schauspiel bietet sich ihnen.
Am Klavier sitzt ein Erzieher und hämmert einen Krakowiak. Die Schkider haben sich paarweise aufgestellt, treten von einem Fuß auf den anderen und sehen Vikniksor an, der mitten im Saal einen Krakowiak vorfuhrt.
„Zuerst links, dann rechts. So und so.“ Vikniksor rutscht beineschlenkernd über das Parkett. „So und so. Trulala. Na, macht's mal nach.“ Ungeschickt trampeln die Schkider mit den Füßen, aber allmählich werden sie vom Rhythmus gepackt. „Richtig! Hopp und hopp!“ ermuntert Vikniksor.
Die Jungen kommen in Fahrt. Würfel zwingt seinen ungehorsamen Beinen kunstvolle Schnörkel ab und singt dabei:
Mitten im Eifer des Gefechts ist die Saaltür aufgeflogen. „Wirbringen das Grünzeug!“ ruft Dse. „Oho!“
„Hurra! Her damit!“
Die Paare lösen sich auf. Alle stürzen zu den Ankömmlingen. „Warum hopst Vikniksor hier herum?“ fragt Dse, während er die Säcke aufbindet.
„Dussel! Der hopst doch nicht. Er bringt uns für morgen abend das Tanzen bei“, erklärt Mamachen gekränkt.
Unter Beifallsgebrüll werden die Tannenzweige zutage gefördert. Sofort beginnen die Jungen, den Saal zu schmücken. Noch am späten Abend klettern sie auf den Leitern umher, um lange Tannengirlanden an den Wänden zu befestigen und die Bilder der Schriftsteller und Führer der Revolutipn mit grünen, stachligen Zweigen zu schmücken. „So, das war's wohl.“
„Ja, das ist jetzt alles.“
Der Weiße Saal — sonst ein nüchterner Anstaltsraum — hat sich in ein großes, gemütliches, blitzsauberes Zimmer verwandelt. „Schlafenszeit!“ mahnt der Erzieher, und kurz darauf hat sich der Saal geleert.
Die Morgengeräusche eines Festtages drangen zum Fenster herein — Orchesterklänge, Rufe, Stimmengewirr weckten die Schkider und steckten sie mit der Feiertagsstimmung an. Beim Frühstück hielt Vikniksor eine kurze Rede über die Oktoberrevolution, dann sprach Japs im Namen des „Junkom“, und hinterher erhoben sich alle, um gemeinsam die „Internationale“ und anschließend die Nationalhymne der Schkid zu singen.
Der Tag begann mit wildem Durcheinander. Im Saal fand die letzte Generalprobe statt, in der Küche wurde das Essen für die Gäste vorbereitet, in der Kanzlei schrieb man die Einladungskarten und händigte sie sofort den Zöglingen aus, die damit zu ihren Eltern, Verwandten und Bekannten liefen. In der Schkid stand alles köpf.