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Die Essenszeit kam, aber niemand hatte Hunger. Nur widerwillig schlangen die Jungen ein paar Bissen hinein. In ihrer Aufregung waren ihnen die Gespräche viel wichtiger. Die Großen ließen die Hälfte stehen und gingen zur Probe. Die Kleinen sausten in der Schule umher, schleppten Stühle und Bänke in den Saal und stellten sie reihenweise auf. Alle strahlten, und Vikniksor sah mit großer Freude, daß sich in ihren Gesichtern der Festtag spiegelte. Um vier Uhr wurde die Probe beendet.

„Ziemlich anständig“, lautete Japs' Abschlußkritik. Dann kommandierte er: „Eine Stunde Ruhe. Danach schminken.“ Auch die Dekorationen waren fertig. Die amerikanischen Decken erwiesen sich als sehr brauchbar. Man hatte sie mit bunten Kreidestrichen bemalt, und auf diese Weise war die vollständige Illusion eines Zimmers entstanden. Auch ein Telefon hatten die Jungen aufgetrieben. Nun machten sie die Bühne endgültig fertig — sie stellten Tisch und Stühle auf und hängten eine Landkarte an die Wand. Um fünf Uhr trafen die ersten Gäste ein. Die speziell zu diesem Zweck abkommandierten Schkider führten sie in den Warteraum, wo sie sich einstweilen mit den zu ihnen gehörenden Schülern niederließen. Inzwischen wurden auf der Bühne die letzten Vorbereitungen getroffen. Das Essen — Suppe und einige Brötchen von den für die Gäste bestimmten Portionen — stand auf dem Tisch. Es wurde im ersten Akt gebraucht. Der Kulak muß doch als Hausherr die Teilnehmer an der weißgardistischen Verschwörung bewirten.

Als Vikniksor hinter die Bühne kam, schminkten sich die Jungen noch.

„Es ist Zeit anzufangen“, sagte er besorgt.

„Wir sind fertig“, war die Antwort. Fünf Minuten später klingelte es — die Aufforderung, im Saal Platz zu nehmen. Die Jungen drängten sich hinter dem Vorhang und spähten durch eine Ritze. Langsam wurde der Saal voll. Viele Leute waren gekommen. Beim Anblick der Gäste knirschte Japs aufgeregt mit den Zähnen.

„Ja, das gibt 'nen heißen Kampf!“ flüsterte er. „Wir dürfen uns nicht blamieren, Leute!“

„Wir blamieren uns nicht, Japs“, grinste Kaufmann. Er kaute. „Keine Angst!“

Es klingelte zum zweitenmal. Im Saal verstummte das aufgeregte Stimmengewirr. Beim dritten Klingelzeichen ruckte der Vorhang krampfhaft, ohne sich zu öffnen. Die Zuschauer wurden aufmerksam und starrten auf die Bühne. Interessiert beobachteten sie den eigensinnigen Vorhang, der wallte, zuckte und hüpfte, aber fest geschlossen blieb.

„Ach, der geht ja nicht auf!“ sagte jemand im Saal teilnahmsvoll. Plötzlich kam ein erstickter Ruf von der Bühne: „Zieh doch kräftig, du Strolch! Feste! Schlappschwanz!“

Etwas krachte, der Vorhang krümmte sich, ging auf und gab die Bühne frei. Den Blicken der Zuschauer bot sich ein Zimmer mit einem Tisch in der Mitte, um den die lärmenden Verschwörer saßen. Es war eine reichlich merkwürdige Gesellschaft. Kaufmann trug eine Art altmodischen Gehrock und weite, blaue Pumphosen. Neben ihm thronte ein Wesen, das teils Bauernweib, teils Dame zu sein schien. Jedenfalls konnte man die Klassenzugehörigkeit dieser Person nur mühsam bestimmen, denn sie war gleichsam aus zwei verschiedenen Hälften zusammengesetzt: Der obere Teil verkörperte entsprechend den Anforderungen der Rolle eine Intellektuelle mit Federhut, indes der untere Teil mit dem grell geblümten Sonntagsrock eher einer Bäuerin aus Rjasan zu gehören schien. Doch die Zuschauer gewöhnten sich schnell an die Spaltung dieser Persönlichkeit, weil auch die übrigen Verschwörer nicht minder phantastisch kostümiert waren. So trug der Haupträdelsführer der Weißen, ein französischer Diplomat, als Zeichen seiner Zugehörigkeit zum Bürgertum nur einen ziemlich zerknautschten Zylinder, mit dem er seine Anstaltshose aus Tuch und sein Leinenhemd wettmachen mußte.

Die Handlung verlief programmgemäß, und Japs' Nerven beruhigten sich. Aber da gab es auf der Bühne plötzlich eine Stockung. „He, Matrjona! Bring das Essen!“ donnerte Kaufmann in seinem tiefsten Baß.

Grabesschweigen war die Antwort. „Matrjona, das Essen!“ Wieder keine Antwort. Verwirrt rutschten die Verschwörer auf den Stühlen herum. Ihre Aufregung übertrug sich auf den Zuschauerraum. Interessiert wartete das Publikum auf die verstockte Matrjona, die den Ruf ihres Herrn so eigensinnig mißachtete. Alles hielt den Atem an.

Kaufmann wurde blaß und rot.

„Matrjona!“ brüllte er zum drittenmal, nun schon extemporierend. „Bringst du Dämlack uns nun was zu fressen oder nicht?“ Plötzlich raschelte es hinter den Kulissen, und dann zischelte eine leise, aber durchaus vernehmbare Stimme: „Was soll ich dir denn bringen, du Holzkopf? Vor der Aufführung hast du alles verputzt, und jetzt willst du es haben!“

Im Saal wurde gekichert. Japs erblaßte und raste auf die andere Seite der Bühne. Dort stand Mamachen, die fassungslose Köchin. „Bring doch rein, Halunke! Leere Teller! Schnell!“ fuhr Japs ihn an.

Kaufmann hatte inzwischen den Mut zum Extemporieren verloren. „Matrjona, bring das Essen! Matrjona, das Essen!“ jammerte er. Er war in einer dummen Situation. Der ganze Saal fühlte mit ihm, und ein Seufzer der Erleichterung durchfuhr die Zuschauerreihen, als die einäugige Matrjona, mit leerem Geschirr klappernd, endlich auf der Bühne erschien. Die Aufführung ging weiter. Die Jungen spielten gut, und die Zuschauer waren zufrieden. Im zweiten Akt gab es jedoch wieder eine Stockung. Eine Spionin kam in den Stab der Roten. Auf der Bühne herrschte Dämmerlicht, als Sascha Pylnikow, geschmückt mit dem Federhut, geheimnisvoll hereinschlich. Mit satanischer Stimme zischelte sie etwas vom Ende der roten Herrschaft und huschte zur Karte. „Aha, der Angriffsplan!“ murmelte Spionin Sascha heiser. Atemlos beobachteten die Zuschauer die schurkische Spionin der Weißen. Sascha mußte jetzt eine Streichholzschachtel hervorholen, ein Streichholz anzünden und bei seinem Schein den Plan erspähen. Und da, im entscheidenden Augenblick fiel ihm plötzlich ein, daß sich die Streichhölzer unter dem Rock in der Hosentasche befanden. Sascha erstarrte vor Schreck. Aber er hatte keine Zeit zum Überlegen. Er schimpfte sich in Gedanken einen Strohkopf und griff entschlossen in die Hosentasche. Der Saal schrie auf — erschreckt von dem unanständigen Benehmen der Spionin — beruhigte sich aber sogleich, als unter dem Rock die wohlbekannte schwarze Hose hervorkam. Der Zwischenfall hinterließ keine besonderen Folgen. Man hörte nur Japs hinter den Kulissen schimpfen: „Hab' ich euch nicht gesagt, daß Sascha ein Vollidiot ist?“ Der dritte Akt verlief ohne Komplikationen, und damit war das Stück zu Ende.

Der Konzertteil mußte abgesagt werden. Happen hatte vor Lampenfieber alle Saiten seiner Mandoline zerrissen, und sein Auftritt war doch die Hauptattraktion.

Anschließend wurden die Gäste in den Eßraum geführt, wo Tee und belegte Brote und Brötchen auf sie warteten.

Und dabei zeigten die Schkider ihre Standhaftigkeit. Sie waren mords-hungrig, aber sie beherrschten sich tapfer. Es war ein rührender Anblick, wenn so ein Junge, dem das Wasser im Munde zusammenlief, stolz seine Mutter bewirtete: „Iß nur, iß! Wir haben wirklich genug zu futtern.“

„Aber, Liebling, warum eßt ihr denn nicht?“ fragte die Mutter besorgt.

„Wir haben schon gegessen, wir sind satt bis dorthinaus!“ erwiderte der Sohn selbstsicher.

Das Festmahl ging zu Ende. Inzwischen hatten die Schkider Bänke und Stühle aus dem Saal geschleppt, und zu den Klängen des Klaviers begann der Ball.

Die Schkider tanzten leidenschaftlich gern, und besonders gut tanzten sie heute, weil sich unter den Gästen etwa ein Dutzend Mädchen aus dem benachbarten Kinderheim befand. Die Jungen rissen sich um sie — sie flogen von einem Arm in den anderen.

Der Walzer wurde von einem Tango abgelöst, dann kam ein Foxtrott und danach wieder ein Walzer.