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Brautjungfer war Lois’ Freundin Simone Castonguay, und beim Empfang wurde der erste Trinkspruch von einem Mann ausgebracht, der behauptete, daß er früher Joe Wyze gewesen sei, heute aber älter und Wyzer wäre. Im Anschluß daran hielt Trigger Vachon eine abgehackte, aber von Herzen kommende Rede und endete mit dem Wunsch, daß »diese beiden Menschen ‘unnertundfünfzisch werden und kein’ Tag nischt Rheuma oder Verschtopfung ‘am!«

Als Ralph und Lois den Ball verließen, das Haar noch voller Reis, den hauptsächlich Faye Chapin und der Rest der Harris Avenue Altvorderen geworfen hatten, kam ein Mann mit einem Buch in der Hand und einem feinen weißen Haarschopf, der ihm um den Kopf wehte, zu ihnen gelaufen. Er stellte ein breites Lächeln zur Schau.

»Glückwunsch, Ralph«, sagte er. »Glückwunsch, Lois.«

»Danke, Dor«, sagte Ralph.

»Wir haben dich vermißt«, sagte Lois zu ihm. »Hast du keine Einladung bekommen? Faye hat gesagt, er würde sie dir geben.«

»Oh, er hat sie mir gegeben. Ja, oh ja, das hat er, aber ich geh nicht zu so was, wenn es drinnen ist. Zu eng. Beerdigungen sind noch schlimmer. Hier, das ist für euch. Ich habe es nicht eingepackt, weil die Arthritis in meinen Fingern mittlerweile zu schlimm dafür ist.«

Ralph nahm es. Es war ein Gedichtband mit dem Titel Concurring Beasts. Der Name des Dichters, Stephen Dobyns, ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen, aber er wußte nicht recht, warum.

»Danke«, sagte er zu Dorrance.

»Nicht so gut wie einige seiner späteren Texte, aber gut genug. Dobyns ist sehr gut.«

»Wir lesen sie uns in den Flitterwochen vor«, sagte Lois.

»Das ist eine gute Zeit, um Gedichte zu lesen«, sagte Dorrance. »Vielleicht die beste Zeit. Ich bin sicher, ihr werdet sehr glücklich miteinander.«

Er wollte gehen, drehte sich aber noch einmal um.

»Ihr habt tolle Arbeit geleistet. Die Langfristigen waren sehr zufrieden.«

Dann ging er seines Weges.

Lois sah Ralph an. »Hast du eine Ahnung, wovon er redet?«

Ralph schüttelte den Kopf. Er wußte es nicht mit Sicherheit, dachte aber, daß er es wissen sollte. Die Narbe an seinem Arm hatte zu kribbeln angefangen, wie es manchmal vorkam, ein Gefühl fast wie ein tiefsitzendes Jucken.

»Langfristige«, murmelte sie. »Vielleicht hat er uns gemeint, Ralph - schließlich sind wir inzwischen keine jungen Hühner mehr, oder?«

»Wahrscheinlich hat er genau das gemeint«, stimmte Ralph zu, aber er wußte es besser… und ihre Augen verrieten, daß es ihr tief im Innersten genauso ging.

Am selben Tag, als sich Ralph und Lois gerade das Jawort gaben, ging ein gewisser Penner mit einer hellgrünen Aura - der tatsächlich einen Onkel in Dexter hatte, allerdings hatte der Onkel seinen Taugenichts von Neffen seit mehr als fünf Jahren nicht mehr gesehen - durch den Strawford Park und kniff die Augen zusammen, weil die Sonne so grell auf dem Schnee funkelte. Er suchte nach Pfandflaschen und -dosen. Wenn er genug für eine Flasche Whiskey zusammenbekäme, wäre das toll, aber eine Flasche Wein Marke Night Train würde auch genügen.

Nicht weit von dem Port-O-San mit der Aufschrift MÄNNER entfernt sah er das helle Funkeln von Metall. Wahrscheinlich spiegelte sich die Sonne nur auf einem Kronkorken, aber so etwas mußte genauer untersucht werden. Möglicherweise war es ein Zehncentstück… aber der Penner fand, daß es mehr ein goldener Schimmer war. Es -

»Heiliger Judas!« rief er und hob den Ehering auf, der geheimnisvollerweise oben auf dem Schnee lag. Ein breiter Reif, mit ziemlicher Sicherheit Gold. Er hielt ihn schräg und las die Gravierung auf der Innenseite: HD - ED 5.8.87.

Eine Flasche? Nein, verdammt. Dieses kleine Baby würde ihm eine große Flasche sichern. Mehrere große Flaschen. Möglicherweise eine Wochenration Flaschen.

Der Penner hastete über die Kreuzung Witcham und Jackson, wo Ralph Roberts einmal fast ohnmächtig geworden wäre, und sah den Green-Line-Bus nicht, der auf ihn zukam. Der Fahrer sah ihn und trat auf die Bremse, aber der Bus befand sich auf einer vereisten Stelle.

Der Penner erfuhr nie, was ihn gerammt hatte. Eben noch überlegte er, ob er sich für Old Crow oder Old Granddad entscheiden sollte; im nächsten war er in die Dunkelheit gegangen, die uns alle erwartet. Der Ring rollte in den Rinnstein und verschwand in einem Kanalgitter, und da blieb er lange, lange Zeit. Aber nicht für immer. In Derry haben Gegenstände, die in der Kanalisation verschwinden, die - häufig unerfreuliche

- Angewohnheit, immer wieder aufzutauchen.

Ralph und Lois erlebten nicht ausschließlich glückliche Stunden.

In der Welt der Kurzfristigen gibt es nichts ausschließlich, weder Glück noch sonst etwas, eine Tatsache, die Klotho und Lachesis zweifellos genau kannten. Aber sie lebten lange Zeit glücklich. Keiner wollte frei heraus zugeben, daß es die glücklichsten Jahre waren, denn beide erinnerten sich ihrer ersten Ehepartner voll Liebe und Zuneigung, aber in ihren Herzen betrachteten sie beide die gemeinsamen Jahre als die glücklichsten. Ralph war nicht sicher, ob die Liebe im Herbst die schönste Liebe war, kam aber zur festen Überzeugung, daß es die gütigste und erfüllendste war.

Unsere Lois, sagte er oft und lachte. Lois tat so, als wäre sie verärgert darüber, aber sie tat immer nur so; sie sah den Ausdruck in seinen Augen, wenn er es sagte.

An ihrem ersten Weihnachtsmorgen als Mann und Frau (sie waren in Lois’ hübsches kleines Haus gezogen und hatten das weiße Monstrum von Ralph zum Verkauf angeboten), schenkte Lois ihm einen Beaglewelpen. »Magst du sie?« fragte sie zaghaft. »Ich hätte sie fast nicht bekommen. Dear Abby sagt, man soll niemals Tiere verschenken, aber sie sah so süß im Fenster der Tierhandlung aus… und so traurig… wenn du sie nicht magst oder nicht den Rest des Winters damit verbringen willst, einen Welpen stubenrein zu machen, sag es einfach. Wir werden schon jemand -«

»Lois«, sagte er und zog seine Braue, wie er hoffte, so ironisch hoch wie Bill, »du stammelst.«

»Wirklich?«

»Wirklich. Das tust du immer, wenn du nervös bist, aber jetzt kannst du aufhören, nervös zu sein. Ich bin vernarrt in diese Dame.« Und das war nicht übertrieben; er hatte sich fast auf der Stelle in die schwarzbraune Beaglehündin verliebt.

»Wie willst du sie nennen?« fragte Lois. »Schon eine Ahnung?«

»Klar«, sagte Ralph. »Rosalie.«

Die nächsten fünf Jahre waren im großen und ganzen auch für Helen und Nat Deepneau gute Jahre. Sie lebten eine Weile in ärmlichen Verhältnissen an der Fast Side und kamen gerade so mit Helens Gehalt als Bibliothekarin über die Runden, aber mehr auch nicht. Das kleine Cape Cod in der Nähe von Ralphs Haus war verkauft worden, aber der Erlös reichte gerade aus, um offene Rechnungen zu bezahlen. Dann, im Juni 1994, empfing Helen einen warmen Regen von der Versicherung… aber der Regenmacher war in Wirklichkeit John Leydecker.

Die Great Eastem Versicherungsgesellschaft hatte sich zunächst geweigert, Ed Deepneaus Lebensversicherung auszubezahlen, weil er sich selbst das Leben genommen hatte. Nachdem sie eine Zeitlang großes Theater gemacht und die Firmenmuskeln hatten spielen lassen, boten sie schließlich einen anständigen Vergleich an. Dazu wurden sie von einem Pokerkumpel von John Leydecker namens Howard Hayman überredet. Wenn er nicht Lowball, Stud oder Draw-Poker spielte, war Hayman Anwalt, dem es gefiel, Versicherungsgesellschaften zum Frühstück zu verspeisen.

Leydecker hatte Helen im Februar 1994 kennengelernt, war sofort von ihr fasziniert (»Es war nie richtig Liebe«, sagte er später zu Ralph und Lois, »was wahrscheinlich auch gut so war, wenn man bedenkt, wie alles gekommen ist«) und hatte sie Hayman vorgestellt, weil er glaubte, daß die Versicherungsgesellschaft sie übers Ohr hauen wollte. »Er war verrückt, kein Selbstmörder«, sagte Leydecker und blieb noch lange dabei, nachdem Helen ihm den Hut gebracht und ihm die Tür gewiesen hatte.