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Ralph zog Lois in seine Arme und küßte sie innig. »Ich liebe dich von ganzem Herzen«, sagte er. »Vergiß das nicht, Lois.«

»Das weiß ich«, sagte sie ruhig. »Und ich liebe dich. Darum kann ich nicht zulassen, daß du es tust.«

Sie schlang Arme wie Eisenbänder um seinen Hals, und er spürte ihre Brüste an seinem Körper, als sie so tief Luft holte, wie sie nur konnte.

»Geh weg, du elender kleiner Dreckskerl!« schrie sie. »Ich kann dich nicht sehen, aber ich weiß, daß du da bist! Geh weg! Geh weg und laß uns in Ruhe!«

Natalie blieb wie angewurzelt stehen und sah Lois mit großen, überraschten Augen an. Rosalie blieb neben ihr stehen und spitzte die Ohren.

»Geh nicht auf die Straße, Nat!« rief Lois ihr zu. »Geh nicht -« Dann hielten ihre Hände, die sie in Ralphs Nacken verschränkt hatte, plötzlich gar nichts mehr, ihre Arme, die einen unnachgiebigen Klammergriff bildeten, waren leer.

Er hatte sich in Luft aufgelöst.

Atropos sah in die Richtung, aus der der Warnschrei gekommen war, und erblickte Ralph und Lois, die auf der anderen Seite der Harris Avenue standen. Wichtiger, er stellte fest, daß Ralph ihn sehen konnte. Er riß die Augen auf und fletschte die Lippen zu einem haßerfüllten Fauchen. Eine Hand flog zu seinem kahlen Schädel, der unter der Mütze von alten Narben bedeckt war, die er mit seinem eigenen Skalpell zugefügt bekommen hatte - eine instinktive schützende Geste, die fünf Jahre zu spät kam.

[Hol dich der Teufel, Kurzer! Das kleine Biest gehört mir!] Ralph sah Nat, die Lois unsicher und überrascht anblickte. Er hörte, wie Lois ihr zurief, sie sollte nicht auf die Straße gehen. Dann hörte er Lachesis, der ganz in der Nähe sprach. [Kommen Sie herauf, Ralph! Soweit Sie können! Schnell!] Er spürte den Krampf mitten in seinem Kopf, spürte das kurze Schwindelgefühl im Magen, und plötzlich wurde die ganze Welt hell und füllte sich mit Farben. Er spürte halb und sah halb, wie Lois’ Arme und verschränkten Hände an der Stelle in sich zusammenfielen, wo sich sein Körper noch vor einem Augenblick befunden hatte, und dann wich er vor ihr zurück -nein, wurde von ihr weggezogen. Er spürte den Sog einer gewaltigen Strömung und begriff ein wenig verschwommen: Wenn es so etwas wie den Höheren Plan gab, dann hatte er ihn jetzt erreicht und würde bald mit ihm stromabwärts gerissen werden.

Natalie und Rosalie standen direkt vor dem Haus, das sich Ralph einmal mit Bill McGovern geteilt hatte, bevor er es verkauft hatte und in Lois’ Haus gezogen war. Nat sah zweifelnd zu Lois, dann winkte sie. »Alles in Ordnung, Lois -schau, sie ist hier bei mir.« Sie tätschelte Rosalies Kopf. »Ich bring sie sicher rüber, keine Bange.« Als sie auf die Straße trat, rief sie ihrer Mutter zu: »Ich kann meine Baseballmütze nicht finden! Ich glaube, jemand hat sie gestehlt!«

Rosalie stand immer noch auf dem Bürgersteig. Nat drehte sich ungeduldig zu ihr um. »Komm schon, Mädchen!«

Das grüne Auto fuhr auf das Kind zu, aber sehr langsam. Zuerst schien keine Gefahr zu bestehen. Ralph erkannte den Fahrer sofort, und er zweifelte nicht an seinen Sinnen oder glaubte an eine Halluzination. In diesem Augenblick schien es völlig richtig zu sein, daß die allmählich näherkommende Limousine von seinem ehemaligen Zeitungsjungen gefahren wurde.

»Natalie!« schrie Lois. »Natalie, nein!«

Atropos schoß nach vorne und versetzte Rosalie Nr. 2 einen heftigen Schlag.

[Verschwinde, Köter! Los! Bevor ich’s mir anders überlege!]

Atropos hatte einen letzten höhnischen Blick für Ralph übrig, als Rosie kläffte und auf die Straße lief… und vor den Ford, den der sechzehnjährige Pat Sullivan fuhr.

Natalie sah das Auto nicht; sie sah zu Lois, deren Gesicht rot und erschrocken war. Plötzlich fiel Nat ein, daß Lois vielleicht gar nicht wegen Rosie schrie, sondern wegen etwas ganz anderem.

Pat registrierte den laufenden Beagle; das kleine Mädchen sah er nicht. Er schwenkte, um Rosalie auszuweichen, ein Manöver, das damit endete, daß der Ford direkt auf Natalie zufuhr. Ralph konnte zwei ängstliche Gesichter hinter der Windschutzscheibe sehen, als das Auto herumgerissen wurde, und er glaubte, daß Mrs. Sullivan schrie.

Atropos hüpfte auf und ab und schlug sich auf die Schenkel wie ein Seemann, der einen Hornpipe tanzt.

[Jaaaa, Kurzer! Dummer weißhaariger Trottel! Ich hob dir ja gesagt, ich werd’s dir zeigen!]

Helen ließ den Laib Brot, den sie trug, in Zeitlupe fallen. »Natalie, PASS AUUUUUUF!« schrie sie.

Ralph lief los. Wieder hatte er den deutlichen Eindruck, als würde er sich allein kraft seiner Gedanken bewegen. Und als er mit ausgestreckten Händen auf Nat zurannte und das Auto sah, das unmittelbar hinter ihr war, während ihm durch das Leichentuch grelle Sonnenstrahlen in die Augen fielen, verkrampfte er seinen Geist wieder und sank zum letztenmal auf die Ebene der Kurzfristigen zurück.

Er fiel in eine Landschaft, in der abgehackte Schreie ertönten: Der von Helen vermischte sich mit dem von Lois, der sich mit denen der Reifen des Ford vermischte. Und wie der wilde Trieb einer Ranke wand sich der Jubel von Atropos durch alle hindurch. Ralph sah ganz kurz Nats aufgerissene blaue Augen, dann stieß er sie so fest er konnte in Brust und Bauch, so daß sie mit rudernden Händen und Füßen nach hinten flog. Sie landete aufrecht sitzend im Rinnstein und stieß sich den Steiß am Bordstein an, brach sich aber nichts. Von einem fernen Ort hörte Ralph Atropos voller Wut und Fassungslosigkeit kreischen.

Dann wurde Ralph von dem zwei Tonnen schweren Ford getroffen, der immer noch mit zwanzig Meilen pro Stunde fuhr, und die Geräuschkulisse verstummte unvermittelt. Er wurde in einem langsamen, steilen Bogen in die Höhe und nach hinten geschleudert - ihm kam es jedenfalls im Inneren langsam vor -, der Kühlerschmuck des Ford prägte sich in seine Wange ein wie eine Tätowierung, und ein gebrochenes Bein hatte er auch. Er konnte noch seinen Schatten sehen, der wie ein X auf dem Asphalt unter ihm dahinglitt; er konnte noch einen Sprühregen roter Tropfen über sich in der Luft sehen und dachte, Lois müßte doch mehr rote Farbe auf ihn gespritzt haben, als er zunächst angenommen hatte. Und er konnte Natalie sehen, die weinend, aber unversehrt am Straßenrand saß… und Atropos auf dem Bürgersteig hinter ihr spüren, wo er die Fäuste schüttelte und vor Wut tanzte.

Ich glaube, für einen alten Tattergreis hab ich es verdammt gut gemacht, dachte Ralph, aber jetzt würde mir wirklich ein Nickerchen guttun.

Dann landete er mit einem schrecklichen, tödlichen Aufprall auf dem Boden - sein Schädel barst, die Wirbelsäule brach, die Lunge wurde von Knochensplittern durchbohrt, als seine Rippen explodierten, die Leber wurde zu Brei und seine Eingeweide lösten sich und rissen.

Und nichts tat weh.

Überhaupt nichts.

Lois vergaß nie das schreckliche dumpfe Geräusch, das Ralphs Aufprall auf der Harris Avenue begleitete, ebensowenig die Blutspritzer, die er hinterließ, als er, sich überschlagend, zum Stillstand kam. Sie wollte schreien, wagte es aber nicht; eine tiefe, aufrichtige innere Stimme verriet ihr, wenn sie es täte, würde sie durch die Kombination von Schock, Grauen und Sommerhitze das Bewußtsein verlieren und auf den Bürgersteig sinken, und wenn sie zu sich käme, würde Ralph nicht mehr da sein.

Statt zu schreien, lief sie los, verlor einen Schuh und bekam nur am Rande mit, daß Pat Sullivan aus dem Ford ausstieg, der fast genau an derselben Stelle stand, wo Joe Wyzers Auto ebenfalls ein Ford - vor vielen Jahren gestanden hatte, nachdem er Rosalie Nr. 1 überfahren hatte. Sie bekam auch nur am Rande mit, daß Pat schrie.