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«Bewacht«, sagte Arne, der ausnahmsweise einmal nach vorne sah.»Von einem Nachtwächter.«

Aber als der Nachtwächter seinen Dienst angetreten hatte, da war das Geld schon weg gewesen.

«Wie kam es, daß keiner der Stewards im Büro war und das Geld praktisch auf dem Präsentierteller lag?«fragte ich weiter.

Sandvik hob seine in dicken Handschuhen steckenden Hände.

«Das haben wir uns immer wieder gefragt. Es war wohl Zufall. Der Raum kann nur fünf Minuten leer gewesen sein, vielleicht nicht einmal so lange. Es gab keinen besonderen Grund dafür, daß alle gleichzeitig fort waren. Es hatte sich einfach so ergeben.«

Er hatte eine eher hohe Stimme und eine wunderbar deutliche Aussprache, aber sein fast perfektes Englisch unterschied sich doch stark von der heimischen Variante. Ich kam erst nach einiger Zeit dahinter, daß es sein >l< war. Die Briten sprechen das >l< mit in den Rachenraum zurückgebogener Zunge, während die Norweger die Zunge beim >l< gegen die Rückseite der Zähne drücken. Die Beibehaltung des norwegischen >l< verlieh Sandviks Aussprache etwas Leichtes, Trockenes und Klares, so daß alles, was er sagte, logisch und einleuchtend klang.

«An jenem Abend bemerkte niemand, daß das Geld gestohlen worden war, denn alle Stewards gingen, als sie die Taschen nicht mehr sahen, davon aus, daß einer der anderen sie in den Safe eingeschlossen hatte. Das Fehlen des Geldes wurde erst am folgenden Tag entdeckt, als es zur Bank gebracht werden sollte. Und da erfuhren wir natürlich auch von Gunnar Holth, daß Sherman ebenfalls verschwunden war.«

Ich überlegte kurz.»Hat mir Gunnar Holth nicht erzählt, daß Bob Sherman ein- oder zweimal bei Ihnen gewohnt hat?«

«Ja, das stimmt. «Sandvik schürzte kurz die wohlgeformten Lippen.»Zweimal. Glücklicherweise nicht an dem Wochenende, an dem er das Geld mitgehen ließ.«

«Aber Sie mochten ihn?«

«O ja, doch, ich denke schon. Meine Einladung war reine Höflichkeit. Er hatte schon einige siegreiche Pferde für mich geritten, und ich weiß, wie Gunnars Schlafsaal aussieht. «Er deutete ein Grinsen an.»Wie auch immer, er kam zu uns. Aber abgesehen von den Pferden hatten wir nur wenige gemeinsame Interessen, und ich glaube, letztlich war es ihm doch lieber, wenn er bei Gunnar wohnen konnte.«

«Hätten Sie ihm zugetraut, daß er stiehlt?«

«Niemals. Ich meine, warum sollte ich? Aber ich kannte ihn auch nicht sehr gut.«

Arne konnte die Nähe der vielen Menschen auf den Tribünen nicht ertragen, weshalb wir uns das erste Rennen — ein Hürdenrennen — von einer kleinen Erhöhung unmittelbar hinter dem Ziel aus ansahen. Die Rennbahn, die den flachen Grund eines Tales einnahm, war auf allen Seiten von Hügeln umgeben, auf denen Fichten und Birken wuchsen, junge Bäume, die in den Himmel aufstrebten, als sei das Zeitalter der Gotik wieder lebendig geworden. Die schlanken, dunklen Nadelbäume und die silbrigen Stämme und gelb verfärbten Blätter der Birken bildeten endlose vertikale Streifen, und im Hintergrund trieben unregelmäßig große Fetzen niedriger Nebelwolken über den Himmel.

Das Licht war kalt und grau, die Luft kalt und feucht, die Stimmung der Zuschauer jedoch sonnig und mediterran. Der Favorit, der von einem englischen Jockey geritten wurde, gewann das Rennen, und die Menge spendete zustimmenden Beifall.

Es sei an der Zeit, sagte Sandvik, den Vorsitzenden der Rennbahn aufzusuchen, der uns nicht eher hatte empfangen können, weil er mit einem Botschafter zu Mittag essen mußte. Wir gingen in das neben der Haupttribüne gelegene Sekretariatsgebäude, stiegen eine Treppe hinauf, neben der Kunstdrucke an der Wand hingen, und betraten dann einen großen Raum, in dem nicht nur der Vorsitzende anwesend war, sondern — zu seiner Unterstützung — auch noch fünf Stewards. Per Bj0rn Sandvik trat zuerst ein, dann ich, gefolgt von Arne, der seine Kapuze zurückschob — und der Vorsitzende schaute nach wie vor zur Tür und wartete wohl noch immer darauf, daß auch ich in Erscheinung treten würde. Ich habe mich manchmal gefragt, ob es meine Situation verbessern würde, wenn ich fett wäre, eine Glatze hätte und eine Brille trüge, das heißt, ob ein vorzeitiges Altern ein höheres Maß an Vertrauen und Glaubwürdigkeit mit sich bringen würde als meine dünne, einsachtzig große, braunhaarige Gestalt. Ich hatte so einiges an Leben hinter mich gebracht, aber das hatte einfach keine sichtbaren Spuren hinterlassen.

«Das ist Mr. David Cleveland«, sagte Sandvik, und in einer ganzen Reihe von Augenpaaren spiegelte sich dieselbe Enttäuschung wider.

«Guten Tag«, murmelte ich in Richtung des Vorsitzenden und streckte ihm zur Begrüßung die Hand hin.

«Ahäm. «Er räusperte sich und erholte sich mannhaft.

«Freue mich, daß Sie gekommen sind.«

Ich machte ein paar ermunternde Bemerkungen des Inhalts, wie schön ich es in Norwegen fände, wobei ich mich fragte, ob einer der versammelten Herren wußte, daß Napoleon schon mit vierundzwanzig Jahren zum General befördert worden war.

Der Rennbahn-Vorsitzende, Lars Baltzersen, war den Briefen, die er an mein Büro geschrieben hatte, sehr ähnlich — kurz, höflich und präzise. Er brauchte etwa zehn Sekunden, um zu dem Schluß zu kommen, daß man mir den Job wohl nicht gegeben hätte, wenn ich unfähig gewesen wäre, und ich hielt es nicht für notwendig, ihm zu erzählen, daß mein Chef vor achtzehn Monaten ganz plötzlich verstorben und der Nachfolger sehr viel früher als eigentlich beabsichtigt ans Ruder gekommen war.

«Sie klingen am Telefon älter«, sagte er schlicht, und ich erwiderte, daß andere das auch schon festgestellt hätten, womit die Sache erledigt war.

«Sehen Sie sich auf der Rennbahn um, wo Sie wollen«, sagte er.

«Und hören Sie sich um. Arne kann ja für diejenigen, die kein Englisch sprechen, dolmetschen.«

«Danke.«

«Brauchen Sie sonst noch etwas?«

Zweites Gesicht, dachte ich, sagte aber:»Wenn es sich einrichten ließe, würde ich Sie hinterher gern noch einmal sprechen.«

«Selbstverständlich, selbstverständlich. Wir möchten ja auch alle erfahren, was für Fortschritte Sie gemacht haben. Nach dem letzten Rennen treffen wir uns alle hier.«

Köpfe nickten voller Zweifel, und ich selber rechnete durchaus damit, daß ich ihre geringen Erwartungen rechtfertigen würde. Instruiert, gelangweilt oder bloß beschäftigt, entfernten sich alle, und nur Arne und der Vorsitzende blieben zurück.

«Ein Bier?«fragte Baltzersen.

Arne sagte ja, ich nein. Trotz der Wärme, die einem mächtigen Kachelofen entströmte, war es mir für das Hopfengetränk ein wenig zu kalt.

«Wie weit ist es bis zur schwedischen Grenze?«erkundigte ich mich.

«Etwas über achtzig Kilometer«, sagte Baltzersen.

«Irgendwelche Formalitäten?«

Er schüttelte den Kopf.»Nicht für Skandinavier, die mit dem eigenen Auto unterwegs sind. Die Paß- und Zollkontrolle macht nur Stichproben. Aber keiner der Grenzposten kann sich erinnern, an jenem Abend einen Engländer die Grenze passieren gesehen zu haben.«

«Ich weiß. Nicht einmal als Mitfahrer in einem norwegischen

Auto. Wäre er bemerkt worden, wenn er sich hinter die

Vordersitze gehockt und unter einer Decke versteckt hätte?«

Sie überlegten.»Höchstwahrscheinlich nicht«, sagte Baltzersen, und Arne pflichtete ihm bei.

«Fällt Ihnen irgend jemand ein, der ihn vielleicht

rübergefahren haben könnte? Irgend jemand, zu dem er in engerer Beziehung stand, sei es geschäftlich oder freundschaftlich?«

«Dazu kenne ich ihn nicht gut genug«, antwortete der

Vorsitzende bedauernd, und Arne blinzelte ein wenig und sagte dann, ihm fielen da nur Gunnar Holth und ein paar der Burschen ein, die für ihn arbeiteten.

«Holth meinte, er hätte ihn immer nur zu den Rennen mitgenommen«, sagte ich — aber er hätte vor Emmas Anruf Zeit genug gehabt, nach Schweden zu fahren und wieder zurück.