das Geld gestohlen hätte, nicht in der Lage gewesen wäre, es auch fortzuschaffen. Aber mal angenommen, er hat es versteckt und ist später wiedergekommen, um es zu holen?«
«Dann hätte er immer noch das Transportproblem lösen und außerdem mit dem Nachtwächter fertig werden müssen. Nein. ich glaube, wenn er das Geld gestohlen und versteckt hätte, dann wäre er nicht zurückgekommen, um es zu holen, sondern er hätte es dagelassen, wo es war. Die Vernunft hätte gesiegt. Denn im Zusammenhang mit diesem Geld gibt es ja auch noch andere Faktoren. zum Beispieclass="underline" Für Sie alle ist das eine vertraute Sache. Es ist Geld. Für Bob Sherman jedoch ist es eine ausländische Währung. Alle britischen Jockeys haben so schon Probleme genug, Fremdwährungen eingetauscht zu bekommen. sie würden sich nicht so leicht auf Taschen voller Geld stürzen, das sie nicht problemlos ausgeben können. Und vergessen Sie nicht: Vorwiegend waren es Münzen, die ein großes Gewicht haben und in großen Mengen noch schwerer zu wechseln sind als Scheine, vor allem außerhalb Norwegens.«
Per Bj0rn Sandvik betrachtete eingehend den Fußboden und sah wieder milde aus. Arne hatte seine Lider gestoppt und hielt jetzt die Augen geschlossen. Rolf Torp paffte erregt seine Zigarre, und Lars Baltzersen machte einen unglücklichen Eindruck.
«Aber damit ist noch nicht erklärt, warum Sie der Ansicht sind, daß Sherman tot ist«, sagte er.
«Bis heute hat niemand eine Spur von ihm gefunden. es gibt nicht einmal jemanden, der auch nur glaubt, er könnte ihn gesehen haben. Es liegen keine Meldungen von außerhalb vor. Seine schwangere Frau hat keine beruhigende Nachricht von ihm erhalten. Das alles ist für den Fall eines flüchtigen Diebes sehr ungewöhnlich, paßt aber haargenau auf einen Mann, der nicht mehr am Leben ist.«
Baltzersen biß sich auf die Unterlippe.
Ich sagte:»Im allgemeinen ist es leicht, das plötzliche
Verschwinden eines Menschen zu erklären. während der Ermittlungen tritt sein Motiv ziemlich deutlich zutage. In Bob Shermans Leben scheint es jedoch nichts zu geben, was ihn zu einer spontanen, endgültigen Flucht hätte treiben können. Es würde doch niemand eine erfolgreiche Karriere gegen eine in ihrer Höhe zwar nicht bekannte, aber kaum riesengroße Summe einer fremden Währung eintauschen, es sei denn, er wäre durch irgend etwas anderes dazu gezwungen worden. Doch weder Ihre noch die britische Polizei, weder seine Frau noch Arne Kristiansen noch ich haben irgendeinen Hinweis — und sei er noch so schwach oder unwahrscheinlich — darauf gefunden, daß solch ein zwingendes Motiv vorgelegen haben könnte.«
Arne öffnete die Augen und schüttelte den Kopf.
«Mal angenommen«, sagte ich,»ein anderer hat das Geld gestohlen, und Sherman hat ihn dabei beobachtet.«
Die Stewards und Funktionäre blickten erschrocken und äußerst finster drein. Man mußte ihnen nicht sagen, daß jemand, der auf frischer Tat ertappt wurde, möglicherweise zuviel zu verlieren hatte — und von da war es nur ein kleiner Schritt, sich einen Dieb vorzustellen, der verzweifelt genug gewesen war, Bob Sherman zu töten und ihn damit zum Schweigen zu bringen.
«Mord?«Baltzersen sprach das Wort so langsam aus, als ob es ihm fremd sei.»Ist es das, was Sie meinen?«
«Es ist eine Möglichkeit.«
«Aber nicht sicher.«
«Wenn es irgendwelche eindeutigen Hinweise auf einen Mord gäbe, hätte Ihre Polizei sie längst gefunden. Es herrscht jedoch keinerlei Gewißheit, und wenn es keine Antwort auf die Fragen gibt, wohin, warum und wie er geflohen ist, dann muß man wohl, wie ich meine, auch die Frage stellen, ob er überhaupt verschwunden ist.«
Baltzersens angespannte Stimme entsprach dem
Gesichtsausdruck der anderen — niemand wollte, daß ich recht hatte.»Sie glauben doch nicht wirklich, daß er noch hier auf der Rennbahn ist?«
Rolf Torp schüttelte ungeduldig den Kopf. Er war in seiner Art genau das Gegenteil des Vorsitzenden, er war so leicht erregbar wie jener ausgeglichen.
«Selbstverständlich ist er das nicht. Auf dem Platz sind jeden Tag Leute, die ihre Pferde bewegen, und seit Shermans Verschwinden haben bereits acht weitere Meetings stattgefunden. Wenn sich seine Leiche hier befände, wäre sie sofort gefunden worden.«
Köpfe nickten in einmütiger Zustimmung, und Baltzersen sagte widerstrebend:»Ich nehme an, er hätte auch bewußtlos oder tot von hier fortgebracht und woanders versteckt. begraben. werden können.«
«In Norwegen gibt es viele tiefe Wasser«, sagte ich.
Meine Gedanken wanderten zurück zu unserer kleinen >Dienstreise< hinaus auf den Fjord, und mir entging, wer von den Anwesenden eine blitzschnelle Reaktion zeigte. Ich wußte zwar, daß sich jemand gerührt hatte, aber weil ich kurz unaufmerksam gewesen war, vermochte ich nicht zu sagen, wer es gewesen war. Dummkopf, dachte ich, da ruckt die Leine, und du kriegst nicht mit, welcher Fisch dran war. Selbst die Gewißheit, daß es einen Fisch gab, konnte mich nicht trösten.
Das Schweigen dauerte an, bis schließlich Per Bj0rn Sandvik mit nachdenklich gerunzelter Stirn wieder aufblickte.»Es hat also ganz den Anschein, als wäre niemand in der Lage, bis zur Wahrheit vorzudringen. Ich halte Davids Theorie für sehr einleuchtend. Sie paßt besser als alle zuvor erörterten Erklärungen zu den Fakten. oder besser: zu dem Mangel an Fakten.«
Die Köpfe nickten.
«Wir werden unserer Polizei mitteilen, was Sie uns nahegelegt haben«, sagte Baltzersen in einem Schließen-wir-die-Sitzung-Tonfall,»aber ich stimme Per zu. nach so langer Zeit und soviel vergeblicher Ermittlungsarbeit werden wir wohl nie genau erfahren, was aus Sherman oder dem Geld geworden ist. Wir alle sind Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich die Mühe gemacht haben und herübergekommen sind, und ich weiß, daß für die meisten von uns bei genauerem Nachdenken Ihre Lösung des Rätsels die wahrscheinlichste ist.«
Man lächelte mich verhalten und besorgt an, und einige nickten wieder mit den Köpfen. Ralf Torp drückte energisch seine Zigarre aus, und alle rutschten auf ihren Stühlen herum und warteten darauf, daß sich Baltzersen endlich erhob.
Ich dachte an die beiden anmutigen Schwäne und an die zwei kleinen schwarzweißen Enten, die dort draußen auf der dunklen Seite des Turms still und friedlich herumschwammen.
«Sie könnten es mal mit dem Teich versuchen«, sagte ich. Die Versammlung löste sich eine halbe Stunde später auf, nachdem man sich mit einem gewissen Entsetzen geeinigt hatte, das kleine, friedliche Gewässer am folgenden Morgen absuchen zu lassen.
Arne mußte sich noch um ein paar Sicherheitsangelegenheiten kümmern und erledigte das mit gewissenhaftester Langsamkeit. Ich wanderte derweil ziellos umher und lauschte den auf norwegisch geführten Unterhaltungen der aufbrechenden Rennplatzbesucher. Eine gute Stunde nach dem letzten Rennen brannten noch immer ein paar Lichter, waren noch immer einige Leute da. Nicht gerade der abgeschiedenste Ort, um einen Mord zu begehen.
Ich ging in Richtung Wiegeraum zurück und blieb auf dem Rasen neben dem Gebüsch aus Ziersträuchern stehen. Nun ja. es war dicht genug, um dort eine Leiche solange zu verstecken, bis alle gegangen waren. Einen Jockey, seine Reisetasche und fünf Segeltuchtaschen mit gestohlenem Geld. Für das alles war zwischen den Sträuchern ausreichend Platz. Am Eingang des Wiegeraums brannten zwar ein paar Lampen, aber die Büsche warfen dunkle Schatten, und man konnte nicht sehen, was unter ihnen war.
Arne stieß dort zu mir und rief mit leidenschaftlicher Gewißheit aus:»Da kann er nicht sein! Da hätte ihn schon längst jemand gefunden.«
«Und gerochen«, sagte ich.
Arne gab einen würgenden Laut von sich und dann:»Mein Gott!«
Ich wandte mich von den Büschen ab.»Bist du fertig?«
Er nickte. Die eine Hälfte seines Gesichts war hell beleuchtet, die andere lag im Schatten.»Der Nachtwächter ist da, und alles hat seine Ordnung. Er wird dafür sorgen, daß alle Tore über Nacht zugesperrt sind. Wir können nach Hause fahren.«