Im unteren Teil des Geläufs waren Gunnar Holth und ein paar andere mit ihren Rennpferden bei der Morgenarbeit, der obere Teil jenseits des Zielpfostens war jedoch vorübergehend abgesperrt worden.
Mehr vor Depression als vor Kälte zitternd, saß ich zusammen mit Lars Baltzersen im Turm und sah zu, wie unten der Teich abgesucht wurde. Mit den Händen in den Taschen und hochgezogenen Schultern sahen Arne und zwei Polizisten mit tropfenden Mützen vom Ufer aus verdrossen zu dem kleinen Boot hinüber, das langsam und systematisch zwischen den Ufern hin und her glitt.
Der Teich war mehr oder weniger rund, hatte einen Durchmesser von ungefähr dreißig Metern und war anscheinend etwa einsachtzig tief. In dem Boot befanden sich zwei Polizisten mit Greifhaken und dazu noch ein dritter, der einen Taucheranzug anhatte und das Rudern besorgte. Er trug Flossen, Taucherkappe und — brille und hatte sich schon zweimal, mit einer Unterwasserlampe bewehrt, über die Seitenwand des Bootes fallen lassen, um nachzusehen, worauf die Greifhaken gestoßen waren. Beide Male hatte er nach dem Wiederauftauchen nur den Kopf geschüttelt.
Die Schwäne und die schwarzweißen Enten schwammen erregt im Kreis. Das Wasser wurde immer trüber. Das Boot
absolvierte langsam seine zehnte Teichüberquerung, als Lars Baltzersen düster murmelte:»Die Polizei hält das für Zeitverschwendung.«
«Und trotzdem«, erwiderte ich,»ist sie gekommen.«
«Natürlich, ist doch ihre Pflicht.«
«Natürlich.«
Wir sahen weiter schweigend zu.
Ein Haken blieb hängen. Der Taucher glitt seitlich über Bord und blieb eine ganze Minute unten, bevor er wieder auftauchte, den Kopf schüttelte und von den anderen zurück ins Boot gehievt wurde. Erneut nahm er die Ruder zur Hand und legte sich in die Riemen. Auf beiden Seiten des Bootes stießen die Polizisten ihre Stangen mit den Haken wieder ins Wasser und zogen sie langsam über den Boden des Teiches.
«Sie hatten eigentlich vor, den Teich abzulassen«, sagte Lars Baltzersen.»Aber das hätte große technische Probleme mit sich gebracht, denn dort sickert Wasser vom gesamten oberen Teil der Rennbahn hinein. Sie haben sich deshalb für das Absuchen entschieden.«
«Und das machen sie hinreichend gründlich«, sagte ich.
Er sah mich ernst an.»Sie werden also, sollte die Polizei Sherman nicht finden, akzeptieren, daß er nicht dort ist?«
«Ja«, antwortete ich.
Er nickte.»Das ist vernünftig.«
Wir sahen eine weitere Stunde lang zu. Der Taucher unternahm noch zwei Unterwasserausflüge, kam aber jedesmal mit leeren Händen wieder hoch. Das Boot beendete seine Fahrt, ohne auch nur einen Zentimeter des Teichs ausgelassen zu haben. Es war keine Leiche da. Bob Sherman lag nicht im Teich.
Neben mir stand Baltzersen steifbeinig auf und streckte sich, wobei sein Stuhl laut über die Dielenbretter schurrte.
«Das war’s dann also«, sagte er.
«Ja.«
Ich erhob mich ebenfalls und folgte ihm über die Außentreppe nach unten. Dort trafen wir auf Arne und den leitenden Beamten dieser Operation.
«Da ist niemand drin«, sagte dieser auf englisch zu mir, und sein Tonfall ließ anklingen, daß ihn das nicht überraschte.
«Nein, aber ich möchte Ihnen dafür danken, daß Sie es festgestellt haben.«
Er unterhielt sich noch eine Weile auf norwegisch mit Arne und Baltzersen, bis Baltzersen zum Teich ging, um den Leuten im Boot persönlich zu danken. Sie nickten, lächelten, zuckten die Achseln und machten sich dann daran, das Boot auf einen Anhänger zu verladen.
«Sei nicht traurig, David«, sagte Arne mitfühlend.»Die Idee war gut.«
«Wieder eine Theorie geplatzt«, pflichtete ich ihm philosophisch bei.»Und es wird wohl nicht die letzte sein.«
«Willst du weitersuchen?«
Ich schüttelte den Kopf. Die Fjorde waren zu tief. Im Büro des Vorsitzenden hatte jemand sehr deutlich auf meine Erwähnung des Wassers reagiert, und wenn sich Bob Sherman nicht im Teich befand, dann irgendwo, wo es genauso naß war.
Baltzersen, Arne, der Einsatzleiter der Polizei und ich stapften über die Rennbahn zurück zum Sattelplatz und von dort aus weiter zum Parkplatz neben dem Haupteingang. Baltzersen sah mit gerunzelter Stirn auf die Unmengen weggeworfener, überall verstreuter Eintrittskarten und Wettscheine und sagte etwas zu Arne, der auf norwegisch antwortete und dies dann ins Englische übersetzte.
«Der Manager dachte, es sei besser, wenn die Leute von der Müllabfuhr nicht sehen, daß die Polizei den Teich absucht. Nur für den Fall. Wie auch immer, sie kommen morgen.«
Baltzersen nickte. Er hatte sich den Vormittag freigenommen, sein Holzgeschäft sich selbst überlassen — und sah jetzt ganz so aus, als bereute er es.
«Es tut mir leid«, sagte ich,»daß ich Ihnen Ihre Zeit gestohlen habe.«
Mit einer leichten Bewegung seines Kopfes deutete er an, daß mir mehr oder weniger verziehen sei. Der anhaltende Nieselregen ließ eine herzlichere Äußerung nicht zu.
Wir gingen schweigend an den Tribünen, dem kleinen Zierteich (zu flach!) und dem Sekretariat vorbei und hörten das Kind wahrscheinlich nur, weil das Knirschen unserer Schritte das einzige Geräusch war.
Der kleine Junge stand in einer Ecke des Totohäuschens und weinte. Er war ungefähr sechs Jahre alt, bis auf die Haut naß, und das Haar klebte ihm in ganz unglücklich aussehenden, spitzigen Fransen an der Stirn. Der Polizeibeamte sah zu ihm hinüber, winkte und sagte mit recht freundlicher Stimme so etwas wie
«Komm doch mal her.«
Der Junge rührte sich nicht, sagte aber etwas, was meine drei Begleiter abrupt stehenbleiben ließ. Sie sahen im wahrsten Sinne des Wortes vor Schreck erstarrt aus, so, als ob alle ihre Reflexe nicht mehr funktionierten. Ihre Gesichter wirkten absolut leer.
«Was hat er gesagt?«fragte ich.
Der Junge wiederholte seine Mitteilung, was den Schock meiner Begleiter womöglich noch vergrößerte.
Baltzersen öffnete schließlich mit sichtbarer Anstrengung den Mund und übersetzte:
«Er hat gesagt: >Ich hab da eine Hand gefunden.««
Als wir uns dem Kind näherten, war es völlig verängstigt und blickte auf der Suche nach einem Fluchtweg mit großen Augen wild um sich. Wieder sprach der Polizist zu dem Jungen, und was immer er sagte, es wirkte beruhigend auf ihn, und als wir bei ihm ankamen, stand er einfach nur so da, naß, verschreckt und zitternd.
Der Polizeibeamte kauerte sich neben ihn, und die beiden fingen eine lange, ruhig geführte Unterhaltung an. Schließlich streckte der Beamte die Hand aus, das Kind ergriff sie, und dann stand der Polizist auf und berichtete uns auf englisch, was er von dem Jungen erfahren hatte.
«Der Kleine ist hergekommen, um nach Geld zu suchen. Die Zuschauer verlieren oft Münzen oder Scheine, vor allem in der Dunkelheit. Er sagt, er zwängt sich immer durch ein Loch im Zaun, um nach Geld zu suchen, bevor die Müllabfuhr kommt. Er meint, er findet immer was. Heute morgen, sagt er, hat er zwanzig Kronen gefunden, bevor die Männer gekommen sind. Er meint, bevor die Polizei gekommen ist. Er hat sich versteckt, weil er ja eigentlich gar nicht hier sein darf. Er hat sich dort drüben hinter der Tribüne versteckt. «Der Polizist deutete mit dem Kopf in die Richtung.»Er sagt, daß er hinter der Tribüne eine Hand auf dem Boden gefunden hat.«
Der Einsatzleiter sah auf das Kind hinab, das sich an seine Hand klammerte wie an eine Rettungsleine, und bat dann Arne, zu seinen Männern zu gehen, die ihr Gerät bereits verstaut hatten und im Begriff waren, den Platz zu verlassen. Er möge ihnen bitte sagen, daß sie schnellstens kommen sollten. Arne warf dem Kind einen gequälten Blick zu und kam der Bitte nach, während Baltzersen langsam zu seiner geschäftsmäßigen Effizienz zurückfand.
Der Einsatzleiter hatte einige Schwierigkeiten, das Zutrauen des Jungen auf einen seiner Leute zu übertragen, vermochte sich schließlich aber doch loszumachen. Daraufhin ging er mit zweien seiner Männer sowie Baltzersen, Arne und mir zur Rückseite der bezeichneten Tribüne, um sich die Hand anzusehen, die dort auf der Erde liegen sollte.