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Arne dachte nach.»Ah, ja!«Er blinzelte ein bißchen.»Vielleicht hat ihn ein Freund gefahren.«

«Wirf den Motor an«, ermunterte ich ihn.

Achselzuckend und kopfschüttelnd wandte er sich dem Außenbordmotor zu und drückte die entsprechenden Knöpfe.

Ich hatte halb erwartet, daß sich der Motor als ebenso leblos wie meine Finger erweisen würde, aber der Funke traf auf das Gas, wie es sich gehörte, und Arne peilte nun heißen Kaffee und wärmende Heizungen an.

Das Dinghi klatschte behende auf den kleinen Wellen dahin, und der Seitenwind sprühte mir Gischt auf die linke Wange. Ich schlug meinen Jackenkragen hoch und zog den Kopf wie eine Schildkröte ein.

Arnes Mund bewegte sich, aber bei dem Tosen der Wellen, dem Motorenlärm und dem Rascheln der Jacke an meinen Ohren konnte ich kein Wort verstehen.

«Was?«brüllte ich.

Er wiederholte, was immer er gesagt hatte, jetzt etwas lauter. Ich schnappte trotzdem nur Wortfetzen wie» undankbares Schwein «und» elender Dieb «auf und dachte mir, daß sie wohl seine Ansichten über den britischen Steeplechase-Jockey Bob Sherman wiedergaben. Arne Kristiansen hatte harte Zeiten durchlebt, seit sich ebendieser Bob Sherman mit den Tageseinnahmen durch das Drehkreuz der Rennbahn von 0vrevoll davongemacht hatte, denn Arne war nicht nur der amtlich bestellte Ermittler des norwegischen Jockey Club, sondern auch für die Sicherheit auf den Rennbahnen verantwortlich.

Der Diebstahl war, wie er mich hatte wissen lassen, als wir auf den Fjord hinaustuckerten, eine Beleidigung nicht nur seiner Person, sondern auch Norwegens. Ausländische Besucher sollten im Gastland nicht stehlen. Die Norweger seien keine Kriminellen, sagte er und führte als Beweis statistische Angaben wie etwa die Gefängnisstrafen pro eine Million Einwohner an. Wenn sich Briten in Norwegen aufhielten, so Arne, dann sollten sie sich nicht als Langfinger betätigen.

Aus Mitgefühl unterließ ich es, ihn auf die Raubzüge aufmerksam zu machen, die seine Landsleute nach Britannien unternommen hatten — schließlich lagen die ja auch tausend Jahre oder so zurück, und die modernen Wikinger fotografierten wohl eher friedlich den Buckingham Palace, als daß sie brandschatzten, vergewaltigten, raubten und plünderten. Hinzu kam, daß ich mich als Brite durchaus ein wenig für Bob Sherman schämte — so hatte ich mich doch tatsächlich für sein Verhalten entschuldigt.

Arne war immer noch nicht fertig — bei diesem Thema brauchte er unglücklicherweise niemanden, der ihm die Stichworte lieferte. Aussprüche wie» Er hat mich in eine ganz unmögliche Lage gebracht!«gingen ihm von den Lippen, als hätte er sie wochenlang geübt — was er, wenn man genau darüber nachdachte, ja auch getan hatte. Seit dem Diebstahl waren immerhin drei Wochen und vier Tage vergangen. Vor achtundvierzig Stunden hatte mich der Vorsitzende der Rennbahn angerufen und gebeten, einen Ermittler des Jockey Club herüberzuschicken, der ihnen bei der Untersuchung helfen sollte. Ich hatte (wie man schon erraten haben wird) mich selbst geschickt.

Bislang hatte ich weder den Vorsitzenden der Rennbahn kennengelernt noch die Rennbahn zu Gesicht bekommen und war überhaupt noch nie zuvor in Norwegen gewesen. Ich hatte Arne auf den Fjord hinausbegleitet, weil Arne der einzige Mensch war, den ich hier kannte.

Vor drei Jahren war Arnes Haar, das jetzt sorgsam unter der gefütterten roten Kappe verborgen war, hellblond gewesen, mit einem Graustich an den Schläfen. Seine Augen waren von einem so strahlenden Blau wie eh und je, die Fältchen nicht tiefer geworden, nur die Tränensäcke sahen sehr viel schwerer aus. Die Gischt wehte auf eine Haut, die wettergegerbt, aber nicht sonnenverbrannt war — eine dick aussehende, unempfindliche, gelblich-weiße Haut, die vierzig Winter oder mehr höckrig und narbig gemacht hatten.

Er stieß noch immer kurze, gekränkte, nur halb zu verstehende

Monologfetzen hervor. Ich gab es auf, ihm zuzuhören. Es war zu kalt.

Abrupt brach er ab und sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf einen fernen Punkt irgendwo hinter meiner linken Schulter. Ich drehte mich um. Eine große Motorjacht kam nicht weit von uns entfernt mit hoher Geschwindigkeit quer durch den Fjord auf uns zu, und an ihren Seiten hob sich die Bugwelle zu schweren Silberflügeln.

Ich drehte mich wieder zu Arne um. Er zuckte die Achseln, zeigte kein Interesse. Ausgerechnet in diesem Augenblick entschied sich der Außenbordmotor zu stottern, zu husten und dann abgewürgt zu verstummen.

«Verdammt«, sagte Arne laut, und das war nichts im Vergleich zu dem, was ich dachte.

«Die Leute da werden uns helfen«, verkündete er, deutete auf das herannahende Motorboot und stand ohne zu zögern auf, spreizte die Beine und machte mit seinen scharlachroten Armen weitausholende, winkende Bewegungen.

Ich drehte mich auf meiner Bank und beobachtete die Motorjacht, die schnell näher kam.

«Die werden uns an Bord nehmen«, sagte Arne. Die Motorjacht schien ihre Geschwindigkeit nicht drosseln zu wollen. Ich konnte jetzt den glänzenden schwarzen Rumpf und den scharfen, das Wasser durchschneidenden Bug genau erkennen; die Silberflügel der Bugwelle wirkten so hoch und schwer wie zuvor.

Wenn nicht sogar noch höher und noch schwerer.

Ich wandte mich mit einem ersten Anflug von Besorgnis zu Arne um.

«Die sehen uns nicht«, sagte ich.

«Das müssen sie aber«, erwiderte Arne. Er winkte jetzt heftiger, was unser Dinghi gefährlich ins Schaukeln brachte.

«He!«Arne rief zur Motorjacht hinüber, dann schrie er sie an — auf norwegisch.

Der Wind wehte seine Worte davon. Der Mann am Steuer des Motorbootes hörte und sah nichts. Der scharfe, harte, glänzende schwarze Bug raste mit einer Geschwindigkeit von vierzig Knoten direkt auf uns zu.

«Spring!«schrie Arne, und er sprang. Ein scharlachroter Blitz, der ins Wasser fuhr.

Ich war nicht so schnell, dachte vielleicht, daß das Unvorstellbare nicht geschehen, daß die Bugwelle unser Dinghi zur Seite drücken werde, wie sie etwa einen Schwan zur Seite gedrückt hätte, glaubte, unser zerbrechliches kleines Boot könne so leicht beiseite geschoben werden wie ein Vogel.

Etwa eine Sekunde, bevor der Bug den Fiberglasrumpf wie eine Eierschale zerschlug, ließ ich mich über die Seitenwand ins Wasser plumpsen. Irgend etwas versetzte mir einen gewaltigen Schlag auf die Schulter, und ich ging, nach dem Schock des Eintauchens in das kalte Wasser noch nach Luft schnappend, in einer brüllenden, tobenden Dunkelheit unter.

Menschen, die über Bord gehen, kommen ebensooft durch die Schiffsschrauben ums Leben wie durch Ertrinken, was mir aber erst einfiel, als sich die Doppelschraube schon an mir vorbeigewühlt und mich nicht zerhackt hatte. Ich kam prustend und nach Luft ringend im wild schäumenden Kielwasser der Motorjacht, die unbekümmert den Fjord hinunterraste, wieder hoch.

«Arne!«rief ich, was ungefähr so sinnvoll war wie in der Themse nach Diamanten zu baggern. Eine Welle schlug mir in den offenen Mund, und ich schluckte ein doppeltes Salzwasser pur.

Die See schien in Augenhöhe sehr viel rauher zu sein als von oben gesehen. Ich strampelte in hohen, kabbeligen Wellen mit krausen weißen Kronen herum, deren Schaum mir in die Augen geblasen wurde, und rief immer wieder nach Arne. Schrie seinen Namen mit wachsender Sorge um ihn und aus Angst um mich selbst — aber der Wind riß die Schreie fort und schlug sie in Stücke.

Vom Dinghi keine Spur. Mein letzter Eindruck war gewesen, daß die Motorjacht das kleine Boot säuberlich in zwei Hälften zerschnitten hatte, die jetzt zweifellos langsam kreiselnd auf den weit entfernten Meeresboden hinabsanken.

Diese Vorstellung ließ mich genauso schaudern wie die Kälte.

Von Arne war nirgends etwas zu entdecken. Kein rotbemützter Kopf, keine roten, winkenden Arme, kein fröhliches Lächeln, das mir gesagt hätte, wie pudelwohl er sich im Wasser fühlte, und daß Sicherheit und warme Muffins hier entlang, genau hier, zu finden seien.