Wir erreichten pünktlich unser Flugzeug. Sie starrte während des ganzen Fluges aus dem Fenster, und immer wieder liefen ihr Tränen der Erschöpfung über die Wangen.
Ihr Großvater, den wir von Oslo aus verständigt hatten, holte sie in Heathrow ab, ein großer, hagerer und freundlicher Mann. Er beugte sich zu ihr hinunter, begrüßte sie mit einem Kuß auf die Stirn und tätschelte sie liebevoll. Ihre Eltern waren, wie sie mir erzählt hatte, gestorben, als sie noch zur Schule ging, und sie und ein Bruder waren zwischen Verwandten hin und her gependelt. Den verwitweten Vater ihrer Mutter mochte sie von allen am liebsten, und so war ihr auch an seinem Beistand am meisten gelegen.
Er gab mir die Hand.
«Ich werde mich um sie kümmern«, sagte er.
Er war ein netter Mann und sah aus wie ein Gelehrter. Ich gab ihm meine Privatanschrift und Telefonnummer für den Fall, daß Emma jemanden brauchte, der als Insider etwas wirkungsvoller Dampf machen konnte, wenn es mit der offiziellen Hilfe nicht so recht klappen wollte.
Kapitel 7
Am Dienstagmorgen verbrachte ich die Zeit zwischen neun und zehn Uhr im Büro und stellte fest, daß alle in meiner Abwesenheit großartig zurechtgekommen waren und dies zweifellos auch weiterhin tun würden, selbst wenn ich gänzlich verschwände. Auf meinem Schreibtisch lagen sorgfältig ausgearbeitete Berichte über abgeschlossene Untersuchungen — der Mann, den wir verdächtigt hatten, einen in die Zucht genommenen, hochklassigen Steepler, als Jagdpferd getarnt, bei einem Geländejagdrennen laufen gelassen zu haben, hatte dies tatsächlich getan, so daß ihn jetzt ein Betrugsverfahren erwartete, und bei einem Anwärter auf die Trainerlizenz war festgestellt worden, daß seine Trainingseinrichtungen in den Midlands gänzlich unzureichend waren.
Nichts Haarsträubendes. Nichts, das mit beschwerten Leichen in den Teichen Norwegens vergleichbar gewesen wäre.
Den Rest des Tages füllten Gespräche mit zwei Kollegen von der New York Racing Commission, die herübergekommen waren, um die Möglichkeiten eines weltweiten Ermittlungsnetzes für den Pferderennsport (nach Art der Interpol) zu erörtern. Das war Teil einer ganzen Serie von Gesprächen, die ich mit Funktionären aus vielen Ländern geführt hatte, und es sah so aus, als schleppte sich die Idee langsam und schwankend ihrer Verwirklichung entgegen. Wie üblich schien auch hier das Haupthindernis auf dem Weg zu schnellen Fortschritten meine scheinbare Jugend zu sein — ich war inzwischen überzeugt, daß alle zu dem, was ich zu sagen hatte, erst dann zustimmend nicken würden, wenn ich sechzig und mir die Puste ausgegangen war.
Ich redete mir wieder den Mund fusselig, überreichte stapelweise Literatur, die für den Plan warb, lud die Herren zu
Inigo Jones zum Essen ein und hoffte, daß die Saat nicht auf steinigen Boden gefallen war. Beim Abschied stellte mir der ältere der beiden eine Frage, die ich inzwischen nur allzugut kannte.
«Wenn Sie es schaffen, dieses Unternehmen zum Laufen zu bringen, werden Sie dann selbst die Leitung übernehmen wollen?«
Ich lächelte. Ich wußte nur zu gut, daß sich, hatte das Baby erst einmal das Licht der Welt erblickt, sehr rasch herausstellen würde, daß es gar nicht meines war.
«Wenn die Sache steht«, sagte ich,»fange ich etwas anderes an.«
Er sah mich neugierig an.»Und was?«
«Das weiß ich noch nicht.«
Sie schüttelten die Köpfe und gaben ein leises» Tsss «von sich, packten aber meine Hände voller Herzlichkeit, als wir uns endlich trennten und in unsere jeweiligen Taxis einstiegen. Es war nach Mitternacht, als ich das Haus hinter der Brompton Road, in dem ich wohnte, schließlich erreichte, aber wie üblich brannte in der Wohnung unter der meinen noch Licht. Wenn man die Haustür einfach losließ, schlug sie mit einem lauten Knall zu, der im ganzen Haus widerhallte. Wie ich vermutete, als ich sie jetzt sanft schloß, erklärte dies die
Überempfindlichkeit des Mieters im Erdgeschoß. Er war ein verschlossener Mann, grauhaarig, um die Fünfzig, sehr ordentlich und genau. Nach den sechs Monaten, die wir nun einer über dem anderen hausten, beschränkte sich unsere Bekanntschaft auf seine Vorstöße bis zu meiner Wohnungstür, wo er dann die sofortige Verringerung der von meinem Fernseher erzeugten Dezibel forderte. Einmal hatte ich ihn auf einen Drink hereingebeten, aber er hatte dankend abgelehnt — offensichtlich zog er die Einsamkeit bei sich unten vor. Kaum die große Entente cordiale des Jahrhunderts.
Ich ging hinauf, öffnete die Wohnungstür und schloß auch diese leise hinter mir. Plötzlich klingelte das Telefon in die vornehme Stille hinein und ließ mich zusammenfahren.
«Mr. Cleveland?«Die Stimme klang gehetzt, war praktisch kaum zu verstehen.»Gott sei Dank, da sind Sie ja endlich. Hier ist William Romney. Emmas Großvater. Sie wollte nicht, daß ich Sie so spät noch anrufe, aber ich muß. Als sie ihr Haus betrat, waren gerade zwei Männer dabei, es zu durchsuchen, und die haben sie geschlagen. Mr. Cleveland. sie braucht Ihre Hilfe.«
«Einen Augenblick«, sagte ich.»Zunächst einmal brauchen Sie die Polizei.«
Er beruhigte sich ein ganz klein wenig.»Die war da. Ist gerade wieder weg. Ich habe sie geholt.«
«Und einen Arzt für Emma?«
«Ja, ja, der ist auch schon wieder gegangen.«
«Um welche Zeit ist das alles passiert?«
«Heute abend gegen sieben. Wir sind von meinem Haus aus kurz hergefahren, um noch ein paar Sachen für sie zu holen. und da brannte ein Licht. und Emma ging als erste rein, und sie fielen über sie her. sie haben uns beide geschlagen. könnten Sie nicht. ja. also, um ehrlich zu sein. ich glaube, wir beide haben immer noch Angst.«
Ich unterdrückte einen Seufzer.»Wo sind Sie jetzt?«
«Noch bei Emma.«
«Ja, aber.«
«Oh, ich verstehe. Das ist in der Nähe von Newbury. Sie fahren auf der M4. «Er beschrieb mir den Weg, vollkommen überzeugt davon, daß ich sofort zu ihrer Hilfe herbeieilen würde. Er machte es mir gänzlich unmöglich, ihnen zur Einnahme einer Beruhigungstablette zu raten und zu sagen, ich würde morgen früh zu ihnen rauskommen. Und sowieso hätte ihn, nach seiner
Stimme zu urteilen, wohl nur eine Vollnarkose zur Ruhe gebracht.
Bei Nacht ging die Fahrt wenigstens schnell und ungehindert vonstatten, und ich brauchte mit meinem MGB genau fünfzig Minuten bis dorthin. Bei dem Haus der Shermans handelte es sich, wie ich bei meiner Ankunft feststellen konnte, um ein modernisiertes Landarbeiterhaus, das an einem sonst unbewohnten Weg lag — im günstigsten Fall hätte man diese Isolation noch als Nervenkitzel beschreiben können.
Alle Fenster waren hell erleuchtet, und beim Geräusch meines Wagens erschien die verängstigte Gestalt William Romneys in der Haustür.
«Gott sei Dank, Gott sei Dank«, sagte er erregt und kam mir zur Begrüßung auf dem kurzen Weg zum Haus entgegen.»Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten. wenn Sie nicht gekommen wären.«
Ich verkniff es mir, meine Gedanken offen auszusprechen, nämlich daß sie zu ihm hätten zurückfahren oder in ein Hotel gehen sollen. Nachdem ich dann das Haus betreten hatte, war ich froh, daß ich geschwiegen hatte, denn meine Äußerung wäre wohl nicht gerade sehr hilfreich gewesen. Der Schock hindert Menschen ja oft daran, den Ort der Katastrophe, die sie getroffen, hat, von sich aus zu verlassen, und an der Größe und Tiefe ihres Schocks konnte kein Zweifel bestehen.
Das Haus bot ein Bild der Verwüstung. Bilder waren von den Wänden, Gardinen von den Fenstern, Teppiche vom Fußboden gerissen worden. Möbelstücke waren nicht nur entleert, sondern auch kaputtgeschlagen worden. Von Lampen, Vasen und Ziergegenständen waren nur noch Scherben übrig. Papiere und Bücher lagen in den Trümmern herum wie herbstliches Laub.