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Auf dem breiten Regalbrett hinter mir stand mein tragbares Fernsehgerät. Wenn ich das nach ihm schmiß, würde ihn das wahrscheinlich stoppen, aber andererseits. Ich griff, ohne den Blick von seinem Messer abzuwenden, hinter mich, fand den Schalter, stellte das Gerät an und drehte den Ton auf höchste Lautstärke.

Der einsetzende Krach überraschte ihn vollkommen, was mir zu einer winzig kleinen Chance verhalf. Ich stieß den Sessel kraftvoll von mir fort und gegen seine Knie, er verlor erneut das Gleichgewicht und wand sich in dem Bemühen, auf den Beinen zu bleiben, hin und her. Trotzdem ging er zu Boden, zumindest mit einem seiner Knie, fing sich zum Teil wieder und stürzte dann doch, als ich mit dem Sessel nachstieß. Das war allerdings nicht von Dauer. Wie eine Katze rollte er sich herum und kam wieder hoch, ehe ich die Zeit gefunden hatte, den großen Sessel zu umrunden und ihm in ein paar seiner weicheren Körperteile zu treten.

Bis zu diesem Augenblick hatte er noch kein einziges Wort gesprochen, aber wenn er es jetzt getan hätte, hätte ich es nicht hören können — das Fernsehgerät vibrierte förmlich von dem Lärm, den ein Pop-Star oder sonst irgendeine Band produzierte.

Und wenn das nicht die US-Kavallerie alarmierte, dann gar nichts.

Er kam. Sah verärgert aus. Bereit, wie ein Geysir hochzugehen. Und stand bestürzt da, in meiner Wohnungstür.

«Holen Sie die Polizei!«schrie ich, aber er hörte nichts. Ich schlug auf den Aus-Schalter des Fernsehers.

«Holen Sie die Polizei!«schrie ich noch einmal, und in der plötzlichen Stille prallte mein Schrei von den Wänden ab.

Der Mann mit dem Messer sah sich um, erteilte sich selbst neue Anweisungen und ging auf meinen Freund aus dem Erdgeschoß los. Ich unternahm eine Art Rugbyangriff und warf mich, Füße voraus, gegen seine Beine. Er stolperte über meine Schuhe und Knöchel und fiel dann seitwärts zu Boden. Ich schwang ein Bein zu ihm rüber, und das schiere Glück wollte es, daß ich sein Handgelenk traf. Das Messer flog ihm aus der Hand und mindestens drei Meter weit ins Zimmer, landete näher bei mir als bei ihm auf dem Fußboden — und da dachte er wohl zum ersten Mal daran aufzugeben.

Er rappelte sich hoch, sah mich mit ersten Anzeichen der Verunsicherung an, faßte dann einen Entschluß, machte kehrt, drängte sich an meinem Hausgenossen vorbei und sprang mit zwei Riesensätzen die Treppe hinunter. Die Haustür fiel hinter ihm mit einer Wucht zu, daß das gesamte Gebäude erbebte, und ich sah vom Fenster aus, wie er in olympischer Manier unter den Straßenlaternen davonsprintete.

Nun betrachtete ich atemlos das Chaos in meinem Wohnzimmer und meinen Mitbewohner aus dem Erdgeschoß.

«Danke«, sagte ich.

Er tat einen zögernden Schritt ins Wohnzimmer hinein.

«Sie bluten«, sagte er.

«Aber ich sterbe nicht.«

Ich hob die Stehlampe auf.

«War das ein Einbrecher?«erkundigte er sich.

«Ein Mörder«, erwiderte ich.»Ein Mörder betritt die Bühne.«

Wir sahen uns mit offenkundig auf beiden Seiten gegebener professioneller Neugier an, denn als nächstes sagte er:»Setzen Sie sich hin, Sie haben einen Schock erlitten.«

Das war ein Ratschlag, den ich selbst schon oft anderen gegeben hatte, und ich lächelte. Dessen ungeachtet spürte ich irgendwo in der Gegend meiner Knie ein Zittern, weshalb ich seiner Aufforderung Folge leistete.

Er sah sich im Zimmer um, betrachtete das Messer, das immer noch da lag, wo es zu Boden gefallen war, und nahm alles sehr ruhig auf.

«Soll ich Ihre Anweisung noch ausführen, oder war sie im Prinzip eher als Ablenkung gedacht?«

«Wie bitte?«

«>Holen Sie die Polizei!««

«Ach so. Das hat noch Zeit.«

Er nickte, überlegte kurz und sagte dann:»Wenn Sie mir die Frage gestatten: Warum hat er versucht, Sie umzubringen?«

«Das hat er mir nicht gesagt.«

Mein Hausgenosse hieß Stirling. C. V. Stirling, wie auf dem säuberlichen weißen Kärtchen neben seiner Klingel zu lesen stand. Er hatte graue Haare, die über den Ohren hübsch ordentlich nach hinten gekämmt waren, und schmale Nasenflügel, die der Abneigung gegen schlechte Gerüche Ausdruck verliehen. Seine Hände sahen übermäßig sauber und gutgepflegt aus, und selbst unter diesen absurden Umständen zeigte seine Miene noch eine Andeutung ärgerlicher Geduld. Ein Mann, schloß ich, der daran gewöhnt war, der hellste Kopf weit und breit zu sein, und der über die Mittel verfügte, die anderen dies spüren zu lassen.

«Wäre das nötig gewesen?«»Es wäre hilfreich gewesen«, antwortete ich.

Er kam einen Schritt näher.»Ich könnte etwas gegen diese Blutung unternehmen, wenn Sie wollen.«

Ich sah auf mein Hemd hinunter, dessen Farbe sich ziemlich gründlich von Blau zu Rot verändert hatte.

«Wirklich?«

«Ich bin Arzt«, sagte er.»Eigentlich nur für Hals, Nasen, Ohren. Andere Bereiche nur nach Vereinbarung.«

Ich lachte.»Dann nähen Sie mal los.«

Er nickte, ging nach unten und kam mit einem praktischen flachen Köfferchen wieder, in dem sich das erforderliche Handwerkszeug seines Berufsstandes befand. Statt einer Nadel benutzte er Klammern. Der Schnitt auf meiner Brust sah schlimmer aus, als er war, blutete aber pausenlos vor sich hin — wie diese Wunden, die man sich beim Rasieren zufügt. Als mein Retter fertig war, war von dem Schnitt nur noch eine dünne rote Linie unter einem Heftpflaster übrig.

«Sie haben Glück gehabt«, sagte er.

«Ja, das habe ich.«

«Machen Sie so etwas öfter? Ich meine, um Ihr Leben kämpfen?«

«Sehr selten.«

«Die Gebühr für meine ärztlichen Bemühungen ist ein weiteres Plauderstündchen.«

Ich lächelte gequält.

«Okay. Ich bin Ermittler. Ich weiß nicht, warum ich attackiert worden bin, es sei denn, da gäbe es jemanden, der ganz und gar keinen Wert darauf legt, daß gegen ihn ermittelt wird.«

«Großer Gott. «Er starrte mich neugierig an.»Ein Privatdetektiv? So ein Philip Marlowe?«

«Nicht so was Tolles. Ich bin im Rennsport tätig, genauer für

den Jockey Club. Gehe meistens kleinen Betrügereien nach.«

«Dies«, sagte er und deutete mit vager Geste auf meine Brust, das Messer und die verstreuten Kissenfedern,»sieht gar nicht nach einer kleinen Betrügerei aus.«

Das tat es wirklich nicht. Und es sah auch nicht nach einer nachdrücklichen Warnung aus. Eher wie das rücksichtslose Drängen auf eine endgültige Lösung.

Ich zog mich um und nahm ihn zu dem überfälligen Steak in das Grill-Restaurant mit. Er heiße Charles, sagte er, und wir gingen als Freunde wieder nach Hause. Als ich meine Wohnung betrat und mir die allgemeine Unordnung besah, fiel mir ein, daß ich die Polizei überhaupt nicht verständigt hatte. Aber dazu war es nun wohl auch ein bißchen spät, und deshalb ließ ich es.

Am nächsten Vormittag flog ich um elf Uhr fünfundzwanzig nach Norwegen, das in Frischhaltefolie eingewickelte Messer in meinem Toilettenbeutel — oder genauer: in der schwarzen Ledertasche mit Reißverschluß, die mir als solcher diente. Es handelte sich um ein Jagdmesser, das heißt um eines dieser Messer mit beidseitig geschliffener Klinge, wie man sie zum Abbalgen und Zerlegen von Wild benutzt. Die Schneiden waren scharf wie Rasiermesser, und die Spitze hätte gut als Nadel getaugt. Eine professionelle Sache — kein Amateur hätte dieses Ergebnis nur mit einem Schleifstein erzielen können.

Der Griff war aus irgendeinem Horn und ebenfalls fachmännisch hergestellt, kein Schund für Touristen. Zwischen Griff und Klinge ragte beidseitig ein kurzes, silbernes Metallstück heraus, was eine bessere Handhabung gewährleistete. Auf dem Messer waren keinerlei Fingerabdrücke und auch kein Blut. Nahe dem Griff waren die Worte Norsk Stal in die Klinge eingestanzt.

Der Eigentümer des Messers hatte es natürlich nicht zurücklassen wollen, wohl aber eine Leiche, fein säuberlich hinter der Wohnungstür liegend, für niemanden sichtbar und