«David!«er sah mich ungläubig an.»Dazu brauchst du doch Monate!«
Ich schüttelte den Kopf.»Ein paar Tage, mehr nicht. So viele Leute hat Bob hier ja auch wieder nicht gekannt.«
«Aber er könnte doch von einem vollkommen fremden Menschen getötet worden sein. Ich meine, er könnte schließlich auch jemanden beim Stehlen beobachtet haben, den er überhaupt nicht kannte.«
«Das ist möglich«, sagte ich und fragte ihn, ob er Bob jemals darüber habe reden hören, daß er irgendwelche Päckchen von England nach Norwegen mitgebracht habe.
Arne zog die Stirn in Falten und blickte zwanghaft über die Schulter. Niemand da, natürlich nicht.
«Lars hat am Dienstag abend dieses mysteriöse Päckchen erwähnt. Keiner wußte etwas darüber.«
«Was genau hat Lars gefragt?«
«Er sagte nur, du würdest gerne wissen, ob irgend jemand von Bob ein Päckchen erhalten hätte.«
«Und das hatte keiner?«
«Jedenfalls keiner von den Anwesenden.«
«Könntest du mir eine Liste der Anwesenden machen?«
«Ja«, sagte er überrascht.»Wenn du willst. Aber ich sehe überhaupt nicht, was das mit Bobs Tod zu tun haben soll.«
«Ich bin im Sammeln von nutzlosen Informationen ganz groß«, sagte ich lächelnd, und Arne warf mir einen Blick zu, der soviel besagte wie: Allerdings, das sieht man.
Die Rennen nahmen ihren gewohnten Lauf, nur daß diesmal die Zuschauermenge erheblich kleiner war als am Tage des Grand National. Die Birken hatten den größten Teil ihrer gelben Blätter abgeworfen und sahen silbrig aus, das Tageslicht schien kälter und grauer als je zuvor, und ein scharfer Wind fuhr um alle Ecken. Diesmal hatte ich mir aber eine Skimütze mit Ohrenklappen mitgebracht, und nur meine Nase wurde — wie bei allen anderen auch — langsam blau.
Gunnar Holth sattelte zwei Pferde für das Hürdenrennen, eilte geschäftig zwischen beiden hin und her, um den jeweiligen Besitzern besorgt und geschickt gerecht zu werden. Eines der Pferde war die Apfelschimmelstute mit dem unberechenbaren Temperament, deren Besitzer — Sven Wangen — auch auf Emmas Liste stand. Arne bestätigte mir, daß der hochgewachsene junge Mann, der jedesmal, wenn der Gaul seine Hufe zeigte, beflissen beiseite hüpfte, eben dieser Sven Wangen sei, und er setzte noch hinzu, daß es sich bei der Brünetten, die sich in sicherer Entfernung über Wangen lustig machte, um dessen Frau handle.
Der Jockey saß vorsichtig auf und ritt zum Start, wobei der Gaul unablässig bockte und ausschlug. Arne meinte, daß die Stute wie alle gemeinen, übellaunigen Weibsbilder zuletzt doch ihren Willen bekommen werde, und ging davon, um am Totalisator eine Kleinigkeit zu investieren.
Eine weise Entscheidung. Die Stute siegte. Arne strahlte und sagte, er hätte es ja gewußt, sie gewinne immer, wenn sie sich so zickig aufführe. Ob sie jemals fromm sei, wollte ich wissen, und
Arne meinte, sicher, aber eben nur an ihren freien Tagen. Wir sahen zu, wie sie in dem den Siegern vorbehaltenen Ring abgesattelt wurde, wobei ihr Gunnar Holth und Sven Wangen mit tangoähnlichen Schritten geschickt auswichen.
Ich sagte Arne, daß ich Sven Wangen gern einmal kennenlernen würde, weil Bob doch an jenem letzten Tag ebenfalls mit einem von Svens Pferden siegreich gewesen sei. Arne hatte Bedenken, und ich fragte ihn, warum.
Er machte einen spitzen Mund.»Ich mag ihn nicht. Deshalb.«
«Weshalb denn nicht?«
«Zuviel Geld«, antwortete Arne vorwurfsvoll.»Er führt sich auf, als müßte jeder, der mit ihm redet, vor ihm auf die Knie fallen. Dabei hat er’s nicht mal selbst verdient. Das Geld kommt von seinem Vater. Sein Vater war ein reicher Mann. Zu reich.«
«In welcher Hinsicht zu reich?«
Arne zog bei dieser für ihn offensichtlich unsinnigen Frage die Augenbrauen hoch, und dem Tonfall seiner Antwort war zu entnehmen, daß er Reichtum für moralisch verwerflich hielt.
«Er war Millionär.«
«Gibt es in Norwegen keine Millionäre?«
«Nur sehr wenige. Sie sind nicht sehr populär.«
Ich überredete ihn trotzdem, mich mit dem unpopulären Sven Wangen bekannt zu machen, dessen Vater seine Millionen mit Schiffen verdient hatte — und mir war sofort klar, warum Arne ihn nicht mochte.
Vielleicht fünf Zentimeter größer als ich, blickte er wie aus großer Höhe verächtlich auf mich herab, und es war deutlich zu erkennen, daß das keine zufällige Angewohnheit war, sondern die Manifestation einer beachtlichen Selbstgefälligkeit. Als höchstens Dreißigjähriger war er recht massig, ja fast schon fett, und sein Gewicht diente ihm dazu, Eindruck zu schinden. Ich fand weder sein Verhalten noch seinen schmalen Mund oder seine unfreundlichen bernsteinfarbenen Augen sympathisch — auch seine Frau nicht, die ganz so aussah, als könnte sie, was das schwierige Temperament anging, den Apfelschimmel um Längen schlagen.
Arne machte uns bekannt, und Sven Wangen sah nicht den geringsten Grund, warum ich ihn irgendwann einmal aufsuchen sollte, um ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hatte dichtes, rostbraunes Haar, das ihm bis über die Ohren reichte, und trug eine flache Mütze, die seinen großen Kopf noch größer aussehen ließ.
Ich sagte, soviel ich wisse, sei er Mitglied des RennbahnAusschusses, der mich zu kommen gebeten habe.
«Lars Baltzersen hat Sie gebeten«, sagte er schroff.»Ich war dagegen. Das habe ich am Dienstag auch gesagt.«
«Je eher meine Fragen beantwortet werden, desto eher fahre ich auch wieder nach Hause«, sagte ich.»Aber nicht früher.«
Er sah mich mit äußerstem Mißfallen an.»Was wollen Sie also?«
«Eine halbe Stunde bei Ihnen zu Hause«, sagte ich.»Zu jeder Zeit, die Ihnen genehm ist, nur morgen nachmittag nicht.«
Er gestand mir irritiert den Sonntag vormittag zu. Seine elegante, schlanke Frau produzierte ein Gähnen, und beide wandten sich ab, ohne sich auch nur den Anschein von Höflichkeit zu geben.
«Verstehst du mich jetzt?«fragte Arne.
«Vollkommen. Sehr ungewöhnlich, nicht wahr?«
«Ungewöhnlich?«
«Normalerweise führen sich die Reichen nicht so auf.«
«Kennst du so viele reichen Leute?«fragte Arne mit einem Anflug von Spott.
«Ich hab doch tagtäglich mit ihnen zu tun«, erwiderte ich.»Sie besitzen Rennpferde.«
Arne räumte ein, daß nicht alle Reichen notwendigerweise abscheulich seien, und ging davon, um irgend etwas zu erledigen. Ich selbst begab mich auf die Suche nach Paddy O’Flaherty, den ich auch bald fand, der aber nur fünf Minuten zwischen zwei Rennen Zeit hatte.
«Brauner Umschlag mit Pornobildern?«wiederholte er.»Er hat nie auch nur ein Sterbenswörtchen von irgendwelchen Pornobildern zu mir gesagt. «Er grinste, und dann war da plötzlich eine unbestimmte Erinnerung.»Warten Sie mal, ich lüge ja. Im Sommer war’s, da sagte er mir mal, er hätte da was laufen, Sie verstehen. Immer hinter dem schnellen Geld her, so war er. An diesem Tag also, da zwinkerte er mir zu und zeigte mir die Ecke von einem Umschlag in seiner Reisetasche und sagte, uns würden die Haare zu Berge stehen. Da habe ich ihn gefragt, ob ich’s mal sehen könnte, verstehen Sie, aber er meinte, der wäre irgendwie versiegelt, deshalb könnte er ihn nicht über Dampf öffnen. Ja, jetzt fällt’s mir wieder ein, ich erinnere mich.«
«Aber als er das letzte Mal hier war, hat er da irgend etwas davon erwähnt, daß er so einen Umschlag mitgebracht hätte?«
Paddy schüttelte den Kopf.»Wie ich schon gesagt habe, nicht ein Wort. «Ich überlegte.»Kam er vom Flugplatz direkt zu Ihrem Stall? War er zum Beispiel pünktlich da?«
«Das kann ich Ihnen sagen: Pünktlich war er nicht. «Paddy konzentrierte sich.»Er kam so spät, daß ich schon dachte, er hätte das Flugzeug verpaßt und würde erst am nächsten Morgen kommen. Doch dann fährt ein Taxi vor, und er springt raus, in voller Lebensgröße. Er hatte im Flugzeug eine Flasche Brandy gekauft, und davon war dann nicht mehr allzuviel übrig, als wir ins Bett gingen.«