«Per Bj0rn Sandvik?«wiederholte er, als ich ihm unser erstes Ziel nannte.»Der rechtschaffene Herr der Ölfelder?«
«Es sieht so aus«, sagte ich.
Er fädelte sich ein, ohne auf eine Lücke zu warten. Ich öffnete den Mund und schloß ihn wieder — wenn sein Bruder ihm zutraute, mich am Leben zu erhalten, dann mußte ich ihn auch machen lassen, das war wohl das mindeste. Wir rauschten auf zwei Rädern durch einige haarsträubend enge Kurven, kamen jedoch unversehrt beim Hauptsitz der Firma Norsk Oil Imports an. Die deutsche Dogge leckte sich das Maul und sah vollkommen unbewegt aus.
«Da wären wir«, sagte Erik und deutete auf eine eindrucksvolle, doppeltorige Einfahrt in einen Innenhof.»Da durch, dann links der große Eingang mit den Säulen davor.«
«Sie kennen es?«
Er nickte.»Ich kenne fast alles in Oslo. Und die meisten Leute. «Und er erzählte mir von seinen Jahren bei der Zeitung.
«Dann erzählen Sie mir auch mal was über Per Bj0rn Sandvik«, sagte ich schließlich.
Er lächelte.»Er ist spießig und selbstgerecht und hat sich dem Big Business verschrieben. Während des Krieges war er ganz anders. Als wir noch alle jung waren, da ist er ein großer Kämpfer gegen die Nazis gewesen, ein großer Planer und Saboteur. Aber die Jahre sind dahingegangen, und er ist zu einem langweiligen Klotz erstarrt, wie das heiße Innere eines Vulkans, das herausströmt und zu trockenem, grauem Bimsstein abstirbt.«
«Er muß aber noch etwas Feuer übrig haben«, warf ich ein.
«Er ist schließlich Chef einer Ölgesellschaft.«
Erik schnaubte belustigt.»Die norwegischen Ölgesellschaften können sich vor Regierungsvorschriften kaum rühren, und das ist auch richtig so. Da bleibt kein Raum für private Spekulationen. Per Bj0rn kann nur in einem sehr eng begrenzten Rahmen Entscheidungen treffen. Für alles, was über die Bestellung von neuen Aschenbechern hinausgeht, braucht er die Zustimmung der Regierung.«
«Das finden Sie gut?«
«Selbstverständlich.«
«Was wissen Sie über seine Familie?«fragte ich weiter.
Seine Augen funkelten.»Er hat ein durch und durch langweiliges, unansehnliches Mädchen mit Namen Ranghild geheiratet, deren Papi damals zufällig gerade das Oberhaupt von Norsk Oil Imports war.«
Ich grinste, stieg aus und sagte Erik, daß ich wenigstens eine halbe Stunde brauchen würde.
«Ich habe mir ein Buch mitgebracht«, meinte er gelassen und zog eine ramponierte Taschenbuchausgabe des goldenen Notizbuchs aus der Jackentasche.
Der säuberlich gepflasterte Hof wies in seiner Mitte ein mit Steinen eingefaßtes Beet voller erfrorener Blumen auf und war von vornehm blaßgelben Gebäuden umstanden. Der Haupteingang auf der linken Seite war wirklich beeindruckend, und ihm gegenüber, also auf der rechten Seite, befand sich ein ähnliches, allerdings sehr viel bescheideneres Portal. Die Fassade, die dem Tor zur Straße gegenüberlag, war von hohen Fenstern durchbrochen und mit Fensterläden geschmückt — das ganze wohlhabend wirkende Ensemble erinnerte tatsächlich eher an ein Herrenhaus als an den Sitz einer Ölgesellschaft.
Es war, wie sich herausstellte, beides.
Per Bj0rns Sekretärin nahm mich am Haupteingang in Empfang, trieb mich eine teppichbelegte Treppe hinauf in sein Büro, erklärte mir, Mr. Sandvik sei noch in einer Besprechung,
werde aber gleich dasein, und ging.
Auch wenn das Gebäude alt war, so war doch das Büro des Firmenchefs modern, funktional und sehr skandinavisch eingerichtet. Es hatte doppeltverglaste Fenster, die auf den Innenhof hinausgingen. An den Wänden hingen ein einfaches Wandbild, das eine Felsenformation zeigte und mit den Worten >impermeabel<, >Quelle<, >permeabel< und >Reservoir< beschriftet war, dann eine Liste, die Dinge verriet wie > Angebohrt Okt. 71 < oder > Verschlossen und aufgegeben Jan. 72<, und schließlich drei in leuchtenden Farben gehaltene Karten der Nordsee, die verschiedene Aspekte der Ölbohroperationen zeigten, die dort im Gange waren.
Auf allen drei Karten war das Seegebiet durch Längen- und Breitengrade in kleine Quadrate aufgeteilt, die mit >Shell<, >Esso<, >Conoco< und so weiter beschriftet waren. Obwohl ich mir die Karten sehr genau ansah, konnte ich nirgends ein Quadrat entdecken, in dem >Norsk Oil Imports< stand.
Hinter mir öffnete sich die Tür, und Per Bj0rn Sandvik kam herein, verbindlich und locker wie immer. Man hatte unbedingt den Eindruck, daß er ganz ohne Einsatz seiner Ellbogen nach oben gelangt war.
«David«, sagte er mit seiner hohen, deutlich artikulierenden Stimme,»tut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen.«
«Ich hab mir derweil Ihre Karten angeschaut.«
Er nickte und trat zu mir.»Wir bohren dort, und dort. «Er zeigte auf zwei Gebiete, die einen vollkommen anderen Namen trugen. Ich sagte das, und er erklärte es mir.
«Wir gehören zu einem Konsortium. In Norwegen gibt es keine privaten Ölgesellschaften.«
«Was hat Norsk Oil Imports getrieben, bevor das Öl unter der Nordsee entdeckt wurde?«
«Natürlich Öl importiert.«
«Natürlich.«
Ich lächelte und ließ mich in den quadratischen Sessel sinken, auf den er gedeutet hatte.
«Schießen Sie los«, sagte er.»Mit Ihren Fragen.«
«Hat Ihnen Bob Sherman irgendwelche Drucksachen oder Fotos aus England mitgebracht?«
Er schüttelte den Kopf.»Nein. Das hat uns Lars schon am Dienstag gefragt. Sherman hat niemandem irgend etwas Derartiges mitgebracht. «Er streckte die Hand nach der Sprechanlage aus.»Hätten Sie gern einen Kaffee?«
«Sehr gern.«
Er nickte und bat seine Sekretärin, uns einen Kaffee zu bringen.
«Trotzdem«, sagte ich,»hat er wahrscheinlich ein Päckchen mitgebracht und es vermutlich auch weitergegeben. Wenn uns jemand bestätigen würde, daß er dieses Päckchen bekommen hat, dann könnten wir dieses Kapitel möglicherweise abhaken.«
Er starrte blicklos auf seinen Schreibtisch.
«Wenn das von ihm Mitgebrachte«, fuhr ich fort,»beispielsweise Pornographie gewesen wäre, dann hätte es wahrscheinlich nichts mit seinem Tod zu tun.«
Er sah auf.
«Verstehe«, sagte er.»Und weil niemand zugegeben hat, das Päckchen erhalten zu haben, glauben Sie, daß keine Pornographie darin war?«
«Ich weiß nicht, was drin war«, erwiderte ich.»Ich wünschte, ich wüßte es.«
Der Kaffee kam, und er goß ihn vorsichtig in dunkelbraune, rustikal wirkende Becher.
«Haben Sie den Gedanken verworfen, daß der Mörder Bob Shermans mit dem Mann identisch ist, der das Geld gestohlen hat?«
«Ich habe ihn vorläufig zurückgestellt«, sagte ich und lehnte das Angebot von Milch und Zucker dankend ab.»Könnten Sie mir sagen, welchen Eindruck Sie von Sherman als Mensch hatten?«
Er spitzte abwägend die Lippen.
«Nicht übermäßig intelligent«, sagte er.»Ehrlich, aber auch leicht zu beeinflussen. Ein guter Reiter, natürlich. Für mich hat er immer gute Rennen geritten.«
«Rolf Torp schien der Ansicht gewesen zu sein, daß Bob an jenem letzten Tag ein schlechtes Rennen für ihn geritten ist.«
Sandvik zuckte leicht die Achseln.»Manchmal kann man es Rolf nur schwer recht machen.«
Wir tranken unseren Kaffee und sprachen über Bob. Nach einer Weile sagte ich, ich würde gern Mikkel kennenlernen.