Viereck des Tanzparketts im Kreise drehten.»Er kann Tanzen nicht ausstehen.«
Nach ein paar Sekunden fragte ich sie:»Möchtest du?«
«Er hätte sicher nichts dagegen.«
Sie stand ohne zu zögern auf und tanzte mit einem natürlichen Gefühl für Rhythmus. Sie wußte durchaus, daß ich sie gern so dicht bei mir hatte — das konnte ich in ihren Augen lesen. Ich fragte mich, ob sie Arne wohl schon jemals untreu gewesen war oder werden würde. Ich fragte mich die uralten Fragen. Dagegen ist man machtlos.
Sie lächelte und schob sich an mich heran, bis sich unsere Körper mehr als nur flüchtig berührten — und das tut keine Frau, wenn sie es nicht möchte. Was wir von diesem Augenblick an vollzogen, war ein Geschlechtsakt, in aufrechter Haltung, tanzend, in aller Öffentlichkeit und voll bekleidet, aber nichtsdestoweniger war es ein Geschlechtsakt. Ich wußte theoretisch durchaus, daß eine Frau ohne eigentlichen Geschlechtsverkehr zu einem heftigen Orgasmus kommen kann, ja daß einige das schon schaffen, wenn sie mit sich allein sind und sich nur erotischen Phantasien hingeben, aber ich hatte es noch nie miterlebt.
Bei Kari kam es dazu, weil sie es wollte. Weil sie sich, eng an mich geschmiegt, bei jedem Tanzschritt an mir rieb. Weil ich es nicht erwartete. Weil ich sie nicht von mir wegschob.
Ihre Atemzüge wurden langsamer und tiefer, und ihre Augen verloren ihr Strahlen. Ihr Mund war jetzt geschlossen, zeigte ein schwaches Lächeln. Sie hatte den Kopf hoch erhoben und hielt sich sehr gerade, sah eher in sich gekehrt und geistesabwesend als leidenschaftlich erregt aus. Dann, ganz plötzlich, wurde sie glühendheiß, und ich spürte, wie ihr Körper von den Augen bis tief hinab fast zwanzig Sekunden lang sanft, aber intensiv pulsierte.
Danach holte sie einmal ganz tief Luft, als wenn ihr kurzzeitig der Atem weggeblieben wäre. Ihr Mund öffnete sich wieder, ihr Lächeln wurde wieder strahlend, und sie löste sich von mir.
Ihre Augen wurden so hell wie Sterne und lachten in die meinen.
«Danke«, sagte sie.
Sie hatte genug getanzt. Sie blieb stehen, ging dann zum Tisch zurück und nahm ungezwungen Platz, als wenn nichts geschehen wäre. Herzlichen Dank auch, dachte ich, und was ist mit mir? Mir blieb dieses durch kein Kratzen zu beruhigende Jucken, dieses Verlangen, das ich auch später nicht selbst zu stillen vermochte wie sie eben, denn das hatte mir noch nie allzu großen Spaß gemacht.
«Noch Kaffee?«fragte ich, weil ich annahm, daß man etwas sagen mußte. Oder hätte ich sagen sollen: Hol dich der Geier, du selbstsüchtiges kleines Biest!
«Danke, ja«, antwortete sie.
Der Ober brachte den Kaffee. Die Zivilisation trug den Sieg davon.
Arne kam wieder herein, sah zerzaust und ein bißchen glücklicher aus. Kari legte warm und verständnisvoll ihre Hand auf seine, und ironischerweise mußte ich daran denken, daß ich mich gefragt hatte, ob sie ihm wohl schon jemals untreu gewesen war. Die Antwort war ja und nein. Sie war es und war es auch wieder nicht — sie hatte eine perfekte Methode, untreu und treu zugleich zu sein.
Wenig später gingen sie — nicht ohne mich gedrängt zu haben, noch einen Abend bei ihnen zu verbringen, bevor ich wieder nach Hause flog.
«Wir sehen uns am Sonntag in 0vrevoll«, sagte Arne.»Wenn nicht schon vorher.«
Als sie gegangen waren, holte ich mir meinen Koffer beim Hausdiener ab und ging zum Empfang. Es gab fünf freie
Zimmer, unter denen ich wählen konnte, und ich ergriff aufs Geratewohl einen Schlüssel. Er öffnete mir ein geräumiges Doppelzimmer mit Balkon und Blick auf das Parlamentsgebäude. Ich machte die festverschlossene Balkontür auf und ließ einen von der Arktis kommenden Windstoß herein, der sich übel auf die Zentralheizung auswirkte. Dann schloß ich die Tür wieder, ging fröstelnd zu Bett, lag lange wach und dachte über vieles nach, aber kaum über Kari.
Am folgenden Morgen kam Erik zum Frühstück ins Hotel. Er setzte sich mit breitem Lächeln zu mir, holte sich dann eine halbe Tonne gemischten marinierten Fisch vom Büfett und aß, als gäbe es kein Morgen.
«Wohin?«fragte er nach zwei weiteren Brötchen, vier Scheiben Käse und einigen Tassen Kaffee.
«0vrevoll«, sagte ich.
«Aber da sind heute gar keine Rennen.«
«Ich weiß.«
«Na schön, wenn Sie es denn so wollen, dann mal los.«
Odin war freundlich gestimmt und saß genau in der Mitte, hatte seinen Rumpf zwischen Vorder- und Rücksitz geklemmt und die Handbremse unter seinen Vorderpfoten und seinem riesigen Schädel begraben. Wenn ihm Erik mit dem Ellbogen einen kleinen Stoß versetzte, hob der Hund die Schnauze gerade so lange, daß sein Herr die Bremse lösen konnte. Ein eingespieltes Duo, wie es schien.
Die Fahrt bedeutete eine unausgesetzte direkte Konfrontation mit dem Tod, aber wir gelangten trotzdem ans Ziel. Der Haupteingang der Rennbahn war geöffnet, und verschiedene Lieferwagen standen auf dem Asphaltplatz im Inneren, weshalb wir einfach hineinfuhren und in der Nähe des Wiegeraums hielten. Erik und Odin falteten sich auseinander und streckten ihre Beine, während ich meine kurze und vergebliche Mission unternahm.
Im Gebäude des Wiegeraums war man beim Saubermachen — genauer ein Mann und zwei Frauen, die alle drei kein Englisch sprachen. Ich ging wieder hinaus und beschwatzte Erik (was mehr als leicht war), das Reden für mich zu besorgen.
Er fragte, hörte zu und gab die schlechte Nachricht weiter.
«Sie sagen, Bob Shermans Sattel hätte lange hier gehangen, im Umkleideraum, am Haken in der Ecke.«
Ich hatte mich gerade erst im Umkleideraum umgesehen. Keine Sättel an irgendwelchen Haken, keine Spur von Bobs Sattel.
«Sie sagen, er sei ungefähr zu der Zeit verschwunden, als man die Leiche im Teich gefunden habe. Sie wissen aber nicht, wer ihn weggeholt hat.«
«Das war’s dann wohl.«
Wir verließen das Gebäude wieder und schlenderten die wenigen Schritte zum Geländer an der Rennbahn hinüber. Der Morgen war eisig, der Wind frisch, die Bäume seufzten. Der Winter stand vor der Tür, Schnee war im Anmarsch.
Hinten auf der Sandbahn ging Gunnar Holths Lot gerade in einen Kanter über, und wir beobachteten die Pferde, wie sie auf uns zukamen, in leichtem Galopp den Zielpfosten erreichten und oben, wo der Teich lag, den Bogen durchliefen. Ganz vorn ritt Paddy O’Flaherty mit seiner hellen Wollmütze — er führte das Feld an und bestimmte das Tempo. Da das Rennen am nächsten Tag stattfand, war dies nur eine Aufwärmübung, und die Pferde gingen auch schon wieder im Schritt und kehrten zum Stall zurück.
«Die nächste Haltestelle«, sagte ich,»ist Gunnar Holths Stall.«
Wir hielten gerade in dem Augenblick im Hof, als die Pferde von der Rennbahn zurückkamen und unter ihren Decken wie kochende Wasserkessel dampften. Gunnar Holth selbst sprang von Per Bj0rn Sandviks Whitefire, tätschelte dem Pferd kräftig
den Hals und wartete darauf, daß ich das Spiel eröffnete.
«Morgen«, sagte ich.
«Morgen.«
«Kann ich Sie mal sprechen?«
Er nickte resigniert, führte Whitefire in den Stall, kam zurück, machte eine Kopfbewegung in Richtung seines Bungalows und öffnete die Haustür. Erik zog es diesmal vor, im Auto sitzen zu bleiben, wofür ihm Gunnar Holth, der inzwischen Odin entdeckt hatte, dankbar zu sein schien.
«Kaffee?«
Die gleiche orangefarbene Kanne auf dem Ofen und wahrscheinlich auch der gleiche Kaffee.
«Ich suche Bob Shermans Sattel«, sagte ich.
«Seinen Sattel? Hat er ihn denn nicht dagelassen? Soweit ich gehört habe.«
«Ich dachte, Sie wüßten vielleicht, wer ihn hat. Ich möchte ihn gern wiederfinden. er gehört ja jetzt seiner Frau.«
«Und Sättel sind einiges wert«, sagte er mit einem Kopfnicken.
«Ich habe den Sattel aber nicht gesehen und weiß auch nicht, wer ihn hat.«
Ich fragte ihn noch zweimal in verdeckter Form und war schließlich überzeugt, daß er wirklich nichts wußte.