«Ich werde mal Paddy fragen«, sagte ich. Aber auch Paddy wußte nur wenig zum Thema beizutragen.
«Er war da, ganz bestimmt, bis sie den armen Teufel aus dem Wasser gezogen haben. Ich hab ihn mit Sicherheit noch am Tag des Grand National dort gesehen. Aber beim nächsten Meeting, also am Donnerstag danach, da war er weg.«
«Sind Sie ganz sicher?«
«So sicher wie ich hier stehe.«
Ich sagte milde:»Warum? Warum sind Sie so sicher?«
Seine Augenlider zuckten.»Also, was das angeht, ja.«
«Paddy«, sagte ich,»spucken Sie’s aus.«
«Äh.«
«Haben Sie ihn an sich genommen?«
«Nein«, sagte er entschieden,»das habe ich nicht. «Der Gedanke empörte ihn offensichtlich.
«Was ist denn mit ihm passiert?«
«Also gut. Sie müssen verstehen, der Bob, das war ’n echter Kumpel. und. na ja, ich war ganz sicher, daß er’s so gewollt hätte. «Er wurde langsamer und hörte ganz auf.
«Was gewollt hätte?«
«Hören Sie, das war kein Diebstahl oder irgend so was.«
«Paddy, was haben Sie gemacht?«
«Also. da war mein Helm, verstehen Sie, und da war sein Helm, da bei seinem Sattel. Na ja, und bei meinem Helm war ein Riemen gerissen, und Bobs hing da und war noch so gut wie neu, da hab ich sie einfach ausgetauscht.«
«Und das war am Tag des Grand National?«
«Genau. Und am nächsten Renntag, nachdem Bob gefunden worden war, da war sein Sattel weg. Und mein Helm auch.«
«Dann ist Bobs Helm also. hier?«
«So ist es. In der Kiste unter meiner Koje.«
«Würden Sie ihn mir für eine Weile ausleihen?«
«Ausleihen?«Er war überrascht.»Ich dachte, Sie würden ihn mir ganz wegnehmen wollen, wo er doch jetzt eigentlich seiner Alten gehört.«
«Ich denke, sie wäre froh, wenn Sie ihn behielten.«
«Das ist nämlich ein guter Helm, wirklich.«
Paddy ging, holte den Helm und übergab ihn mir — es war ein ganz gewöhnlicher, den Bestimmungen entsprechender, mit einem Kinnriemen versehener Sturzhelm für Jockeys. Ich dankte Paddy, sagte, er werde ihn zurückbekommen, winkte Gunnar Holth zum Abschied zu und begab mich auf die gefahrvolle Rückreise in die Stadtmitte von Oslo.
Zwischen Schwüngen und Stößen zog ich das Innenpolster aus dem Helm heraus und sah darunter nach. Keine Fotos, Papiere oder andere fehlende Objekte. Nur die schwarze, der Norm entsprechende Polsterung. Ich schob sie wieder hinein.
«Kein Erfolg?«erkundigte sich Erik mitfühlend, wobei er um Odin herum zu mir herübersah.
«Man muß alle Steine umdrehen.«
«Welcher Stein kommt jetzt?«
«Lars Baltzersen.«
Der Weg zu seiner Bank führte am Grand Hotel vorbei, weshalb ich dort kurz ausstieg und Bob Shermans Helm beim Hausdiener abgab, der schon meinen erneut gepackten Koffer in seine Obhut genommen hatte. Er meinte, er wolle auf alles, was ich ihm anvertraute, gut aufpassen. Ich gab ihm drei Zehnkronenscheine, und er nahm sich ihrer mit einem Lächeln an.
Lars hatte schon fast aufgegeben.
«Dachte schon, Sie hätten Ihre Meinung geändert«, sagte er und führte mich in sein Büro.
«Ich mußte einen Umweg machen«, sagte ich entschuldigend.
«Gut, jetzt, wo Sie da sind. «Er holte eine Flasche Rotwein und zwei Gläser aus einem diskreten Schrank und schenkte uns ein.
Sein Büro wies — wie das Sandviks und Torps — die typische skandinavische Einrichtung moderner Machart auf. Die Geschäftswelt mußte vermutlich zeigen, daß sie auf der Höhe der Zeit war, aber was die persönlichen Aspekte anbetraf, so waren diese Inneneinrichtungen als Informationsquelle denkbar unergiebig.
An Baltzersens Wänden gab es keine Karten. Statt dessen Bilder von Häusern, Fabriken, Bürogebäuden, fernen Häfen. Als ich ihn fragte, erklärte er mir, daß seine Bank hauptsächlich mit der Finanzierung von Industrieprojekten befaßt sei.
«Eine Handelsbank«, sagte er.»Wir betreiben außerdem eine Bausparkasse nach dem Muster der englischen Building Societies. Nur ist hier natürlich das Zinsniveau niedriger, so daß die Darlehen billiger kommen.«
«Beklagen sich da die Investoren nicht?«
«Sie erzielen fast denselben Gewinn wie britische Investoren. Das kommt daher, daß norwegische Bausparkassen keine hohen Steuern zahlen müssen. Es sind die Steuern, die die britischen Baudarlehen so teuer machen.«
Er erzählte mir, daß es in Norwegen sehr viele kleine Privatbanken gebe, die auch Bausparkassen betrieben, daß seine aber eine der größten sei.
«Um Oslo herum ist Bauland entsetzlich knapp«, sagte er.
«Für junge Paare ist es sehr schwer, ein Haus zu finden. Aber draußen auf dem Land, da stehen ganze Gehöfte leer und verfallen allmählich. Die alten Leute sind gestorben oder nicht mehr kräftig genug, um die Felder zu bestellen, und die jungen Leute haben dem harten Leben draußen den Rücken gekehrt und sind in die Stadt gezogen.«
«Überall dasselbe«, sagte ich.
Ihm seien die Holzhäuser die liebsten, sagte er.»Sie atmen.«
«Und wie steht’s mit Bränden?«
«Das war immer eine schreckliche Gefahr. Früher sind manchmal ganze Städte abgebrannt. Aber heute ist unsere Feuerwehr so schnell und so gut, daß man, wie ich höre, sein Haus schon unter Benzin setzen muß, wenn man es abbrennen will, um an die Versicherungssumme zu kommen. Andernfalls wird das Feuer schon beim Aufsteigen des ersten Rauchwölkchens gelöscht.«
Wir tranken unseren Wein, und Lars rauchte eine Zigarette. Ich fragte ihn nach seiner Zeit in London und nach seinen Autorennen in Schweden, aber er schien sich für das alles nicht mehr zu interessieren.
«Das ist Vergangenheit und vorbei«, sagte er.»Heute denke ich nur noch ans Bankgeschäft und an 0vrevoll.«
Er erkundigte sich, ob ich schon wisse, wer Bob Sherman umgebracht habe. In der Art, wie er die Frage formulierte, lag ein großes Zutrauen.
«Noch nicht«, antwortete ich.»Welche Höhe dürfen denn die Unkosten erreichen?«
Ich konnte ihn nicht auf einen bestimmten Betrag festnageln.
Es sah so aus, als gäbe es im Erfolgsfall keinerlei Begrenzung. Wenn ich keinen Erfolg hatte, dann war das Konto schon jetzt überzogen.
«Haben Sie schon irgendeine Idee?«fragte er.
«Ideen sind nicht genug.«
«Sie brauchen auch Beweise, nehme ich an.«
«Hm. ich muß es halt wie die Wilddiebe machen.«
«Wie meinen Sie das?«
«Fallen stellen«, antwortete ich.»Und nicht in die Fallen anderer Wilddiebe reinlaufen.«
Ich stand auf und verabschiedete mich. Auch er meinte, mein Besuch sei Zeitverschwendung gewesen, weil er mir schließlich nichts Brauchbares habe mitteilen können.
«Man kann nie wissen«, sagte ich.
Erik und ich aßen in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Polizeipräsidiums zu Mittag, weil ich vorhatte, nach dem Essen seinen Bruder aufzusuchen. Er habe ab zwei Uhr dienstfrei, hatte er mir am Telefon gesagt. Wenn das ausreiche, könnten wir uns treffen, bevor er nach Hause gehe.
Erik verbrachte den größten Teil der Mahlzeit damit, mir in allen Einzelheiten darzulegen, warum alle Revolutionen in Trübsal endeten — weil nämlich kein Revolutionär Sinn für Humor habe.
«Wenn die Aktivisten etwas von Komik verstünden«, meinte er,»würden die Arbeiter schon längst die Welt beherrschen.«
«Witzeerzählen sollte zum Schulfach gemacht werden«, schlug ich vor.
Er sah mich mißtrauisch an.»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
«Ich dachte, darum ginge es.«
«O Gott, ja«. Er lachte.»Sie haben recht. Warum nur verbringen Sie Ihr Leben mit der Schnüffelei?«
«Neugier.«
«Kann zu einem schlimmen Ende führen.«
«Seien Sie ruhig.«
«Pardon«, sagte er grinsend.»Jedenfalls sind Sie ja noch heil. Wie haben Sie sich eigentlich auf Ihre Tätigkeit vorbereitet? Gibt es so was wie eine Schule für Detektive?«