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Das kleine Mädchen war blond, ernst, in einen roten Anorak mit Kapuze eingepackt und erschien in Begleitung eines größeren, ungefähr dreizehnjährigen, schimpfenden Mädchens, das sich eigentlich um die Kleine hatte kümmern sollen und nun damit beschäftigt war, sich zu rechtfertigen. Knut gewann — wie schon bei dem Jungen auf der Rennbahn — schnell das Zutrauen des kleinen Mädchens, indem er sich vor ihm hinkauerte und in ruhigem Ton mit ihm plauderte.

Ich lehnte am Gitterzaun, und mir war kalt. Ich sah Erik zu, wie er immer wieder über Odins Fell strich, und es entging mir nicht, daß er mit seinen kleinen, beherrschten Gesten langsam eine gewaltige innere Anspannung abbaute. Odin schien das alles großen Spaß zu machen.

Knut stand auf und nahm das kleine Mädchen bei der Hand.

«Sie heißt Liv und ist vier Jahre alt. Sie wohnt ein paar hundert Meter von hier und hat mit ihrer Schwester im Park gespielt. Sie ist aus dem Tor dort hinten gekommen und die Straße hinuntergegangen. Ihre Schwester hatte ihr das zwar verboten, aber Liv meint, sie tue nie, was ihre Schwester ihr sage.«

«Die Schwester ist verdammt diktatorisch«, ließ sich Erik plötzlich hören.»Kleine Faschistin!«

«Liv sagt, da wäre ein Mann gewesen, der hätte hinten am Auto einen Bindfaden durchgeschnitten, und der große Hund hätte ihm durch die Scheibe zugeschaut. Sie wäre stehengeblieben und hätte auch zugesehen. Sie hätte hinter dem Mann gestanden, der sie weder gesehen noch gehört hätte. Sie sagt, er hätte etwas aus seinem Mantel hervorgeholt und in den Kofferraum gelegt, aber sie hätte nicht erkennen können, wie es ausgesehen habe. Der Mann hätte dann versucht, den Kofferraum wieder zuzumachen, aber die Schnur wäre zu kurz gewesen, weil er sie ja durchgeschnitten hatte. Er hätte den Bindfaden wieder in die Tasche gesteckt und im gleichen Augenblick sie, Liv, bemerkt. Er hätte ihr gesagt, sie solle weggehen, aber Liv scheint ein Kind zu sein, das immer das Gegenteil von dem tut, was man ihm sagt. Sie wäre also zum Auto hingegangen und hätte sich durch die Seitenfenster den Hund angesehen, der Hund hätte jedoch immer weiter zum Heckfenster hinausgeschaut. Da hätte der Mann sie geschüttelt und ihr gesagt, sie solle sofort nach Hause laufen und ja nicht in der Nähe des Autos spielen. Dann wäre er weggegangen.«

Knut sah auf die kleine Schar der Kinder hinab, die sich wieder um Liv zu sammeln begann.

«Sie gehört zu den Kindern, die andere anziehen. Wie jetzt. Die anderen Kinder, sagt sie, wären aus dem Part, gekommen, und sie hätte ihnen von dem Mann erzählt und wie er den Bindfaden zerschnitten und dann versucht hätte, damit den Kofferraum wieder zuzubinden. Wie es scheint, hat sie das am meisten interessiert. Dann kam ein Polizist auf seinem Weg zum Nachmittagsdienst vorbei, und er hat die Kinder gefragt, warum sie dort herumstünden.«

«Und dann kamen wir?«

«Ja.«

«Hat Liv auch gesagt, wie der Mann aussah?«

«Groß, sagt sie. Aber für kleine Mädchen sind ja alle Männer groß.«

«Konnte sie sein Haar sehen?«

Knut fragte das Mädchen. Liv antwortete ihm. Knut sagte:

«Sie sagt, er hätte eine Wollmütze aufgehabt, wie ein Seemann.«

«Was hatte er für Augen?«

Knut fragte. Sie hob ihre klare, hohe, feste Stimme, und alle Kinder schienen interessiert.

«Er hätte gelbe Augen gehabt. Scharf wie die eines Vogels.«

«Hatte er Handschuhe an?«

Knut befragte Liv.»Ja«, berichtete er.

«Was für Schuhe?«

Zurück kam die Antwort: große, weiche, wie man sie auf einem Boot trägt.

Kinder waren doch die besten Zeugen, die es auf Erden gab. Ihre Augen sahen klar, ihr Gedächtnis war genau, und ihre Eindrücke wurden nicht auf ihre Wahrscheinlichkeit hin geprüft oder durch Vorurteile interpretiert. Als Liv noch etwas hinzufügte, was Knut, Erik und die anderen Kinder zum Lachen brachte, fragte ich, was sie gesagt hatte.

«Sie muß sich geirrt haben«, sagte Knut.

«Was hat sie denn gesagt?«

«Sie sagte, er hätte einen Schmetterling am Hals gehabt.«

«Fragen Sie sie, was für eine Art von Schmetterling«, sagte ich.

«Es ist zu spät für Schmetterlinge«, meinte Knut geduldig.

«Zu kalt.«

«Fragen Sie sie, wie er aussah«, drängte ich.

Er zuckte die Achseln, fragte das Mädchen aber. Die Antwort überraschte ihn offensichtlich, denn Liv nickte bei ihrer Beschreibung des Schmetterlings immer wieder kurz und entschieden mit dem Kopf. Sie wußte, daß sie einen Schmetterling gesehen hatte.

Knut sagte:»Sie meint, er hätte ihm hinten auf dem Hals gesessen. Sie hätte ihn sehen können, weil er den Kopf runtergebeugt hätte. Der Falter wäre zwischen der Wollmütze und dem Kragen zu sehen gewesen und hätte sich nicht bewegt.«

«Welche Farbe hatte er?«

Knut befragte das Mädchen.»Dunkelrot.«

«Ein Muttermal?«

«Könnte sein«, meinte Knut. Er stellte dem Mädchen noch ein paar weitere Fragen und nickte mir dann zu.»Ich denke, es war eins«, sagte er.»Sie sagt, der Schmetterling hätte zwei Flügel gehabt, die geöffnet und ganz flach gewesen seien, einer aber größer als der andere.«

«Jetzt brauchen wir also nur noch einen großen Mann mit gelben Augen und einem schmetterlingsförmigen Muttermal.«

«Oder einen kleinen Mann«, sagte Erik,»mit der Sonne in den Augen und einem ungewaschenen Hals.«»Keine Sonne«, sagte ich. Der bleigraue Himmel lastete auf allem wie eine Armeedecke, schwer und ohne jede Wärme. Mein inneres Frösteln hatte jedoch nur wenig mit der Kälte zu tun.

Knut schickte jetzt den Polizisten mit dem Auftrag los, die für Fingerabdrücke und Sprengstoffe zuständigen Experten herbeizuholen. Dann notierte er sich die Namen und Anschriften der meisten Kinder. Die Zuschauermenge wurde ein bißchen größer, und Erik fragte Knut unruhig, wann er nach Hause fahren könne.

«Womit denn?«fragte Knut anzüglich, und so stapften wir beinahe noch eine Stunde auf dem Bürgersteig hin und her.

Bei Einbruch der Dunkelheit kehrten wir in Knuts Büro zurück. Er zog den Mantel aus, nahm die Mütze ab und sah noch müder aus als vorher.

Ich fragte ihn, ob ich mal telefonieren dürfe, und rief bei Sandviks an, um mich für mein Ausbleiben zu entschuldigen. Ich bekam schließlich die Frau von Per Bj0rn an den Apparat, die erklärte, ihr Mann sei nicht zu Hause.

«Mikkel hat auf Sie gewartet, Mr. Cleveland«, sagte sie in einem Englisch mit starkem Akzent,»aber nach einer Stunde ist er mit einem Freund fortgegangen.«

«Bitte sagen Sie ihm doch, daß es mir sehr leid tut.«

«Ich werde es ausrichten.«

«Welche Schule besucht er eigentlich?«

«Das College in Gol«, antwortete sie, besann sich dann aber eines Besseren.»Ich glaube nicht, daß mein Mann.«

Ich unterbrach sie.»Ich frage mich gerade, ob es nicht möglich wäre, heute abend mit ihm zu sprechen, bevor er zurückfährt.«

«Oh. Er fährt mit seinen Freunden zurück. Sie sind schon unterwegs.«

«Na, macht nichts.«

Ich legte auf. Knut beschaffte gerade Kaffee.

«Wo ist das College von Gol?«fragte ich.

«Gol liegt in den Bergen, an der Strecke nach Bergen, der Stadt. Im Winter ist es ein Skiort. Das College ist ein Internat für reiche Jungen. Wollen Sie ganz bis dahin fahren, um mit Mikkel zu reden? Er weiß nichts über den Tod von Bob Sherman. Als ich mit ihm gesprochen habe, war er ganz fassungslos, daß sein Freund auf diese Weise umgekommen war. Er hätte mir geholfen, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre.«

«Wie fassungslos? Hat er geweint?«

«Nein, geweint nicht. Er wurde blaß. War sehr schockiert. Zitterte. War eben fassungslos.«

«Aufgebracht?«

«Nein. Warum sollte er aufgebracht gewesen sein?«

«Im allgemeinen werden Menschen ganz wild, wenn ihre Freunde ermordet werden. Sie würden den Mörder nur zu gern erwürgen, oder nicht?«