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Ich hatte noch gar nicht registriert, daß auf jeder Fahrkarte eine Sitzplatznummer des entsprechenden Zuges stand, aber so war es.

«Ich werde mal sehen, ob ich meine nicht tauschen kann, damit ich neben dir sitze«, sagte er und sauste los. Während er fort war, fand ich meine Nummer, einen Fensterplatz in Fahrtrichtung, ungefähr in der Mitte eines der großen, luftigen Wagen. Ein paar Minuten vor der Abfahrtszeit war etwa die Hälfte aller Plätze mit seriös aussehenden Reisenden besetzt, und es gelang mir, nur zweimal über die Schulter zu sehen.

Arne kehrte mit zufriedenem Gesichtsausdruck und der Fahrkarte für den Platz neben mir zurück.

«So ist’s besser«, sagte er und sah sich, bevor er sich setzte, alle ehrenwerten Mitreisenden sehr genau an.»Ich hätte am Fahrkartenschalter auf dich warten sollen. hab leider nicht rechtzeitig dran gedacht.«

Draußen vor dem Abteilfenster erschien plötzlich — immer noch in Begleitung Odins — Erik auf dem Bahnsteig, klopfte an die Scheibe, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, und bedeutete mir mit heftigen Bewegungen, daß er mir etwas sagen müsse. Ich zeigte in Richtung hintere Wagenhälfte, schob mich unter Entschuldigungen an Arne vorbei und ging zur Tür, um zu hören, was Erik mir zu sagen hatte.

«Ich habe ihn gesehen«, sagte er und stotterte fast vor Dringlichkeit.»Steigen Sie aus und kommen Sie mit.«

«Wen gesehen?«

«Er fährt ab, wenn Sie nicht schnell aussteigen. Den Mann, der die Bombe gelegt hat. Groß, mit schmetterlingsförmigem Muttermal. Ich hab’s gesehen. Er hat eine Fahrkarte gekauft. da ist ihm Wechselgeld runtergefallen, und er hat sich gebückt, um es aufzuheben. Da hab ich seinen Hals gesehen. seine Augen auch. Sie sind wirklich irgendwie gelblich. Sehr hell, leuchtend und eigenartig. Beeilen Sie sich, David. Er hatte auch noch einen zweiten Mann bei sich. Sie sind in diesen Zug hier eingestiegen, hinten in den letzten Wagen.«

Ein Pfiff ertönte. Vor lauter Frustration tanzte Erik schon herum.

«Steigen Sie aus, so steigen Sie doch aus.«

Ich schüttelte den Kopf.»Ich werde denen schon irgendwie ausweichen. «Der Zug setzte sich langsam in Bewegung.»Vielen Dank. Wir sehen uns heute nachmittag. Daß Sie mir auch kommen!«

«Selbstverständlich komme ich.«

Der Zug wurde immer schneller und meine Beschützer mit jeder Sekunde kleiner, bis ich die Verwirrung auf Eriks Gesicht und den geduldigen Mangel an Verständnis auf dem Odins nicht mehr erkennen konnte.

«Wer war denn das?«fragte Arne, als ich mich wieder neben ihn setzte.

«Jemand, den ich angeheuert habe, damit er mich in Oslo fährt.«

«Sieht für einen Chauffeur etwas ungewöhnlich aus, nicht wahr?«

Ich lächelte.»Sein Fahrstil ist auch ganz schön haarsträubend.«»Erzähl mir etwas über den Mann, mit dem wir uns treffen wollen.«

«Ich weiß eigentlich nicht sehr viel über ihn. Er sagte, er heiße Johan Petersen.«

Arne knurrte:»Johan Petersens gibt es jede Menge.«

«Er sagte, er sei an dem Tag, an dem Bob Sherman verschwand, bei den Rennen gewesen und würde mir dazu gern etwas mitteilen. Er wohne in Lillehammer und arbeite auf dem dortigen Holzplatz. Ich bat ihn, nach Oslo zu kommen, aber er meinte, er könne den Tag nicht frei kriegen. Er könne sich jedoch heute während seiner Mittagspause mit mir treffen. Es war äußerst schwer, ihn zu verstehen, denn er sprach nur sehr wenig Englisch. Wenn du dabei bist, wird’s besser gehen.«

Arne nickte, blinzelte wie immer. Der Zug nahm die Dinge leicht, glitt ruhig in typisch norwegischer, gemächlicher Manier durch die äußeren Vororte Oslos.

«Wie wirst du ihn erkennen?«

«Er sagte, er würde mich erkennen. Ich solle nur in Richtung Brücke gehen und eine englische Zeitung dabeihaben.«

«Hast du eine mitgebracht?«

Ich nickte.»Steckt in der Manteltasche.«

Der Zug war gut geheizt. Es wurde damit gerechnet, daß die Reisenden ihre Mäntel ablegten, denn es gab hinten im Wagen eine Metallschiene mit Kleiderbügeln — und dort hingen Arnes und mein Mantel nebeneinander.

Die Strecke führte nach Norden durch Ackerland und Wälder und an einem großen See entlang. An jedem anderen Tag hätte mir diese Fahrt großen Spaß gemacht, aber es war eigentümlich, wie schon ein bißchen Angst ausreichte, um die Aufmerksamkeit nicht über die allernächste Umgebung hinausgelangen zu lassen. Das alte Gelbauge und sein Kumpel waren ungemütlich nahe, und mein zwanghaftes Über-die-

Schulter-Blicken wurde durch Mitreisende, die im Gang hin und her liefen, sogar noch schlimmer. Bei jedem Knallen der Türen zwischen den Wagen mußte ich hinsehen und mich vergewissern.

Eine Frau in blauem Overall schob einen Servierwagen herein und bot heiße Getränke, Kekse und Süßigkeiten an. Arne erstand einen Kaffee für mich. Der Servierwagen rollte weiter, und die Tür knallte hinter der Frau zu.

In einer größeren Stadt, in Hamar, hatten wir einen längeren Aufenthalt. Hamar war ein Eisenbahnknotenpunkt mit vielen offenen, zugigen Bahnsteigen, und nichts deutete auf das Rangieren von Waggons oder irgendeine anders geartete Geschäftigkeit hin. Schließlich ging es weiter, jetzt in schnellerem Tempo in Richtung Lillehammer. Die Bahnfahrt sollte insgesamt zweieinhalb Stunden dauern.

«Ich habe dich am Sonntag bei den Rennen vermißt«, sagte Arne.

«Ja, eigentlich wollte ich auch rauskommen, aber dann war es so kalt.«

Er warf mir einen Blick freundlicher Verachtung zu.

«Könnte sein, daß ich bald nach Hause zurückfliege«, sagte ich.

«Wirklich?«Er war überrascht.»Ich dachte. du würdest hierbleiben, bis du herausbekommen hast.«

«Sicher, aber nach unserer heutigen Reise müßten wir eigentlich mehr wissen. Mit ein bißchen Glück. Und dann ist da der Schlüssel.«

«Was für ein Schlüssel?«

«Ich habe in Bob Shermans Sturzhelm den Schlüssel zu einem Gepäckschließfach gefunden.«

«Nein!«

Ich nickte und erzählte ihm von der Fährte, der ich bis zu

Paddy O’Flaherty gefolgt war.»Du siehst also, daß wir, auch wenn ich bald nach Hause fliege, die meisten Antworten bis dahin gefunden haben müßten.«

Arne war begeistert.»Das ist ja großartig«, sagte er.»Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was in dem Schließfach ist, zu dem der Schlüssel gehört. «Er hatte eine Idee.»Vielleicht ist es ja das Geld. In den Segeltuchtaschen. du weißt doch, dieses Geld, das gestohlen worden ist.«

«Das ist ein Gedanke«, sagte ich. Aber ich unterließ es, ihm zu erklären, was tatsächlich in dem Schließfach gewesen war — dazu war auch später noch Zeit. Nach der Art zu schließen, wie die Mitreisenden auf standen und sich die Mäntel anzogen, mußten wir unser Ziel bald erreicht haben. Der Zug fuhr am Mj0sa-See entlang, und in der Ferne konnte ich den Holzplatz erkennen — eine riesige Fläche von Baumstämmen, die im Wasser schwammen.

Arne half mir in den Mantel, und ich ihm. Er lächelte ein bißchen traurig.

«Du wirst Kari und mir fehlen.«

«Ich werde eines Tages wiederkommen. Ich mag Norwegen sehr.«

Er nickte. Der Zug passierte das Ende der Brücke nach Gj0vik, fuhr langsam bergan, lief noch langsamer in den Bahnhof von Lillehammer ein und kam mit einem Seufzer zum Stehen. Als wir ausstiegen, umfing uns ein eisiger Wind, der Himmel war grau und wolkenverhangen. Soviel, dachte ich, zu diesen Ferienpostern voller Sonne, Schnee und glücklichen Menschen auf Skiern, die ihre Sonnenbräune und ihre Zähne zeigen. Es war auch seltsam, daß keiner dieser weit im Norden liegenden, eisigen Bahnhöfe schützende Dächer über den Bahnsteigen hatte. Aber vielleicht stand ja kein Mensch wartend draußen herum, so daß Dächer überflüssig waren. Dadurch erinnerten diese Bahnhöfe noch immer an die letzte Szene der Anna-

Karenina-Verfilmung.

«Kommst du, David?«fragte Arne.