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«Ja doch. «Ich hörte auf, mich immer wieder umzudrehen, und folgte ihm in die Schalterhalle. Ganz hinten auf dem Bahnsteig hatten sich zwei Männer schnell am Bahnhofsgebäude vorbei und in Richtung der zur Brücke hinunterführenden Straße in Bewegung gesetzt. Der eine war groß. Der andere von gleicher Statur wie der Mann, der in meiner Wohnung über mich hergefallen war. Sie waren allerdings zu weit entfernt, als daß ich es hätte beschwören können.

Trotzdem war ich meiner Sache sicher.

In der kleinen Bahnhofshalle standen überall Reisende herum, die mit leerem Gesichtsausdruck darauf warteten, daß die Zeit verging. An den Seiten befanden sich Sitzgelegenheiten, Türen zu Toiletten, ein Fahrkartenschalter — alle Serviceangebote in einem zentralen Bereich. Arne sagte, er würde gerne nochmal schnell telefonieren, bevor wir uns zu dem Treffen mit unserem Informanten aufmachten.

«Nur zu«, sagte ich.

Ich beobachtete ihn durch die Glaswand der Telefonzelle, wie er ein Geldstück in den Schlitz steckte und dann ernsthaft in die Muschel sprach. Er redete eine ganze Weile und kam dann lächelnd wieder heraus.

«Alles erledigt. Gehen wir«, sagte er.

«Arne. «Ich zögerte.»Ich weiß, es klingt albern, aber ich möchte nicht gehen.«

Er sah aus, als hätte es ihm die Sprache verschlagen. Dann sagte er jedoch:»Aber warum denn nicht? Dieser Mann hat vielleicht gesehen, wer Bob Sherman umgebracht hat.«

«Ich weiß. Aber. ich kann es nicht erklären. Ich habe. so ein ganz irres, unheimliches Gefühl, eine Art Vorahnung. Ich kenne das von früher. ich kann. ich kann mich nicht darüber hinwegsetzen. Irgend etwas sagt mir, daß ich nicht hingehen soll. Und deshalb gehe ich auch nicht hin.«

«Aber David«, sagte er,»das ist doch verrückt.«

«Ich kann’s nicht ändern. Aber ich gehe nicht hin.«

«Und was wird mit dem Mann?«

Ich sagte hilflos:»Ich weiß es nicht.«

Arne wurde ungeduldig. Er versuchte es mit Beleidigungen, er versuchte es mit Schmeicheleien — ich gab nicht nach.

Zuletzt sagte er:»Gib mir die Zeitung. Ich spreche mit ihm.«

«Aber wenn mir meine Vorahnung sagt, daß auf der Straße dort eine Gefahr lauert«, wandte ich ein,»dann muß es auch für dich gefährlich sein. Ich hatte schon einmal im Zusammenhang mit einer Straße so ein Vorgefühl. ich wollte nicht weitergehen, und ein paar Sekunden später krachten ein paar Tonnen Baugerüst genau auf die Stelle herunter, an der ich sonst gerade angelangt wäre. Wenn mir seitdem ein starkes Gefühl sagt, daß ich etwas nicht tun soll, dann tue ich es auch nicht.«

Er blinzelte mich ernst an.»Wenn ich irgendein Baugerüst sehe, dann werde ich mich davon fernhalten. Aber wir müssen zu dem Treffen mit diesem Johan Petersen und uns seine Geschichte anhören. Gib mir die Zeitung.«

Widerwillig übergab ich ihm den Express vom Vortag.

«Ich warte hier auf dich«, sagte ich.

Er nickte, noch immer nicht zufriedengestellt, und machte sich allein auf den Weg. Ich suchte mir als Sitzplatz das Ende einer der Bänke aus, wo ich eine solide Wand im Rücken und eine neben mir hatte. Auf meiner anderen Seite saß ein pummeliges junges Mädchen in einem zottigen Schaffellmantel und aß geräuschvoll ein Fischbrötchen.

Ein paar Leute betraten die Halle. Ein Zug kam an und nahm die meisten von ihnen mit, meine Banknachbarin eingeschlossen. Die Zeit verging sehr langsam.

Anderthalb Stunden Zeit zwischen unserer Ankunft und der Abfahrt des Zuges zurück nach Oslo. Anderthalb Stunden, die totgeschlagen werden mußten. Berichtigung, dachte ich gequält. Anderthalb Stunden, die es zu überleben galt. Ich wünschte, ich würde rauchen, Fingernägel kauen oder Yoga betreiben, dachte ich. Ich wünschte, mein Herz würde nicht jedesmal einen Satz machen, wenn draußen vor dem Fenster zwei Leute nebeneinander vorbeigehen. Ich wünschte, ich wüßte, was Gelbauge und Braunauge über einen Mord in aller

Öffentlichkeit denken! Denn wenn ich sicher sein könnte, daß sie ein solches Risiko nicht eingehen würden, könnte ich mir eine Menge Sorgen sparen. So aber saß ich da, wartete, geriet langsam ins Schwitzen und hoffte, daß ich richtig eingeschätzt hatte, wie weit sie gehen würden.

Als die ersten Reisenden, die den Zug nach Oslo nehmen wollten, auf dem Bahnhof eintrafen und sich ihre Fahrkarten kauften, löste ich für Arne und mich auch welche. Ich verlangte gezielt nach den beiden sichtbarsten Plätzen im Wagen, die ich mir auf der Herfahrt eingeprägt hatte, und obwohl es

einigermaßen schwierig war, dem Bahnbeamten, der nur wenig Englisch konnte, klarzumachen, was ich wollte, bekam ich die gewünschten Plätze.

Als ich mich wieder in meine schützende Ecke zurückzog, kam ich neben einen älteren Herrn zu sitzen, dessen längliches, gelbliches Gesicht von einer Mütze mit Ohrenklappen gekrönt wurde. Er hatte mich am Fahrkartenschalter englisch sprechen hören und brannte nun darauf, mir zu erzählen, daß er im vergangenen Jahr mit Sohn und Schwiegertochter in England gewesen war. Ich ermutigte ihn ein bißchen und erhielt dafür eine ins einzelne gehende Führung vom Tower Hill über

Westminster Abbey bis zur National Gallery. Als Arne eine

Viertelstunde vor Abfahrt des Zuges zurückkehrte, plauderten mein Banknachbar und ich schon wie alte Bekannte.

Arne sah beunruhigt aus. Ich stand auf und ging ihm entgegen, wobei ich auf den älteren Herrn deutete.»Wir haben uns gerade über London unterhalten.«

Arne sah den Mann an, ohne ihn richtig wahrzunehmen, und unterbrach mich abrupt:»Er ist nicht gekommen.«

«O nein!«sagte ich.

Arne schüttelte den Kopf.»Ich habe gewartet. Ich bin zweimal bis zur Brücke hinuntergegangen. Ich hab die Zeitung deutlich sichtbar gehalten. Aber niemand hat mich angesprochen. Da ist nicht einmal jemand vorbeigekommen, der so aussah, als suchte er jemanden.«

Ich äußerte mich enttäuscht:»So ein verdammter Mist. Es tut mir leid, Arne, daß ich dir einen ganzen Tag gestohlen habe. aber er klang so bestimmt. Vielleicht ist er ja ohne eigenes Verschulden aufgehalten worden, und wir sollten mal beim Holzplatz anrufen.«

«Das habe ich schon getan«, sagte er.»Dort arbeitet kein Johan Petersen.«

Wir starrten uns an.

Ich sagte niedergeschlagen:»Und ich habe so fest damit gerechnet, daß er uns eine wirklich wichtige Mitteilung macht.«

Er sah mich unsicher an.

«Meine Vorahnung war also vollkommen unzutreffend«, sagte ich.

«Ich hab’s dir ja gesagt.«

Er wollte seine Brieftasche herausholen.

«Ich hab die Fahrkarten schon besorgt«, sagte ich und zeigte sie ihm.»Zwei Plätze nebeneinander.«

«Oh. gut.«

Der Zug lief ein, dunkelrot und silbern, und wir stiegen ein. Die Plätze waren genau das, was ich mir erhofft hatte — ganz am Ende des Wagens, mit der Rückenlehne zur Garderobe, aber allen anderen Plätzen gegenüber. Das Glück wollte es, daß mein ältlicher Freund, der mit dem London-Urlaub, drei Reihen weiter am Gang saß. Er hatte Arne und mich voll im Blick und winkte uns lächelnd zu. Ich erzählte Arne, wie freundlich der Mann gewesen war.»Wie alle Norweger«, fügte ich hinzu.

Arne warf einen schnellen Blick über die Schulter. Nur eine Reihe Kleiderbügel, auf denen Mäntel hingen — trotzdem sah er nicht glücklich aus.

Zwei junge Mädchen mit strahlenden Augen kamen herein und setzten sich uns direkt gegenüber. Ich nahm meine Füße aus dem Weg und lächelte sie an. Sie lächelten zurück und sagten etwas in ihrer Muttersprache.

«Ich bin Engländer«, sagte ich, und sie wiederholten» Engländer«, nickten und lächelten wieder.»Und das ist mein Freund Arne Kristiansen. «Sie schrieben diese Vorstellung der Exzentrizität von Ausländern zu und sagten kichernd» Hallo «zu ihm. Arne erwiderte ihren Gruß, aber er hätte ihr Vater sein können und war an ihrem Jungmädchengeplauder nicht interessiert.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Wir sprachen eine Weile über das Nicht-Erscheinen von Johan Petersen, und ich meinte, wir müßten eben einfach darauf hoffen, daß er sich noch einmal melden werde.