«David! Ich kann es gar nicht glauben! Ich habe dich als ertrunken gemeldet. «Er umfaßte meine beiden Hände und schüttelte sie herzlich.»Komm herein, komm herein, mein Lieber, und erzähl mir, wie du gerettet worden bist. Ich war so traurig. ich habe Kari gerade.«
Seine Frau nickte, war so glücklich wie er.
Der Polizeibeamte hinter mir sagte:»Allem Anschein nach ist Mr. Kristiansen also doch nicht ertrunken«, eine Äußerung, die uns in unserem Zustand größter Erleichterung ungeheuer komisch vorkam. Wir brachen alle in Lachen aus. Selbst der Polizist lächelte.
«Mich hat ein Fischer in der Nähe von Nesodden aufgesammelt«, erklärte ihm Arne.»Ich habe den Unfall der Polizei dort gemeldet. Sie sagten mir, sie würden ein Boot rausschicken und nach Mr. Cleveland suchen, hatten aber keine große Hoffnung, ihn noch zu finden. Ich rufe besser gleich mal dort an.«
«Danke«, sagte der Polizist,»das wäre gut. «Und dann lächelte er uns alle noch einmal an und ging.
Kari Kristiansen schloß die Wohnungstür, sagte, mich nun ebenfalls duzend:»Komm herein, das müssen wir feiern«, und führte mich ins Wohnzimmer. Dort dröhnte Beethoven vor sich hin, und sie stellte den Apparat ab.»Arne macht immer laute Musik, wenn er aus dem Gleichgewicht geraten ist«, sagte sie.
Arne telefonierte draußen im Flur, und aus dem erklärenden Strom norwegischer Worte konnte ich meinen mit Erstaunen und Erleichterung ausgesprochenen Namen heraushören.
«Es ist wunderbar«, sagte er, als er, sich die Hände reibend, zu uns hereinkam.»Wunderbar. «Er bedeutete mir, ich solle mich auf das tiefe, bequeme Sofa vor dem fröhlich im Kamin brennenden Holzfeuer setzen.»Die Polizei in Nesodden meint, sie hätten ein Boot rausgeschickt und nach dir gesucht, aber es sei so dunkel und regnerisch gewesen, daß sie nichts mehr hätten sehen können.«
«Es tut mir leid, daß ich ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe«, sagte ich.
«Mein lieber Freund…«: Er spreizte die Finger.»Das ist doch nicht der Rede wert. Und jetzt trinken wir einen Schluck, was? Zur Feier des Tages!«
Er schenkte aus einer Flasche, die bereits geöffnet auf einem kleinen Beistelltischchen gestanden hatte, Rotwein ein.
«Arne war den ganzen Abend so deprimiert«, sagte Kari.»Es ist wirklich ein Wunder, daß ihr beiden gerettet worden seid.«
Wir tauschten unsere Geschichten aus. Arne hatte sich seine roten Klamotten vom Leib gerissen und die Gummistiefel sofort von den Füßen gestreift (ich hätte wahrscheinlich wissen können, daß ein Mann, der auf dem Meer zu Hause ist, sehr lose sitzende Gummistiefel trägt). Er hatte dann ein paar Minuten lang meinen Namen gerufen und nach mir gesucht, aber keine Spur von mir entdecken können.
«Als ich dich zum letzten Mal sah«, sagte er entschuldigend,»warst du noch im Boot, und da nahm ich an, daß dich die
Motorjacht erwischt haben mußte, und als ich dich dann nicht finden konnte, dachte ich, daß du bestimmt schon tot wärst.«
Er sei daraufhin losgeschwommen, berichtete er. Und da er sehr viel mehr als ich über Gezeiten und Winde wußte, hatte er fast genau die entgegengesetzte Richtung gewählt. Er war schließlich in der Nähe der Küste von einem kleinen heimfahrenden Fischerboot aufgenommen worden, das aber nicht mehr genug Treibstoff hatte, um noch in den Fjord hinauszufahren und nach mir zu suchen. Es hatte ihn jedoch in die kleine Stadt gebracht, wo er der Polizei mein Verschwinden gemeldet hatte. Schließlich war er mit einem Mietboot nach Oslo weitergefahren.
Meine Geschichte war der seinen derart ähnlich, daß sie in zwei Sätzen erzählt war: Ich hatte schwimmend eine Insel erreicht. Zwei Männer hatten mich in ihrem Boot in die Stadt zurückgebracht.
Arne wühlte in einem unordentlichen Haufen Papier und zog triumphierend eine Karte daraus hervor. Er entfaltete sie, deutete auf den Teil des Fjords, wo er am breitesten war, und zeigte Kari und mir die Stelle, an der unser Boot gesunken war.
«Ausgerechnet da!«rief Kari aus.»Warum seid ihr denn so weit rausgefahren?«
«Du kennst mich doch«, sagte Arne und faltete die Karte wieder zusammen.»Ich bin eben gern in Bewegung.«
Sie sah ihn nachsichtig an.»Du meinst, du hast es nicht gern, wenn man dir folgt.«
Arne machte ein erschrockenes Gesicht, aber daß er unter Verfolgungswahn litt, war so unübersehbar wie Gulliver in Liliput.
Ich sagte:»Die Polizei hat mich gefragt, ob ich den Namen der Motorjacht erkennen konnte.«
«Konntest du?«fragte Arne.
Ich schüttelte den Kopf.»Nein. Und du?«
Er blinzelte sich durch eine dieser irritierenden Schweigephasen, in die er schon bei der allereinfachsten Frage zu verfallen schien, und sagte am Ende nur:»Nein.«
«Ich glaube, es war überhaupt kein Name da«, sagte ich.
Beide sahen mich überrascht an.
«Da muß aber doch einer gewesen sein«, meinte Kari.
«Also. mir hat sich nichts eingeprägt. kein Name, keine Zulassungsnummer, kein Heimathafen. Vielleicht gibt’s das ja bei euch in Norwegen nicht.«
«Aber natürlich«, sagte Kari verwirrt.»Natürlich sind diese Angaben auch bei uns üblich.«
Arne dachte gründlich nach und sagte dann:»Sie fuhr zu schnell. und direkt auf uns zu. Sie muß einen Namen gehabt haben. Wir konnten ihn bloß nicht sehen. «Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, als ob das Thema damit erschöpfend behandelt worden wäre. Ich nickte kurz und ließ es dabei bewenden, war aber sicher, daß auf dem heranbrausenden schwarzen Schiffsrumpf nichts anderes zu sehen gewesen war als schwarze Farbe. Wie, so fragte ich mich, stand es wohl in dieser Meerenge mit Schmugglern?
«Schade«, sagte ich.»Du hättest sonst vielleicht Schadensersatz für dein Dinghi bekommen.«
«Es ist versichert«, erwiderte er.»Mach dir da mal keine Sorgen.«
Kari meinte:»Es ist eine Schande, daß das Boot nicht gestoppt hat. Die müssen den Stoß doch gespürt haben. selbst eine so große und schnelle Motorjacht, wie es nach Arnes Bericht eine war, kann doch wohl kein Dinghi rammen, ohne daß irgend jemand an Bord etwas merkt.«
Unfall mit Fahrerflucht, dachte ich unernst. Passiert auf den Straßen, warum soll’s nicht auch auf dem Wasser vorkommen?
«Arne hatte schon Angst, du könntest nicht schwimmen.«
«Ich schaffe ein paar Bahnen im Becken«, sagte ich.»Aber an solche Langstrecken habe ich mich noch nie gewagt.«
«Du hattest Glück«, sagte sie ernst.
«Arne auch. «Ich sah ihn nachdenklich an, denn ich war gute zehn Jahre jünger als er und der totalen Erschöpfung sehr nahe gewesen.
«O nein. Arne ist ein hervorragender Schwimmer. Überhaupt ein großer Sportler. Sehr fit und ausdauernd. «Sie lächelte ironisch, aber der Stolz der Ehefrau war doch spürbar.»Er hat früher oft bei Langlaufrennen gewonnen.«
Es war mir nicht entgangen, daß in einer Nische im Flur mehrere Paare Skier, Squash-Schläger, Angelruten, Wanderschuhe und ein halbes Dutzend Anoraks in der Art des verlorengegangenen roten zusammengewürfelt waren. Einem Mann wie Arne, der gern in Bewegung war, stand durchaus die entsprechende Ausrüstung zur Verfügung.
«Hast du eigentlich schon etwas gegessen?«fragte Kari plötzlich.»Ich meine, seit deinem Schwimmausflug? Hast du überhaupt ans Essen gedacht?«
Ich schüttelte den Kopf.»Ich glaube, ich habe mir nur Sorgen um Arne gemacht.«
Sie stand lächelnd auf.»Arne hatte auch keinen Appetit aufs Abendessen. «Sie sah auf die Uhr. Zehn Minuten vor zehn.»Ich werde euch beiden mal was holen«, sagte sie.
Arne blickte ihr liebevoll nach, als sie in die Küche entschwand.
«Wie findest du sie? Ist sie nicht hübsch?«
Normalerweise mochte ich Männer nicht, die einen dazu aufforderten, ihre Frauen zu bewundern, als ob es sich um Besitztümer wie Autos oder dergleichen handelte, aber an diesem Abend war ich bereit, Arne eine ganze Menge nachzusehen.