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«Ja, in Ordnung.«

Wir warteten.

Es wurde immer dunkler, bis das einzige noch vorhandene Licht die Spiegelung des Fensters in seinen Augen zu sein schien. Ich konnte Mikkels Augen immer noch sehen, als sich der Rest von ihm schon längst in einen gestaltlosen Schatten aufgelöst hatte — zwei lebendige Signale der gequälten Seele eines Menschen, der sich verzweifelt vor der Hilfe fürchtete, die er so verzweifelt nötig hatte.

Es mußte ihm genauso klar geworden sein wie mir, daß ich ihm nach Einbruch der Dunkelheit die Flinte wegschnappen könnte, denn er rutschte unruhig auf dem Fußboden hin und her und murmelte irgend etwas auf norwegisch vor sich hin. Schließlich sagte er mit einer wieder sehr viel normaler klingenden Stimme:»Da ist eine Lampe, in einem Karton. Ganz oben auf dem Stapel.«

«Soll ich sie suchen und anzünden?«

«Ja.«

Ich stand steif auf, froh über die Gelegenheit, mich bewegen zu können, aber ich spürte auch, daß er die Flinte hob, damit ich blieb, wo ich hingehörte.

«Ich werde nicht versuchen, dir die Flinte wegzunehmen«, sagte ich.

Keine Antwort.

Der Stapel mit den Einrichtungsgegenständen der Hütte befand sich zu meiner Rechten nahe beim Fenster. Ich bewegte mich vorsichtig, aber nicht ganz lautlos, damit er wußte, wo ich war, und nicht unruhig wurde. Ich tastete nach der zuoberst liegenden Schachtel. Sein Gedächtnis war jedenfalls in Ordnung — die Schachtel war da, die Lampe darin und eine Schachtel Streichhölzer ebenfalls.

«Ich habe die Lampe gefunden«, sagte ich.»Soll ich ein Streichholz anzünden?«

Schweigen. Dann:»Ja.«

Es war eine kleine Gaslampe. Ich zündete sie an und stellte sie auf den Tisch, von wo aus sie ein schwaches weißes Licht in alle Winkel warf. Er blinzelte zweimal, während sich seine Augen an das Licht gewöhnten, aber seine Konzentration ließ nicht einen Augenblick nach.

«Gibt es auch irgendwo etwas zu essen?«fragte ich.

«Ich habe keinen Hunger.«

«Aber ich.«

«Setzen Sie sich«, sagte er.»Dorthin, wo Sie gesessen haben.«

Ich setzte mich. Der Doppellauf der Flinte folgte mir. In dem neuen Licht konnte ich sie nur allzugut sehen.

Die Zeit verging. Ich hatte die Lampe um halb fünf angezündet — und es war acht, als er zu sprechen begann.

Wenn ich von mir auf ihn schließen konnte, mußte er von der Hüfte an abwärts keinerlei Gefühl mehr haben. Er trug keine Handschuhe, und seine Hände waren blauweiß geworden, aber immer noch hielt er die Flinte schußbereit, den Finger am Abzug. Und nach wie vor ruhte sein Blick unverwandt auf mir. Sein Gesicht, ja sein ganzer Körper waren noch immer starr vor fast unerträglicher Anspannung.

Plötzlich sagte er:»Arne Kristiansen hat mir gesagt, daß mein Vater festgenommen worden ist. Und daß er Ihretwegen festgenommen worden ist.«

Das kam mit hoher Stimme heraus, und sein Atem kondensierte zu einer großen, eisigen Feder.

Jetzt, wo der Anfang gemacht war, fiel ihm das Reden leichter.

«Arne hat gesagt. mein Vater wolle, daß wir nach Bergen fahren. und mit dem Schiff weiter nach Stavanger. und dann mit dem Flugzeug. «Er hielt inne.

«Und ihr seid nicht gefahren«, sagte ich.»Warum seid ihr nicht gefahren?«

Die Flinte wackelte.

«Die anderen beiden sind gekommen.«, sagte er.

Ich wartete ab.

Er sagte:»Ich unterhielt mich gerade mit ihm. Draußen. Über die Reise. «Pause.»Sie kamen über den Berg. Auf Skiern, mit Schneebrillen. «Wieder eine Pause.»Einer von ihnen sagte zu Arne, er solle von mir weggehen. «Nach einer längeren Pause, in der er sich voller Schrecken zu erinnern schien, brach es aus ihm hervor:»Er hatte ein Messer.«

«Oh, Mikkel.«

Er sprach jetzt schneller, die Worte sprudelten aus ihm hervor.

«Arne sagte: >Das könnt ihr nicht tun. Nein, das könnt ihr nicht. Er würde euch nie losschicken, damit ihr seinen eigenen Sohn umbringt. Nicht Mikkel. < Er stieß mich hinter sich. Er sagte: >Ihr seid verrückt. Ich habe selber mit seinem Vater gesprochen. Er hat mich hergeschickt, damit ich Mikkel wegbringe.<«

Mikkel starrte mit weit aufgerissenen Augen zu mir herüber, durchlebte alles noch einmal.

«Sie sagten. mein Vater habe, was Arne angehe, seine Meinung geändert. Sie sagten, sie würden mich per Schiff nach Dänemark bringen und dort mit mir zusammen auf Geld und neue Anweisungen von meinem Vater warten. Arne sagte, das sei nicht wahr. Sie sagten. es sei wahr. und sie sagten auch. Arnes Reise sei hier zu Ende. Er wollte es nicht glauben. Er sagte, nicht einmal mein Vater würde so etwas tun. Er achtete immer nur auf den mit dem Messer, und da schlug ihm der andere mit einem Skistock auf den Kopf. Er fiel in den Schnee. Ich versuchte, sie aufzuhalten. sie stießen mich einfach weg. und sie legten ihn auf den Schlitten. sie banden ihn darauf fest. und zogen ihn dann den Pfad hoch.«

Sein Gesicht war jetzt wieder von Panik beherrscht. Er sagte gequält:»Mir fiel die Flinte in der Hütte ein. ich lief rein und lud sie. und schnallte mir meine Skier unter und lief hinter ihnen her. um sie aufzuhalten. aber als ich sie fand, da kamen sie zurück. ohne den Schlitten. und ich dachte. ich dachte. sie wollten. sie würden.«

Er holte tief und zitternd Luft.»Ich schoß. Der mit dem Messer. der fiel hin.«

Pause.

«Ich schoß noch einmal«, fuhr er dann fort,»aber der andere stand noch auf seinen Skiern. Deshalb lief ich zur Hütte zurück, weil ich dachte, er würde hinter mir herkommen. Ich lief hierher zurück, um nachzuladen. Aber er ist nicht gekommen.«

Nach einer Weile sagte er:»Dafür sind Sie gekommen. Ich dachte, er wäre es.«

Er verstummte.

«Kanntest du die beiden Männer?«fragte ich.»Hast du sie schon mal gesehen?«

«Nein.«

«Wie lange vor meiner Ankunft war das?«fragte ich weiter.

«Ich weiß nicht. Lange.«

«Stunden?«

«Ich glaube, ja.«

Ich hatte sie auf meinem Weg hier herauf nicht gesehen.

«Töten ist unrecht«, stieß er hervor.

«Kommt darauf an.«

«Nein.«

«Wenn man das eigene Leben verteidigen muß oder das eines anderen Menschen, dann ist es erlaubt«, sagte ich.

«Ich. ich glaube. ich weiß, daß es ein Unrecht ist. Und trotzdem. als ich solche Angst hatte. «Seine Stimme brach.

«Ich habe es getan. Ich verabscheue das Töten, aber ich habe es getan. Und ich hätte auch Sie umgebracht. Ich weiß, daß ich es getan hätte. Wenn Sie nicht zur Seite gesprungen wären.«

«Ist schon gut«, sagte ich — aber das Entsetzen war immer noch in seinem Blick. Um ihn durch Ablenkung zu beruhigen, fragte ich:»Kennst du Arne Kristiansen schon lange?«

«Was.?«Seine Stimme senkte sich ein wenig.»Ungefähr seit drei Jahren, glaube ich.«

«Und wie gut kennst du ihn?«

«Nicht sehr gut. Halt von der Rennbahn. Das ist alles.«